Kapitel 27

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Jayden

Noah und Tyler sind neben mir eingeschlafen. Liam scheint auch in dem Sessel erschöpft zu dösen. Er tut mir leid und ich hasse mich selbst für meine gestrigen eifersüchtigen Gedanken.
Ich setze mich auf den Boden und spiele eine Runde allein an unserer Spielekonsole. Es hilft nicht gegen die Langeweile. Warum kann ich bloß nicht einschlafen?
    Ich beschließe ein wenig in unseren Gängen herumzulaufen, die Bewegung wird mich schon müde werden lassen mit der Zeit. Die nächste Wache befindet sich erst drei Stockwerke über mir also kann ich auch nicht gesehen werden.
    Ich ziehe mir einen Kapuzenpulli über und schnür meine Sneaker zu.
In den Gängen ist es kalt. Die Wände wirken grau oder eher schwarz. Erkennen kann man so gut wie nichts, trotz der flimmernden Lichter, die alle paar Meter einen kleinen Lichtkreis um sich bilden.
    Ich hole mein Feuerzeug aus meiner Hosentasche, das ich neuerdings immer bei mir trage seit ich es im Wald gefunden habe. Es entflammt und malt flackernde Bilder an die Wände.
Mir ist kalt und ich gehe das Risiko ein mit meinen Flammen zu spielen. Ich lasse sie über meine Hände wandern und male mit ihnen Bilder auf meine Handinnenflächen. Ich lächle. Es fühlt sich gut an meinen Fähigkeiten freien Lauf zu lassen.
    Auf der Treppe lasse ich mich zu Boden sinken und lehne mich an dem kalten Metallgeländer an. Ich berühre eine der Stangen an der Stelle, an der sie mit dem Geländer verschweißt ist und lasse es schmelzen. Kurze Zeit später halte ich einen eisernen Stab in der Hand. Mit meinen Flammen bringe ich den Stab zum Glühen doch in meiner Hand fühlt es sich nur angenehm warm an.
    Erst da fällt mir ein, dass die Treppe womöglich kein so guter Ort ist, um mit meinen Fähigkeiten zu spielen und ich verschwinde schnell in der Dunkelheit.
    Doch da hat sie mich schon jemand gesehen. „Jayden?", ertönt es und eine Sekunde später steht Chloe neben mir.
    „Hi", sage ich als Antwort und mein Herzschlag beruhigt sich, da es nur Chloe ist. Ich bringe den Stab wieder an und lasse meine Flammen an meinen Händen erlöschen. Das Feuerzeug lasse ich in meine Hosentasche gleiten.
    Chloe lässt sich neben mir fallen. „Du kannst auch Metall beeinflussen?"
„Ja." Ich muss grinsen. Ich habe das selbst erst vor nicht allzu langer Zeit herausgefunden. Eigentlich war es Noah, der auf die Idee gekommen ist. „Metall gehört zu Erde genauso wie Stein", antworte ich auf ihre unausgesprochene Frage.
    „Zeig mir nochmal das mit den Flammen", sagt Chloe. Ich winke sie in einen Gang, weiter entfernt von den Schlafräumen. Ich hole das Feuerzeug wieder heraus und zünde es an. Mit meinen Händen übernehme ich die Flammen und lasse sie wachsen.
    Chloes wachsame Augen leuchten gelb durch die Flamme. „Wow."
    „Kannst du auch nicht schlafen?", frage ich, nachdem wir beide die Flamme einige Zeit wie in Trance angestarrt haben.
    Chloe schnauft lachend aus. „Wie könnte ich als entwickelter Catcher. Das ist eine der Fähigkeiten, die wir nicht unterdrücken können. Kann ganz schön langweilig werden. Bisher habe ich es aber noch nicht so oft geschafft gezielt zu schlafen."
    Ich nicke, dann fällt mir plötzlich etwas ein worüber ich schon den ganzen Tag nachgedacht habe. „Ich möchte um die Erlaubnis für eine Durchsuchung im Herz bitten. Noah wäre auch dabei. Würdest du uns helfen?"
    „Klar", sagt Chloe. „Habt ihr euch schon überlegt wann?"
    „Sobald wie möglich. Wir müssen nur aufpassen, dass wir den Anführer allein finden. Die anderen dürfen es nicht erfahren. Zumindest nicht den wahren Grund." Ich sehe Chloe tief in die Augen und kann bereits ihren Tatendrang spüren.
    „Habt ihr einen Art Plan von der Höhle?", fragt Chloe.
    Ich überlege kurz. „Ich weiß es nicht genau. Aber es gibt einen Raum voller Bücher über alte Kriegstaktiken der Regierung und Landkarten, ebenfalls von der Regierung. Ich weiß nicht, ob wir dort etwas über das Herz finden."
    „Haben wir eine Möglichkeit dorthin zu kommen?", fragt Chloe.
    „Ich bin mir nicht sicher. Er liegt fünf Stockwerke tiefer. Möglicherweise ist er bewacht.
    „Wir sollten es trotzdem versuchen. Sollen wir Noah holen?"
    „Wir können es versuchen. Noah weiß eine Menge über die Archive. Er hat einmal eine Zeit lang dort gearbeitet." Ohne ein weiteres Wort zu sagen laufen wir zu dem Appartement zurück. Ich öffne leise die Tür und schließe sie wieder. Chloe setzt sich auf die Couch und wartet, als ich Noah wecken will. Die Tür ist gut geölt und quietscht kein bisschen wie die restlichen Türen in diesem Appartement. Typisch Noah.
    Ich berühre Noah mit einem meiner Ärmel und er schreckt hoch. Seine Fähigkeiten Funktionieren so gut wie immer. Meine Jacke ist eine neue Erinnerung, die auf ihn einströmt. Sie überdeckt die der Decke und weckt ihn somit, weil es eine Störung in dem Rhythmus der Erinnerungen ist, die die Decken und Kissen auslösen. Schlagartig ist Noah wach und er setzt sich erschrocken auf. Doch als er mich erkennt atmet er aus und fährt sich durch seine Haare.
„Um Himmels willen! Was ist denn los?", sagt er verschlafen und zieht sich die Bettdecke über den Kopf.
    „Chloe und ich wollen ins Archiv gehen, um nach einer Karte vom Herz zu sehen. Du musst auch mit", sage ich flüsternd.
    „Chloe ist auch hier?", fragt Noah überrascht. Dann schüttelt er den Kopf. „Warum frage ich überhaupt?", sagt er wie zu sich selbst.
    „Chloe ist Catcher. Noch dazu fertig mit ihrer Entwicklung." Ich warte geduldig bis er aufsteht und sich ebenfalls einen Kapuzenpulli überzieht.
    Wir verlassen Noahs Zimmer und Chloe steht auf. „Entschuldige, dass wir dich geweckt haben."
    Noah winkt ab. „Seltsamerweise bist du die Erste, die das zu mir sagt. Glaub mir, das ist nicht das erste Mal."
    Ich grinse wissend und gehe voraus zur Tür. Leise tappen wir durch den Gang zur Treppe. Noah berührt das Geländer und sieht mich dann merkwürdig an. Sein Blick huscht zu dem Eisenstab, den ich vorhin herausgerissen habe. Bald wird diese Erinnerung von anderen überdeckt sein, hoffe ich. Soweit, dass Spührer sehen können was ich getan habe, habe ich nicht gedacht. Allerdings wird sich auch niemand auf Geländer konzentrieren. Außer uns, füge in Gedanken hinzu.
    Noah geht die Treppe hinunter. Unten angekommen berührt er den Boden. Er streckt den Daumen nach oben. So machen wir das weiterhin bis wir in dem richtigen Stockwerk ankommen.
    Noah berührt den Boden. „Alle halbe Stunde kommt hier jemand vorbei. Das letzte Mal war hier jemand vor zehn Minuten. Wir haben also zwanzig Minuten."
    Schnell laufen wir zum Archiv zwei Gänge weiter. Die Tür ist durch einen Zahlencode gesichert. Ziemlich unsicher, wenn man bedenkt, dass wir hier alle Begabte sind. Wahrscheinlich ist es ihnen sowieso eigentlich egal, ob wir hier reinkommen oder nicht. Sie verschließen es nur, als Symbol dafür, dass die darin liegenden Informationen wichtig sind.
    Schnell findet Noah den Zahlencode heraus, indem er die einzelnen Tasten berührt.
    Es macht Klick! Und die Tür lässt sich geräuschlos öffnen.
    Im Archiv ist die Luft trocken und ich muss husten. Es ist größer als ich gedacht hatte. Ich war hier noch nie und Noah hat mir nichts über die Arbeit hier erzählt. Das Archiv hat die Größe von zwei großen Sporthallen. Die Bücherregale sind so hoch, dass man eine Leiter braucht und die Bücher sind uralt.
    „Die ganzen Landkarten sind im hinteren Teil des Archivs. Es sind relativ viele und verschieden alt. Das könnte unsere Suche minimal eingrenzen. Ich bezweifle, dass wir schnell etwas finden", meint Noah.
    Unsere Schritte hallen von den kahlen Wänden wider. Eigentlich seltsam. Es gibt Wandler, die die ganzen Etagen wohnlicher machen könnten, aber niemand ist bisher auf diese revolutionäre Idee gekommen. Wahrscheinlich hat derjenige, der darüber bestimmt einen Hang zu Gruselfilmen.
    Aus irgendeinem Grund war mir zum Lachen zumute. Das vergeht mir aber schnell, nachdem ich die Regale für Karten gesehen habe. Es sind sieben Reihen welche sich über die ganze Breite des Archivs erstrecken.
    „Wie sollen wir da bloß etwas finden?", frage ich entsetzt. In meiner Vorstellung sah das Archiv immer so klein wie aus wie der Gemeinschaftsraum in unserem Appartement. Mit wenigen Büchern an den Wänden und ein paar Aktenschränken, dazu ein riesiger Schreibtisch voller Papiere und Stiften.
    „Die Regale sind nach Jahren und nach dem Alphabet geordnet. Wir brauchen möglichst neue Karten deswegen würde ich vorschlagen, dass wir vorne anfangen." Bei dem Wort neue macht Noah zwei Anführungsstriche in die Luft.
    „Okay. Wo sollen wir suchen und wie sollen wir sie erkennen?", fragt Chloe und sieht wenig Hoffnungsvoll aus. Noah wirkt am ehesten optimistisch und das obwohl er und nicht wir aus dem Bett gescheucht wurden.
    „Ich würde vorschlagen, dass wir für die Gebiete Lincoln, Kafka und van Gogh suchen", sagt Noah ohne auch nur großartig zu überlegen. „Unser Versteck liegt in van Gogh. Östlich von uns befindet sich das Herz sowie auch Kafka und Lincoln. Früher waren die Grenzen alle paar Monate etwas anders, deswegen kann ich nicht mit Sicherheit sagen, wo das Herz liegt."
    „Wer ist Kafka?", frage ich interessiert, da ich den Namen noch nie gehört habe.
Noah antwortet wie aus der Pistole geschossen. „Ein in der Menschenwelt österreichischer Schriftsteller während des 19. und 20. Jahrhundert. Zu welcher Begabtengruppe er gehörte wusste niemand. Er fand zusammen mit Lincoln, der zu den Klugen angehörte, heraus wie man als Begabte die Energie aufsaugt. Ich kann dir mal eines seiner Werke ausleihen, also die des menschlichen Kafkas. Vielleicht wusste er etwas über die Begabten, wenn ich jetzt so über sein Buch Die Verwandlung nachdenke."
    Chloe scheint den Gedanken ebenfalls interessant zu finden. Ich hingegen frage mich nur, ob ich mir vielleicht doch mal etwas mehr über die Menschen lernen sollte.

Zuerst waren da die AugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt