Kapitel 41 ✔️

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Im Gebäude war es mucksmäuschenstill. Die Familie schlief noch. Kein Wunder, so wie einige dem Alkohol zugesprochen hatten. Ich vermutete, während ich mich vorsichtig streckte, dass der Weinkeller komplett leer war. Scotch und Rum waren vermutlich ebenfalls alle. Luca hatte ausnahmsweise völlig auf den Genuss alkoholische Getränke verzichtet, was ich knuffig fand. Meinetwegen hätte er problemlos etwas trinken dürfen, doch wollte er mir nicht die Nacht versauen.

Die Nacht. Wieso hatte sie mir so viel Angst eingejagt? Vielleicht weil ich gelesen hatte, dass das erste Mal weh tat und so gar nicht den Vorstellungen der meisten Mädchen oder Frauen entsprach. Doch ich hatte keinen Grund, mich zu beschweren. Mein Mann war vorsichtig und liebevoll. Ich warf einen Blick auf Luca, der friedlich neben mir schlief. Gesichtszüge völlig entspannt, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Es wäre fies, ihn jetzt aufzuwecken, doch ich hatte ihm versprochen das Büchlein von Enrique nicht ohne ihn weiterzulesen. Mist. Ich sehnte mich danach, zu erfahren, wie die Geschichte weiterging, wie der alte Tempestuoso reagiert hatte. Immerhin war bekannt, dass es zum Krieg zwischen Spaniern und Italienern gekommen war. Wer hatte ihn ausgelöst? Wie wurde er beendet? Welche Rolle hat die erste Giulia dabei gespielt? Fragen über Fragen und bis zu diesem Zeitpunkt keine Antworten. Meine Fingerspitzen kribbelten, drängten dazu, auf dem Papier an den Wörtern entlangzufahren. Sollte ich heimlich weiterlesen und dann später noch einmal mit Luca zusammen? Nein, mein Wort ihm gegenüber wollte ich nicht brechen. Ein Versprechen gehörte in unserer Welt zu den wichtigsten Dingen überhaupt. Selbst die vielen kleinen Notlügen, die es in normalen Beziehungen, sei es in freundschaftlichen oder geschäftlichen oder im Liebesleben, immer mal wieder gab, waren in unserer Familie verpönt. Onore e rispetto. Ehre und Respekt. Dies waren nur zwei Punkte, die wir einzuhalten hatten. Weitere Aspekte waren Verschwiegenheit und Loyalität. Respekt musste verdient werden, Ehre war dein Wort und Loyalität war eine Charaktereigenschaft, für die man bis ins Grab kämpfte. Obwohl es keine Rangordnung zwischen diesen Punkten gab, war die Diskretion fast das Wichtigste im Leben eines Mafioso. Omertà. Unser altehrwürdige traditionelle Schweigekodex. Keine Zusammenarbeit mit Behörden oder Regierung, absolute Verschwiegenheit gegenüber Institutionen und Außenstehenden, vorsätzliches Ignorieren und generell Vermeiden von Eingriffen in die illegalen Aktivitäten anderer. Letzteres bedeutete, dass man weder Kontakt zu Strafverfolgungsbehörden oder sonstigen Behörden aufnahm, wenn man Kenntnis von speziellen Verbrechen hatte, ein Zeuge oder selbst das Opfer war. Singen wie ein Kanarienvogel gab es nicht. Ich grinste bei dem Gedanken an das Mob Museum in Las Vegas, das sich unweigerlich in mein Gedächtnis schlich. Ein Familienausflug dorthin wäre mehr als angebracht. Zumindest für die Truppe, die ich für Ilimitada zusammenstellen wollte, würde ein Museumsbesuch zu den Aufnahmekriterien gehören.

Für einen Augenblick befreite ich meinen Kopf von allen Gedanken, die in ihm umherschwirrten. Die tiefe Atmung des Mannes an meiner Seite verriet mir, dass er noch immer fest schlief. Das war nicht sein Ernst! Ich warf einen Blick auf das Büchlein, das so verlockend auf dem Nachttisch lag.

Nein – Pfui - Aus!

Vorsichtig schälte ich meinen müden Körper aus der Decke und kroch aus dem Bett. Immer darauf bedacht, Luca nicht aufzuwecken. Dann streckte ich mich erst einmal. Autsch. Wieso hatte mir keine der Frauen erzählt, dass man vom Sex Muskelkater bekam? Außerdem war es eklig, wie die klebrige Flüssigkeit zwischen den Beinen entlanglief. Igitt. Da war eine Dusche fällig. Ich schlurfte in unser kleines Bad, drehte den Wasserhahn auf und genoss, wie das Wasser auf meinen Körper prasselte. Es wärmte mich und lockerte damit die verspannten Muskeln. Trotzdem fragte ich mich, wie ich mit Muskelkater im Arsch und den Beinen stundenlang stillsitzen sollte. Nachher die Besprechung für Ilimitada, dann die Fahrt zurück nach Philadelphia. In die Flitterwochen wollten wir erst am nächsten Tag aufbrechen, es in aller Ruhe angehen. Stress und Hektik hatte ich in meinem Leben schon genug erlebt. Oh mein Gott, ich hörte mich an wie eine Achtzigjährige. Obwohl, bei den steifen Gliedern lief ich vermutlich so ähnlich durch die Gegend. Grinsend wusch ich die klebrigen Spuren der vergangenen Nacht weg. Armer Luca, dass er so lange hatte warten müssen. Nachdem er mich kennengelernt hatte, hatte er kein Mädchen mehr angerührt. Seit dem Zeitpunkt hatte er sich in Enthaltsamkeit geübt. Nach Aussagen meines Cousins hatte ihm das Einiges an spöttischen Kommentaren eingehandelt, doch er war fest davon überzeugt, mich eines Tages für sich zu gewinnen.

Tempestuoso - A Storm is ComingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt