Kapitel 46 ✔️

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Die Stunden bei den Gambinos waren aufschlussreich. Die Gambinos. Wir hatten ein Familienmitglied einer der Fünf Familien gerettet. Ich rief mir die dazugehörigen Daten aus der Geschichte der Mafia ins Gedächtnis. Neunzehnhunderteinunddreißig hatte Lucky Luciano einen Dachverband der amerikanischen Cosa Nostra ins Leben gerufen, um die ständigen Kriege zwischen den einzelnen Gruppen zu beenden. Jede Familie erhielt daher ein abgegrenztes Territorium, damit sie friedlich miteinander in New York lebten. Bonanno, Colombo, Gambino, Genovese und Lucchese. Nach einiger Zeit hatten sie sich in ebenfalls anderen Städten angesiedelt. Von daher kannte ich die Genoveses aus San Francisco und Lucchese aus Chicago.

Wir hatten den sechzehnjährigen Enkel des sizilianischen Familienoberhaupts der Gambinos gerettet. Der Junge lebte normalerweise fernab der Mafia in Deutschland. Obwohl, etwas bekam er wohl schon mit, da sein Vater Automobilzulieferfirmen in und um Wolfsburg besaß. Würde mich nicht wundern, wenn er hohe Funktionäre bei Volkswagen schmierte, um Verträge zu erhaschen. So lief das halt in unseren Kreisen. Wir hielten uns dort auf, wo es Geld zu verdienen gab. In den Bereichen Drogenkriminalität, Waffenhandel und Menschenhandel, die mir eh zuwider waren, mischten viele Gangs mit. Mir waren die Unterschiede zwischen Mafiafamilien und Banden ausgesprochen wichtig, da bei uns mehr Wert auf Ehre und Respekt gelegt wurde. Es gab italoamerikanische Familien, die mehr Geld mit Schrott und der Müllabfuhr verdienten als manche Gangs mit Drogen und Waffen. Weil die Mafia eben genau wusste, was sie tat und loyale Mitarbeiter hatte. Omertà. Unser Schweigegelübde, das die Familie schützen sollte. Leider gab es heutzutage viel zu viele Hasenfüße, die anfingen zu singen, sowie die Polizei sie inhaftierte. Erbärmlich. Ich schüttelte milde lächelnd den Kopf.

Aber zurück zu den Geschehnissen des Abends. Kaum waren wir angekommen, hatte schon der tiefe Bass des Fettsacks durch die Gambino-Villa gehallt. Lucius war dort mit seiner Freundin Emma zu Besuch. Da er ein Genovese war, hatte es mich nicht einmal gewundert. Luca hatte ihn freundschaftlich begrüßt, während der Boss aus San Francisco und meine Wenigkeit die üblichen Beleidigungen ausgetauscht hatten. Grinsend erinnerte ich mich daran, dass ich ihn wie immer beleidigt hatte. Lucius hatte nur als Erwiderung spöttisch gefragt, seit wann ich es Luca erlaubte, sich einen Bart wachsen zu lassen. Emma hatte mich freudig in ihre Arme geschlossen, weil sie mit mir jemandem zum Reden hatte. Von den sizilianischen Frauen konnte kaum eine fließendes Englisch. Von daher hatte Emma sich vor unserer Ankunft etwas fehl am Platz gefühlt. Doch sobald sie mit mir in einer beschaulichen Ecke saß, blühte sie auf und erwartete von mir, dass ich ihr alles von den Flitterwochen erzählte. Die Herren der Schöpfung unterhielten sich in der Zwischenzeit über Geschäftliches. Wissbegierig wie ich war, hatte ich mit einem halben Ohr zugehört und dabei mitbekommen, wie mein Mann einen Deal über Weinlieferungen nach Philadelphia abschloss. Herausragenden Wein für unsere Restaurants konnten wir immer gebrauchen. Onkel Sergio würde mit Lucas Geschäftstüchtigkeit zufrieden sein. Vor allem, da eh Zweifel an seiner Eignung für Einsätze aufgekommen waren. Klar, mein Mann war gutherzig, nicht so abgebrüht wie Emiliano oder Marco, doch hatte er bei unserer unvorhergesehenen Rettungsaktion im richtigen Moment eingegriffen und mir den Arsch gerettet. Ich erschauderte. Fast hatte ich mir eine Kugel eingefangen. Seit der Eheschließung war ich zu unaufmerksam, das musste ich schleunigst ändern.

Der alte Gambino hatte sogar hinterher zugegeben, dass er uns hauptsächlich mit dem Hintergedanken eingeladen hatte, uns für seine Familie zu rekrutieren. Dabei war es ihm vor allem um Luca gegangen, da der Sechzehnjährige in den höchsten Tönen von dessen Mut und Treffsicherheit geschwärmt hatte. Tja, stand ich ausnahmsweise mal nicht im Mittelpunkt. Hatte mir sogar ganz gut gefallen. Lieber agierte ich vom Hintergrund aus.

Apropos Hintergrund. Zwei Bodyguards folgten uns auf Schritt und Tritt, um jede unserer Bewegungen zu bewachen. Emmas und meine, um genau zu sein. Luca hatte sich mit Lucius verabredet und ich hatte keinen blassen Schimmer, was die beiden Taugenichtse in diesem Moment ausheckten. Dafür war ich mit Emma auf Sightseeing-Tour in Palermo.

Tempestuoso - A Storm is ComingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt