Kapitel 29

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Jayden

Liam geht es heute Morgen besser als die letzten Tage. Es hat anscheinend geholfen, dass Chloe ihm das Bild abgenommen hat. Vielleicht lenkt ihn aber auch die Tatsache ab, dass ich ein Elementor bin. Ich habe ihm vor dem Frühstück unseren wahren Plan für heute gestanden und auch was ich bin. Liam war nicht erschrocken von meinen Augen sondern hat mir nur hundert Fragen gestellt und war schließlich so aufgeregt wie ich über unseren bevorstehenden Ausflug.
Wir sehen uns regelmäßig in der Mensa nach dem Anführer um, doch bisher ist er nicht aufgetaucht.
    Nachdem wir alle schon lang mit dem Frühstück fertig sind, kommt er endlich durch die Tür marschiert. Sein fester und gezielter Gang lässt die anderen Begabten zur Seite gehen, um ihm Platz zu machen. Platz genug auch an seinem Tisch, damit ich ihn ungestört auf unser Vorhaben ansprechen kann. Die anderen bleiben am Tisch sitzen, da es sonst zu große Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde, wenn plötzlich fünf Leute auf einen Anführer einreden.
    „Guten Morgen", sage ich und setzte mich ihm gegenüber.
    „Morgen. Gibt es was Neues Jayden?", fragt der Anführer, ohne aufzusehen.
    „Nicht direkt. Ich wollte um ihre Hilfe bitten, uns für heute Nachmittag einen Passierschein zu besorgen."
    „Was habt ihr denn vor?", fragt der Anführer.
    „Wir wollen zu der Schlucht." Etwas wage aber, wenn ich Glück habe, reicht es.
    „Ihr brauch einen Grund, um euch einen Passierschein auszustellen."
    „Wir vermuten, dass sich dort etwas für uns wichtiges befindet", sage ich weiterhin wage.
    Der Anführer sieht jetzt zu mir auf und scheint zu verstehen. „Ich bräuchte nach eurem Ausflug allerdings eine genaue Bestätigung, ob das Gesuchte gefunden wurde oder nicht. Es kommt natürlich auch auf den Wert des Gesuchten an." Sein letzter Satz meinte er eher als Frage und als ich sehe wie das Gelbe in seinen Augen flackert nicke ich.
    Der Anführer lehnt sich zurück. „Ich gebe euch den Passierschein. Ich schicke sie später an eure Cams. Du weißt wie das Ganze abläuft?"
    „Natürlich", sage ich und muss einen Luftsprung unterdrücken.
    „Nach eurem Ausflug möchte ich ein genaues Protokoll."
    „Danke", sage ich und stehe auf mehr als froh darüber, dass er nicht verlangt genaueres zu erfahren.

„Welche Klappe muss ich öffnen für denStempel?", fragt Liam und fummelt an seinem Cam herum. Ich zeige auf das untereEnde. Dort ist ein Knopf, der bewirkt, dass sich ein kleiner Spalt im Camöffnet. Daraus kommt ein kleiner Stempel heraus. Seine Tinte lässt sich nichtabwischen, abkratzen oder auf irgendeine Weise entfernen. Es ist wie einBrandmal, nur das dieses sobald der Stempel abgelaufen ist wieder verschwindet.
    „Tut das denn weh?", frägt Chloe undbegutachtet wie Noah sein Cam auf seine Fußfessel drückt.
    „Ein wenig. Es brennt. Aber das nur inder ersten Sekunde, dann ist es wieder weg", antworte ich.  Ich drücke den Stempel an meineFußfessel. Es fühlt sich an als würde man einen heißen Topf berühren doch dasGefühl legt sich sofort wieder. Der Stempel hinterlässt zwölf im Kreis übereinandergemalte Dreicke. Die Linien sind dünn und fallen kaum auf, wenn man nichtgezielt dorthin sieht.Ein Dreieck pro Stunde, in der wir uns frei bewegenkönnen.
    Wir kommen an die Grenze, dietagsüber außerhalb der Höhlen liegt. Die Wachen beobachten uns scharf. Wirmüssen mit unserem Fuß durch einen Scanner gehen. Die Farbe des Stempels gibtdem Scanner dann ein Zeichen und wir können passieren.
    Nach der Grenze laufen wir so schnellwie möglich an die Schlucht. Chloe schickt mir das Bild der Karte. Ich betrachtedie eingezeichnete Schlucht. Oft haben Noah und ich uns an derselben Schlucht unterhalten,jedoch an dem Teil, der noch hinter der Grenze liegt.
    Ich gehe voran. Der Wald wird dichterund wir laufen in Schlangenlinien zwischen den dicken Bäumen hindurch. Nur nochvereinzelte Sonnenstrahlen bahnen sich durch das sich verdichtende Blätterdachhindurch.
    Der Wald wir schließlich so dicht, dasswir uns durch die Sträucher kämpfen müssen. Ein Dorn sticht mir in den Hals undes tritt Blut hervor. Ich wische das Blut ab und betrachte danach meine Hand,um festzustellen wie stark es blutet.
    „Achtung!", schreit Noah hinter mir.Ich stoppe rechtzeitig bevor ich mich den Anhang der Schlucht hinunterstürze. MeinHerz klopft. Ich betrachte mein Cam und stelle überrascht fest, dass wirangekommen sind. Wir befinden uns nur noch fünf Meter vom Ziel entfernt.
    Ich sehe nach rechts. Dort sollten wiretwas finden, doch ich sehe nur einen dicken Baum direkt neben mir. Ich gehe umihn herum und treffe nur auf noch mehr stacheliger Sträucher. Von meinerjetzigen Position aus müsste ich, wenn ich Richtung Schlucht sehe, auf unserZiel sehen können. Aber wie schon erwartet geht es dort nur Bergab.
    In dreißig Metern Tiefe entdecke ichschließlich einen Vorsprung. Man kann ihn nicht genau erkennen, weil die aus demStein ragenden Kletterpflanzen die Sicht versperren. Ich winke die anderen zumir. „Seht ihr den Vorsprung? Wir müssen dorthin. Hoffentlich finden wir auchwirklich etwas."
    „Hoffen wir das nicht alle", murmeltTyler schluckend, während er in die Schlucht sieht und leicht schwankt.
    Ich suche eine geeignete Stelle undlege mich auf den Bauch. Meine flache Hand lege ich auf die Steinwand. Ichkonzentriere meine Energie in diese eine Hand, lasse sie in den Stein fließenund ziehe meine Hand von dem Stein weg, sodass ich eine Treppenstufeherausziehe. Sie ist breit genug, dass zehn Personen auf ihr stehen können. Ichsetzte einen Fuß vorsichtig auf die Stufe.
    „Ihr könnt auch kommen sie ist festgenug, um uns alle zu tragen", sage ich zu den anderen. Die erste die sichtraut ist Chloe. Selbst wenn sie in die Schlucht fallen würde, würde sie aufden Füßen landen und sich keinen einzigen Kratzer holen trotz den hundertMetern Tiefe. Noah kommt nach und irgendwann stehen auch Liam und Tyler nebenuns. Tyler steht mit dem Rücken dicht an der Felswand und versucht nichthinunter zu sehen.
    „Ich könnte springen", schlägt Chloevor. „Ich könnte nachsehen bevor wir uns ewig Stufe für Stufe hinunterbewegen."Sie wirft einen schnellen Seitenblick zu Tyler und dann wieder zu uns anderen.Ich nicke.
    Ohne zu zögern springt Chloe. Ich denkeschon, dass sie nie ankommt, doch dann landet sie mit festem Tritt auf demVorsprung. Sie wankt nicht einmal.
    Chloe sieht auf die Wand und hebt denDaumen und das Zeichen zu warten. Sie geht in die Hocke und springt. Sie landetan der Kante der Schlucht, um die Treppe nicht durch ihrem Aufprall unnötig zubelasten.
    „Dort ist eine Höhle. Sie istverzweigt, deshalb konnte ich nicht viel sehen. Aber es lohnt sich bestimmthineinzusehen."
    Nach diesen Sätzen zittere ich einwenig vor Aufregung.
    „Tyler kannst du nicht einfachsaeclumieren und uns mitnehmen?", frage ich. „Das wäre wesentlich effektiver,als wenn ich uns hier Stufen herausziehe."
    Tyler schüttelt den Kopf. „Ich muss denOrt gesehen haben und man sieht nicht wo man landet. Auf dem kleinen Teil denman hervorblitzen sieht kann ich nicht landen. Das wäre zu riskant."
    Ich seufze und will schon die nächsteStufe hervorziehen. Es wird eine Ewigkeit dauern. Chloe hält mich auf. „Gibt eskeine Möglichkeit, dass man alle Stufen auf einmal hervorziehen kann?"
Ich zucke mit den Schultern. „KeineAhnung. Ich muss meine Energie bündeln und in den Teil hineinfließen lassen,den ich bewegen will."
    „Hast du schon einmal versucht deineEnergie in alle Stellen sofort einfließen zu lassen?", fragt Chloe.
    „Nein. Ich wüsste nicht wie. Versuchenkann ich es aber nochmal", sage ich und berühre den Felsen. Ich sammle dieEnergie in meiner Hand und gebe sie an den Stein weiter. Sie zerstreut sichsofort, geht dann aber nicht mehr weiter, als ob sie versucht sich wieder inmeine Hand zurück zu ziehen. Ich hole mir mehr Energie aus der Luft, aber eshilft nichts. Sie zerstreut sich immer weiter bis sie letztendlich wieder andie Luft übergeht.
    „Es funktioniert nicht", sage ich undärgere mich.
    „Was funktioniert nicht?", fragt Chloeund runzelt die Stirn.
    „Die Energie. Sie zerstreut sich immerund geht dann an die Luft über. Sie verschwindet immer wieder egal wie viel ichhineinstecke", sage ich und richte mich auf.
    „Die Energie darf sich nichtzerstreuen. Du musst sie als einen Nebel sehen, den du steuerst", sagt Liam. Esist das erste Mal seitdem wir heute Morgen miteinander gesprochen haben, dassich ihn etwas Längeres Sagen höre als ok.
    „Du musst ihr ein bestimmtes Aussehengeben. Du könntest rot nehmen. Das ist die Farbe für deine Fähigkeit. Bei mirist es immer Bernstein", schlägt Tyler vor.
    Ich versuche es noch einmal. DieEnergie nimmt in meinem Kopf eine rote Farbe an und fühlt sich an wierauschendes unbezwingbares Wasser, das aus mir ausbrechen und sich in dem Steinverteilen will.
    Es funktioniert. Ich leite immer mehrEnergie in den Stein weiter und sie bleibt gebündelt für jede Stufe im Stein.Ich ziehe meine Hand vom Stein weg und es bilden sich dicke Stufen bis hin zudem Vorsprung.
    Wir jubeln. Auch Tyler, obwohl er immernoch kreidebleich ist.
    Wir klettern von Stufe zu Stufe bis wirunten ankommen. Die Höhle ist dunkel und verzweigt sichnach wenigen Metern in drei kleine und enge Gänge. Die Finsternis verschluckt uns und ichkann meine Hand vor Augen nicht mehr sehen. 

Zuerst waren da die AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt