Jim Anderson. Das war der Name des Mistkerls, dem ich bald das Gehirn herausblasen würde. Er kümmerte sich um ein kleines Casino in Vegas, das der Hermandad gehörte, und hatte über die Jahre Gewinne für die Bruderschaft abgezweigt. Oder mit Hilfe von fingierten Überfällen auf die Geldtransporter verschwinden lassen. Dem Casino waren dadurch keine Verluste entstanden. Nein. Die Versicherungen waren so dämlich und kamen für diese sogenannten Schäden der Raubüberfälle auf.
Was das Abzweigen von Gewinnen betraf, dem Skimming, dies dürfte mit der heutigen Technologie gar nicht mehr möglich sein. Im zwanzigsten Jahrhundert wurden bevorzugt beim Entleeren der einarmigen Banditen Münzen abgezweigt. Oder man zählte brav alle Einnahmen, zum Beispiel zweihunderttausend Dollar, gab dann aber als Einkünfte nur einhundertfünfzigtausend Dollar an. Die restlichen fünfzigtausend verschwanden in einem Koffer, Geldsack, Kofferraum oder was auch immer. Je weniger Gewinne ein Casino meldete, desto weniger musste es versteuern. Demnach eine Win-Win-Situation für das Casino, wenn man schon vorher Geld abzweigte.
Irgendwo hatte ich gelesen, dass Ende der siebziger Jahre das Stardust Casino in Vegas erwischt worden war, nachdem sie fünf Millionen Dollar durch Skimming hatten verschwinden lassen. Ich tippte mich nachdenklich ans Kinn.
Tja, heutzutage sollte es dank moderner Technologie nicht mehr möglich sein. Alle Spielautomaten, die ab dem Jahr zweitausendzehn hergestellt wurden, zählten die eingeworfenen Münzen automatisch. Das ermöglichte es, das entnommene Geld mit der Zählung der jeweiligen Maschine abzugleichen und sofort Alarm zu schlagen, wenn etwas fehlte.
Und genau da lag der Hase im Pfeffer beim Casino der Hermandad. Gutgläubige Spieler wurden mit einer nostalgischen Spielatmosphäre angelockt. Sollte heißen, das Casino verwendete ältere Spielautomaten. Welcher Heini das auch immer durchgesetzt hatte, der gehörte erschossen. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Dann grinste ich breit. Unter Umständen war er bereits beim Feuer bei Cleveland umgekommen. Oder ein Nachfahre von ihm.
Ja, die Hermandad war wirklich kein Stück besser gewesen als die Mafia. Im Ende ging es allen doch nur um Geld und Macht. Ich klopfte mir gedanklich auf die Schulter. Meine Aufräumaktion war ein Dienst an der Menschheit.
Ich fokussierte mich wieder auf die Mission. Dieser Anderson stand als letzter Punkt auf meiner imaginären To-do-Liste. Sollte ich entgegen allen Erwartungen noch andere ehemalige Mitglieder der Bruderschaft killen müssen, dann würde ich das zusammen mit meiner Familie machen. Keine Alleingänge mehr. Die selbstauferlegte Einsamkeit ging mir immer gravierender auf den Geist. Bald würde sie ein Ende haben. Ich seufzte erleichtert auf, während ich mich in meinem Versteck umsah. Es war ebenfalls ein Haus der Hermandad und lag in einem Wohnviertel im Norden von Vegas.
Las Vegas, das war nicht nur der Strip mit seinen Hotels und Casinos. Auch wenn diese eine absolute Sehenswürdigkeit waren. Egal ob das Luxor mit Pyramide und Sphinx, das Paris Las Vegas mit Eiffelturm, das Excalibur oder eines der vielen anderen Hotels.
Die Wohnviertel waren, so wie mein Versteck, unscheinbar. Das Gebäude, in dem ich mich aufhielt, war ein einstöckiger Bungalow mit zwei Schlafzimmern, einem Bad, Küche und Wohnzimmer. Und in eben diesem saß ich am Tisch, auf dem ein Reserve-Laptop und meine Waffen lagen. Was ich vor wenigen Augenblicken auf dem Bildschirm gesehen hatte, gefiel mir nicht im Geringsten. Irgendwer hatte nach dem Ableben von Hudson und dem feurigen Ende der Hermandad eine Villa hier in der Stadt auf den Namen der Bruderschaft gekauft.
Das einzige noch lebende Mitglied, das sich in Vegas herumtrieb, war Anderson. Aber der wohnte nach wie vor mit seiner geldgierigen Schlampe von Ehefrau in einem Bungalow nicht weit entfernt von mir. Ich schlussfolgerte daraus, dass er sich entweder von ihr scheiden lassen und dann in die Villa ziehen wollte, die ja eh nicht auf seinen Namen lief, womit er ihr nicht noch mehr Geld in den habgierigen Rachen zu schmeißen brauchte. Oder es war hier etwas ganz anderes im Busche. Zweites würde mir gar nicht gefallen. Es bedeutete, dass es eine Gefahr gab, die ich nicht kannte und daher nicht beseitigen konnte. Jemand, der nicht im Buch von Hudson stand und bei meiner Aufräumaktion außen vor geblieben war. Denn alle mir bekannten wichtigen Mitglieder der Bruderschaft schmorten in der Hölle.
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Tempestuoso - A Storm is Coming
ChickLitAngela Hudson, eine auf den ersten Blick unscheinbare Achtzehnjährige, kommt neu in die Stadt. Ihr Auftrag? Die Mitglieder einer Mafiafamilie hinter Gitter zu bringen. Eine Leichtigkeit, denkt sie, als sie ihre Wohnung in Philadelphia bezieht. Zusam...