Kapitel 45

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Jayden

„Verdammt knapp war das eben", sage ich keuchend und stürze zusammen mit Chloe aus dem Steuerraum. „Allerdings", sagt sie und wir rennen zurück an die Stelle von wo aus wir aus unserer Gruppe gerissen wurden.
    Natürlich ist dort niemand mehr. Wir gehen weiter und laufen auf das Hauptdeck. Mehrere Rettungsboote sind an die Reling gekettet. In einer Ecke liegt ein wirres Seil und ein Paar sitzt zusammen auf einem Geländer in der Mitte des Decks. Der hölzerne Boden ist nass. Einmal rutsche ich fast aus.
    In weiter Ferne erkennt man noch gerade so einen Streifen Land.
    „Wo sind sie bloß hin?", fragt Chloe mehr zu sich selbst als zu mir.
    Wir irren noch eine Weile herum bis wir sie am Oberdeck in einem versteckten Winkel finden.
    „Ah da seid ihr ja", sagt Noah erleichtert.
    „Verdammt nochmal Leonardo. In wen hast du uns verwandelt?", frage ich.
    Leonardo gluckst. „Leider in jemand wichtiges." Chloe rollt mit den Augen. „Zumindest haben wir verhindert, dass sie uns zurück kutschieren." Noah sieht Chloe fragend an. Chloe lehnt sich an die Wand, was in diesem Körper etwas ungelenk aussieht. „Planänderung. Sie wollten erneut kämpfen. Die Einheiten haben sich aber alle beschwert und dann wurde entschlossen, dass wir doch nach Afrika fahren."
    „Was machen wir solange wir noch fahren?", frage ich dann.
    „Warten", antwortet Noah und zuckt die Achseln.
    Chloe sieht zu Boden. „Eines verstehe ich nicht. Uns hat man doch immer gesagt, dass diese Kolonie strenge Gesetze hat. Wieso sollten sie dann Nachsicht mit den Kämpfern haben?"
Leonardo lacht schallend. „Ach Baby, da hat eure Regierung mal wieder gelogen. Sie behauptet etwas von uns was in Wahrheit auf sie zutrifft. Bei uns kommen freiwillige Kämpfer. Manchmal werden Einsatzzeiten zwar nicht eingehalten, aber das ist auch schon das gemeinste was hier passieren kann." Ich hätte ihn am liebsten angebrüllt und gesagt er soll Chloe nicht Baby nennen, aber ich halte mich zurück.
    „Du hast dich freiwillig gemeldet?" Chloe sieht ihn zweifelnd an. „Das leuchtet mir nicht wirklich ein." Bella kichert.
    „Ob du es glaubst oder nicht, aber das ist nun mal mein Job", sagt Leonardo ohne die übliche Überlegenheit. Er spuckt die Worte förmlich. Chloe lacht leise.
    Wir fühlen ein Brummen und langsam setzt sich das Schiff in Bewegung.
    „Ich hasse diesen Körper", bemerkt Bella. Ihre kleinen Augen blicken an sich hinab. „Er ist viel zu schwer und man kann sich schlecht bewegen."
    „Ist es nicht möglich, dass wir uns in einem Lagerraum verstecken?", fragt Noah.
    „Ihr wolltet doch später noch Essen gehen", sagt Leonardo. „Ansonsten hätte ich doch diesen Aufwand nicht betrieben."
    Bella seufzt. „Ab wann öffnet denn die Kantine?"
    „Um zwölf Uhr." Leonardo beugt sich nach vorn, um einen Blick auf die Uhr zu erhaschen. „Ihr müsst euch noch eine Stunde gedulden."
    Noah streckt sich. „Damit das klar ist. Wir gehen essen und sofort danach verstecken wir uns wieder. Dieser Körper stinkt nach Schweiß." Er riecht sich unter den Armen.
    „Die Wandlung war wohl etwas zu detailreich", sagt Bella mit der hauchdünnen Stimme der Frau.
    „Wofür ist diese Frau eigentlich auf einem Kriegsschiff?", fragt Chloe mit einem Blick auf Bellas krumme Gestalt.
    „Sie ist Heilerin", leiert Leonardo, „und hilft in der Küche aus."
    „Sollte ich mich da blicken lassen?" Bella sieht genervt zu Leonardo hinauf, weil sie die Antwort bereits kennt.
     „Jetzt wo du es sagst, ja. Ohne dich beziehungsweise die alte Dame sind sie nur zu zweit." Leonardo grinst unschuldig. Ich habe das Gefühl, dass er das alles geplant hatte von Anfang an.
    Bella geht stampfend davon und wirft Leonardo noch einen giftigen Blick zu.

Das Mittagessen ist ein lauwarmer Bohneneintopf. Es schmeckt nach nichts und ist ziemlich breiig. Löffel für Löffel würge ich den Eintopf hinunter. Noch dazu ist es nicht einmal genug.
Mittlerweile kann man nur noch Meer um uns herum sehen. Die Luft wird immer wärmer, was heißt, dass wir Richtung Süden fahren.
    Ich schätze, dass wir etwa morgen Früh ankommen werden. Dieses Schiff wird angetrieben von speziellen Motoren, die die Klugen entwickelt haben und kann dadurch schneller als gewöhnliche Schiffe fahren. Sobald das Schiff diese Geschwindigkeit angenommen hat sind alle Decks überdacht worden. Dazu sind Wände hochgefahren worden, die uns vor dem Wind schützen und das Schiff windschnittiger formen.
    Das Komplette Schiff ist aus besonders robusten Materialien gebaut worden, die das Schiff vor dem Sinken sowie von Aufprällen schützt. Meine Mutter hatte aus ihrer Welt einen Film mitgebracht. Es ist eine Verfilmung eines echten Geschehnisses in der Menschenwelt. Er handelte von zwei sich Liebenden, die sich auf einem Schiff kennengelernt hatten. Das Schiff ist im Laufe der Geschichte jedoch gegen einen Eisberg gefahren und letztendlich gesunken.
Ein tragisches Ende für ein unsinkbares Schiff. Meine Mutter hat ihn sicherlich tausendmal gesehen und musste immer an den gleichen Stellen weinen.
    Meine Mutter hatte mir versichern müssen, dass bei uns solche Dinge nicht passieren können, weil die Klugen schon für alles vorgesorgt haben, ansonsten wäre ich als Kind niemals in ein Schiff gestiegen.
    Ich war acht gewesen, als ich ihn das erste Mal komplett angesehen habe. Eigentlich hatten es meine Eltern nicht erlaubt. Mich hat es geschockt. Unglücklicherweise sind wir einige Wochen später umgezogen. Das Schiff, mit dem wir die Überfahrt zu unserer neuen Heimat antraten, musste wegen mir verzögert starten, weil ich Angst hatte und ein riesiges Theater veranstaltet hatte. Meine Mom war natürlich nicht sonderlich angetan.
    Genauso wirkt auch Bella als sie sich zu uns mit ihrem Tablett setzt. „Grausam", sagt sie. „Wieso um Himmels Willen diese Frau, Leonardo?" Bella kocht vor Wut. „Ich werde vermutlich den Rest meines Lebens nach altem Käse, Bohnen und etwas riechen von dem ich nicht mal weiß was es ist. Nur, dass es auf jeden Fall nicht mehr genießbar sein konnte."
    Leonardo rümpft überdeutlich seine Nase. „Puh, stinkt das hier." Er lacht gackernd. „Was denkst du wie witzig es für mich ist mit alten Knackern wie euch zusammen zu sitzen? Das ist mal oberpeinlich, als würde ich keine anderen Freunde finden können."
    „Es ist immer noch besser, als zu stinken wie ein fauliges Ei", schimpft Bella. Heftig taucht sie ihren Löffel in den Eintopf. Es spritzt in Leonardos Richtung. „He!", ruft er, „musst ja auch nicht gleich so ausflippen!"
    „Oh doch!", sagt Bella und spritzt noch einmal in Leonardos Richtung.
    „Du verfluchte..." Leonardo springt auf und sein Stuhl fliegt nach hinten. Zum Glück scheint es niemanden zu interessieren. Chloe packt ihn an der Schulter und drückt ihn heftig auf den Stuhl zurück. „Jetzt halt mal die Luft an oder nächstes Mal wirst du zum alten Opi."
    Bella und Leonardo giften sich noch weiter leise an. Noah, Chloe, Tyler und ich haben keine Lust einzugreifen und lassen die beiden sich Schimpfwörter an den Kopf werfen.
Nach dem Essen bringen wir unsere Tabletts zurück. Erschrocken bemerke ich wie eine zerzauste rothaarige Frau und ein Mann hereinkommen. Es sind die Deckungen von Tyler und Chloe.
    Ich verdecke ihre Körper mit meinem und dränge sie zum gegenüberliegenden Ausgang. „Eure Deckungen kommen hereinspaziert. Haut ab! Wir treffen uns unten bei den Lagerräumen."
    Chloes und Tyler Augen weiten sich. Chloe wirft nur einen schnellen Blick auf die Frau und rennt dann los.
    „Ich kümmere mich um die da vorne", flüstere ich Noah, Bella und Leonardo zu. „Geht zu Chloe und Tyler. Sie sind auf dem Weg zu den Lagerräumen."
    Schnellen Schrittes gehe ich auf den Mann und die echte Miss Greeks zu. „Geht es ihnen denn besser?", frage ich die Beiden.
    „Wie bitte?", fragt Miss Greeks.
    „Sie beide sind vorhin ausgerutscht und auf den Kopf geflogen und ich wollte fragen, wie es ihnen geht", sage ich als wäre es das normalste der Welt.
    „Wir sind was?", fragt der Mann ungläubig.
    „Sie können sich nicht daran erinnern? Nach der Abstimmung bei der Versammlung sind sie", ich mach eine Geste zu der Frau, „ausgerutscht. Und sie sind es als sie übers Deck gelaufen sind ebenfalls ausgerutscht. Ob sie es glauben oder nicht, sie sind nicht die einzigen. Heute ist das Deck besonders rutschig." Ich lächle sie an.
    „Es gab eine Versammlung?", fragt die Frau. Ich nicke heftig. „Aber sicher. Sie hat es ja schlimm getroffen. Es wurde beschlossen, dass wir doch wieder nach Mahatma zurückfahren." Miss Greeks wirkt überrumpelt.
    „Ich würde ihnen beiden empfehlen sich noch einmal hinzulegen", sage ich während ich mich umdrehe und bereits davonlaufe.
    „Aber wieso sind wir in einem Lagerraum aufgewacht? Da waren noch mehrere", ruft der Mann mir nach. Ich tue so als hätte ich es nicht gehört. Ehe ich um die Ecke gebogen bin renne ich schon los.

Zuerst waren da die AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt