XV: Von Herzfehlern und noch mehr Vertrauen

2.5K 177 110
                                    

Die nächsten vier Tage waren sowohl für Nico als auch für Will die reinste Folter. Erstgenannter versuchte kontinuierlich, Will aus dem Weg zu gehen.
Er kam immer erst kurz vor Schluss zum Essen und trainierte in aller Früh oder spät abends. Was aber nicht hieß, dass Will locker ließ.
Sobald er Nico sah, lief er zu ihm und fragte, warum er ihn ignorierte. Nico antwortete meistens mit "Ich hab gerade keine Zeit für dein Geschwafel." oder "Geht dich nichts an.", was so ziemlich die dümmsten und sinnlosesten Ausreden waren, die sich je ein Mensch ausgedacht hatte.

"Nico, jetzt warte! Zum Hades mit deinem Starrsinn!", schrie Will hinter ihm und bestätigte einmal mehr, wie hartnäckig dieser Apollosohn sein konnte.
Nico schaute nach hinten und sah, wie Will aus dem Pavillon gerannt kam. Er blickte nach wieder nach vorne, erhöhte sein Tempo und lief in Richtung Hadeshütte. Er rannte sogar, doch Will war schneller und ein Schattensprung wäre an einem so sonnigen Tag für Nico zu anstrengend gewesen.
Schon stand der Heiler vor ihm.
Nico versuchte, zu den Seiten auszuweichen, doch Will stellte sich ihm immer wieder in den Weg.
Irgendwie hatten sie sich so zu der Hadeshütte vorgearbeitet, doch bevor Nico durch die Tür schlüpfen konnte, hatte sich Will dagegen gelehnt.
Normalerweise hätte er ihn jetzt einfach bei Seite geschoben, aber er durfte ihn ja nicht berühren.

"Du redest mit mir. Jetzt.", sagte Will. Er hatte eindeutig genug von Nicos Versteckspiel. Dieser starrte Will herausfordernd an, der Apollosohn starrte zurück.
Nach ungefähr einer halben Minute hielt Nico es nicht mehr aus und hob resignierend die Hände.
In Anstarrwettkämpfen war er schon immer schlecht gewesen.
Außerden hätte er dieses Gespräch sowieso nicht mehr lange aufschieben können, dachte Nico.
Warum also nicht gleich eine Standpauke über sich ergehen lassen und dann zusehen, wie Will sich von ihm abwandte?

"Gut. Dann lass mich zur Tür.", fauchte Nico. "Oh nein. Wir blieben hier draußen. Oder glaubst du, ich weiß nicht, wie leicht du von deiner Hütte aus Schattenreisen kannst?", erwiederte Will und wollte Nicos Arm nehmen. "Nicht!", rief dieser und sprang zurück.
"Und warum nicht?", fragte Will. Der Hadessohn seufzte und ließ sich auf den Veranderstufen nieder. 
"Verstehst du es nicht, Will? Es würde dir wehtun, wenn du mich berühren würdest." Nico biss sich auf die Lippe.
"Ich würde dir wehtun."
Er schaute den verwelkten Rasen zu seinen Füßen an, dann sah er aus dem Augenwinkel, wie Will sich neben ihn auf die Treppe setzte.
"Quatsch.", sagte er.
"Mir tut gar nichts weh. Meine Wunde ist verheilt. Schau!"

Er schob seinen Ärmel hoch, dort wo das stygische Eisen ihn getroffen hatte, war nur noch eine rötliche Narbe zu sehen. Nico betrachtete sie und feixte.
Dann nährte er seine Hand langsam der Wunde.
Als nichts geschah, legte er sie auf Wills Arm. Wieder nichts. Nicos Lächeln drückte noch nicht ansatzweise all die Erleichterung aus, die ihn gerade durchflutete.
Narben können heilen, hallten Reynas Worte in seinem Kopf wieder. Will grinste und ließ seinen Ärmel los.
Er rutschte aus irgendeinem Grund noch näher zu Nico, dessen Herz das mit einem doppelten Salto kommentierte.
"Was wolltest du jetzt besprechen?"
Er gab sich Mühe, seine Stimme desinteressiert klingen zu lassen. 

"Ich wollte wissen, warum du nichts mehr mit mir zu tun haben wolltest."
"Das fragst du noch? Ich habe dich verletzt. Ich kann doch nicht einfach wieder zu dir gehen, als wäre nichts gewesen!"
"Und wieso nicht?"
Nico war sprachlos über so viel Unverständnis.
"W-Was, wenn ich dich ausversehen berührt hätte? Hast du eine Ahnung, wie viel Schaden du durch mich genommen hast? Deine Wunde hätte wieder gequalmt wie im Krankenz-"
Nico brach ab.
Er hatte eigentlich nichts von seinem nächtlichen Besuch bei Will erwähnen wollen. Wahrschienlich hätte es der Blonde dann vergessen oder gedacht, es wäre ein Traum gewesen.
Will lachte.
"Du warst also doch bei mir! Als Kayla gesagt hast, du wärst nicht dagewesen, war ich irgendwie schon enttäuscht."
Er grinste verlegen und rieb sich den Nacken. Nico schaute ihn sprachlos an. Schließlich hatte er seine Sprache wiedergefungen und erwiederte:
"Du hättest eigentlich allen Grund, wütend auf mich zu sein. Ich habe dich schließlich verletzt, obwohl du mir helfen wolltest."
"Uh.", machte Will genervt und legte einen Arm um Nicos Schultern.

"Wann begreifst du eigentlich, dass das nicht so schlimm ist, wie du denkst? Entschuldige dich einfach kurz und fertig."
"Ähh...Okay.
Es tut mir leid, dass ich dich so verletzt habe." "Geht doch.", grinste Will und Nico wurde ein bisschen rot.
"Süß."
"Was?"
"Nichts."
Jetzt war es Will, der etwas rot wurde.
"Was hast du gesagt?", wiederholte Nico seine Frage. Will biss sich auf die Lippe, dann seuftzte er und Nico hörte ein leises "Was solls."
"Du bist süß.", sagte er etwas lauter. Nico erwiederte nichts, sondern starrte einfach nur auf den Boden. Hatte Will das gerade wirklich gesagt? Hatte er- "Tut mir leid.", wurde Nicos Gedankengang von Will unterbrochen, woraufhin er stirnrunzelt den Kopf hob.

"Ich mag dich echt Nico. Mehr, als ich sollte. Ich wollte unsere Freundschaft nicht zerstören, aber ich konnte eben nicht anders und-"
"Wieso mehr, als du solltest?" Unterbrach Nico ihn. Will schaute ihn an, als habe er gerade gefragt, ob die Erde eine Scheibe sei.
"Ich bin in dich verliebt, du Vollpfosten!"
Nico atmete einmal tief ein und wieder aus und ließ Wills Worte in seinen Gedanken wiederhallten.

"Du hast unsere Freundschaft wirklich zerstört.", sagte er schließlich mit undeutbarer Miene.

"Aber vielleicht können wir einfach mehr sein als nur Freunde." Wills Gesichtsausdruck wechselte von Ungewissheit zu Überraschung. Dann schüttelte er den Kopf, grinste aber.
"Du bist unmöglich, di Angelo."
"So unmöglich, dass du mich jetzt küssen willst?"
Nico wusste selbst nicht, woher er diese Sicherheit genommen hatte. Auf der Stelle errötete er.
"Nur zu gerne.", kam Wills Antwort. Er beugte sich leicht vor, Nico schluckte kurz.
Er hatte noch nie irgendjemanden geküsst. Oder geglaubt, dass es überhaupt jemanden geben würde, der ihn küssen wollte. Und sein Herz war drauf und dran, ein ersthaftes Problem darzustellen.
Wer wollte schon einen Herzfehler entwickeln, nur weil er von Jemandem geküsst wurde?

All das schoss Nico noch durch den Kopf, dann legten sich Wills Lippen auf seine. Sein Gehirn schaltete aus irgendeinem Grund auf Durchzug.
Wills Lippen waren weich und Nico erwiederte nur zu gerne. Von dem in Büchern beschriebenen Feuerwerk konnte er nichts spüren.
Es war nur ein kurzer, berauschender Moment. Ein bisschen, wie eine Umarmung. Nur viel intensiver.
Und Nico löste sich viel zu schnell wieder.

Er lehnte seine Stirn an Wills und langsam blendete er ihre Umwelt wieder ein.
Die Hadeshütte stand im Schatten der Bäumen, weswegen fast keine anderen Camper in der Nähe waren.
Eine Weile waren die Beiden einfach nur still und schauten einander an. Nico sog Wills Anblick in sich auf und strich langsam über seine Wange.
Er musterte seine blauen Augen ganz genau. Zum Rand hin wurden sie etwas dunkler, das Rechte hatte einen grauen Strich, der waagerecht verlief.

Irgendwann streckte sich Will, stand auf und streckte seine Hand nach Nico aus.
"Vertraust du mir?", fragte er. Nico musterte Wills Hand.
Wenn du nicht vertraust, werden die Anderen dir niemals vertrauen.
Dann ergriff er sie und ließ sich hochziehen. "Ja."

𝚃𝚛𝚞𝚜𝚝 𝚖𝚎 || 𝚂𝚘𝚕𝚊𝚗𝚐𝚎𝚕𝚘Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt