XIII: der Morgen danach

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Meine Kapitelüberschriften werden irgendwie immer langweiliger...

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Am nächsten Morgen ging es Nico nicht viel besser. Auch wenn er versuchte, sie weitestgehend zu ignorieren, hatte er dennoch schreckliche Schuldgefühle.
Die Tatsache, dass er Wills Heilungsprozess gestern unfreiwillig gestoppt hatte, hatte ihn nicht schlafen lassen. Schließlich war der Sohn des Hades zu dem Schluss gekommen, dass er sich von Will fernhalten sollte.
Nein, er musste.
Allein schon, um dafür zu sorgen, dass nicht nochmal so etwas wie letzte Nacht passierte. Und um seine eigenen Gefühle zu schützen. Denn eines wusste Nico mit Sicherheit:
Er würde nicht zulassen, dass Achlys ihn in den Tartarus zog, um sich von seinem Elend zu ernähren. Auch wenn die Schatten letzte Nacht immer wieder versucht hatten, ihn mit sich zu zerren.

Übermüdet und den Umständen entsprechend deprimiert lief Nico also zum Pavillon.
Die Blicke und das Getuschel der anderen Camper halfen ihm auch nicht gerade. Er warf ihnen wütende Blicke zu, aber sie kümmerten sich nicht mehr darum, ob er ihr Geläster und Geschimpfe hören konnte.
Keiner bemühte sich, seine Stimme zu dämpfen, wenn Nico in die Nähe kam.

"Ist er das?", fragte eine Hebetochter ihren Bruder. Dieser nickte.
"Er hat unseren besten Heiler verwundet.", warf ein anderes Halbblut ein. Nico ballte seine Hände zu Fäusten.
Sie hatten Recht.
Sie hatten verdammt nochmal Recht.
Er fühlte sich nur noch elend. Er hatte nicht nur Will verletzt, das ganze Camp hasste ihn jetzt. Vielleicht war der Tartarus doch keine so schlechte Option.
'Halt!', rief Nico sich selbst zur Ordnung.
'Du wolltest doch Achlys wiederstehen.'
Er hob sein Kinn und lief weiter zu seinem Tisch, als hätte er Nichts von den Anschuldigungen gehört.

"Seht ihr ihn? Wahrscheinlich ist er auch noch stolz darauf.", rief ein Junge vom Hermestisch aus. Nico hörte einen Schlag und schaute verwundert zum Tisch Nummer 11. Der Junge, der gerufen hatte, lag auf dem Boden und über ihm stand Frank Zhang, Prätor der 12. Legion Fultima.
"Bitte WAS hast du gesagt?!", er schaute wütend auf den Hermestypen herab. An den anderen Tischen erhob sich Gemurmel. Ein Kind der Iris, Nico wusste nicht genau ob es ein Junge oder ein Mädchen, vielleicht auch einfach non-binär war, sprang auf und deutete auf Nico.
"Er hat versucht, uns alle zu töten!"
Travis erhob sich daraufhin ebenfalls.
"Leute, kommt runter. Ich war dabei und Nico hat definitiv nicht versucht, uns alle zu töten. Ich bin mir sicher, er hat einfach die Kontrolle verloren. Er wollte bestimmte nicht-", weiter er nicht, denn Billie NG aus Hütte 4 schrie: "Einfach die Kontrolle verloren?! Dieses Mal hat er uns nur gedroht, aber was passiert nächtes Mal, huh?"
"Ja!", stimmten ein paar Andere mit ein. Frank schaute verwirrt zwischen den Campern hin und her.

Alle riefen durcheinander und Nico wusste nicht, was er tun sollte.
"HALT!", rief Reyna plötzlich. Sie hatte eben erst den Pavillon betreten. Ihre Stimme hatte eine ungeheure Autorität und alle schwiegen plötzlich.
"Nico kann nichts dafür!", rief sie, als alle verstummt waren.
"Er wird seine Fehler wieder gut machen, da bin ich sicher. Wunden können verheilen, vergesst das nicht! Und ihr solltet auch nicht vergessen, wie viel Gutes er getan hat. Wie er trotz des Risikos, sein Leben zu verlieren, nicht aufgegeben und die Athena Pathenos ins Camp gebracht hat."
"Er hat es bestimmt nicht gemacht, um jemandem zu helfen!", schrie jemand dazwischen.
"Der Tod ist für ihn doch eh nichts Schlimmes!", kam es angewiedert vom Apollotisch.

"Vergesst nicht, dass er ein Sohn des Hades ist. Er ist zu bösen Taten geboren word-"
Der Satz konnte nicht beendet werden, da Kayla auf die andere Seite des Tisches gesprungen war und ihrem Geschwisterkind ein reingesemmelt hatte. Aber die Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Weder bei Nico, noch bei den anderen Halbbluten. Erstgenannter ballte die Fäuste.
Wenn es etwas gab, dass Nico di Angelo noch mehr hasste als Liebesgötter und mordlustige Metallriesen, dann waren es Vorurteile.

Ja, er war ein Kind des Hades.
Ja, er hatte schlimme Dinge getan.
Aber hatte er eine Wahl gehabt?
Nein.
Er war ein Kind der Unterwelt, also hatte er sich seinem Schicksal gefügt.

Erst als ein paar jüngere Camper anfingen, ängstlich zu schreien, fiel Nico auf, dass durch seine Wut und die Schuldgefühle die Temperatur im Pavillon etwas unter dem Gefrierpunkt angekommen war. Einige Camper schliefen gerade ein, die Schatten peitschten und versuchten, weiter hinter den Säulen hervor zu dringen.
Nico hätte sich am liebsten noch mehr in dieses Gefühl der Trauer und der Wertlosigkeit hinein gesteigert, doch er besaß noch genug Kontrolle, um die Schatten zurück zu rufen. Langsam öffnete er seine Fäuste wieder und die Temperatur stieg auf 20 Grad zurück. Nico schwangte leicht, konnte sich aber noch aufrecht halten.
"Da, seht ihr?", rief ein Mädchen hysterisch und deutete auf Nico.
"Wenn seine Kraft gereicht hätte, wären wir jetzt alle tot!"
"Das ist nicht-", begann Reyna, doch Nico legte ihr eine Hand auf die Schulter.
"Hör auf. Sie werden dir nicht glauben."

Reyna öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder.
Nico lief in Richtung Ausgang, dann drehte er sich nochmal um.
Er fixierte das Mädchen, das als letztes gerufen hatte. Sie stand am Athenetisch und hatte die blonden Locken und die athletische Figur aller ihrer Geschwister.
"Ich habe sehr wohl genug Kraft.", sagte Nico in das Schweigen der Anderen hinein.
"Aber ich werde sie nicht an dich verschwenden. Auch wenn du mal über deine Vorurteile nachdenken solltest."
Er drehte sich um und lief weiter.
"Ohhhh!", hörte er einen Jungen, der definitiv noch im Stimmbruch war.
"Rennst du jetzt weg, um dich in der Unterwelt auszuheulen?"

"Ich renne nicht.", antwortete Nico so gelassen wie möglich.

𝚃𝚛𝚞𝚜𝚝 𝚖𝚎 || 𝚂𝚘𝚕𝚊𝚗𝚐𝚎𝚕𝚘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt