Kapitel 27 ✔️

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Seit einigen Stunden fuhr ich am South Platte River entlang, als mir eine alte Westernkomödie in den Sinn kam und ich anfing, im Auto das Lied der Abstinenzlerinnen aus voller Brust zu singen.

„Wohlauf, jetzt geht's nach Denver, der Tugend helft zum Sieg! Dem Schnaps, dem geht's an Leder, zieh'n wir in den Krieg! ........ Keinen Tropfen mehr, Ihr Sünder, keinen Tropfen mehr!"

Denn genau dorthin führte mich jetzt der Weg, nachdem ich die Nacht in einem Motel bei Lincoln verbracht hatte. Es gab zwei Gründe, warum ich nach Denver wollte. Zum einen stand der Besuch bei einem Staatsanwalt im Ruhestand an, auf den er aller Wahrscheinlichkeit nach gern verzichtete.

Zum anderen hatte ich seit Ewigkeiten kein Museum besichtigt, und es zog mich ins History Colorado Center. Hauptsächlich wegen der Ausstellung über die Ute. Des Weiteren hatte ich Lust, durch das Denver Art Museum zu schlendern, um mir dort die Kunst nordamerikanischer Indianer anzuschauen.

Ich nahm an, dass es eine bessere Idee war, zuerst die Museen zu besuchen und im Anschluss die andere Angelegenheit erledigen. Das gäbe mir die Möglichkeit, nach der Stippvisite beim ehemaligen Staatsanwalt notfalls die Stadt fluchtartig abzuhauen.

Im ersten Museum faszinierte mich die Nachbildung des Old West Homestead in Keota, Colorado. Eine Schule, ein Gemischtwarenladen und andere Gebäude dieses verlassenen Ortes waren hier nachgebaut. Städte wie Keota waren durch den Homestead Act aus dem neunzehnten Jahrhundert entstanden, der es Menschen über einundzwanzig erlaubte, sich ein vierundsechzig Hektar großes Areal abzustecken und zu bewirtschaften. Nach einer Dauer von fünf Jahren wurden die Siedler dann zu Eigentümern, außer man zahlte eine Gebühr, gehörte einem das Land bereits nach sechs Monaten. Von Interesse war für mich auch, dass selbst Frauen allein ein Gebiet für sich beanspruchen durften und dabei nicht auf einen Mann angewiesen waren. Erstaunlich fortschrittlich für eine Zeit, in der eine Frau laut den meisten Zeitgenossen nur an den Herd gehörte und ihrem Ehemann zu dienen hatte. Lara Croft-Nummern waren da eher unerwünscht, auch wenn die Siedlerfrauen sehr wohl mit einem Gewehr schießen konnten. Meiner Situation gar nicht mal unähnlich. Italienische Mafiosi waren zuweilen üble Machos und erwarteten von ihren Ehefrauen, dass diese brav zuhause auf sie mit einem leckeren Essen warteten. Ob Luca sich ebenfalls so aufspielen würde? Mein Herz krampfte zusammen und ich verscheuchte schnell den Gedanken an ihn.

Im Denver Art Museum bewunderte ich vor allem die Navajo Teppiche. Ich hatte schon früher davon gehört, wie geschickt sie darin waren, diese zu weben, aber sie mit eigenen Augen zu sehen, war noch etwas ganz anderes.

Die bestickte Pfeifentasche der Lakota aus dem letzten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts faszinierte mich, trieb mir gleichzeitig die Tränen in die Augen, weil sie mich an Michael erinnerte. Der Große fehlte mir. Fluchtartig verließ ich das Museum und versuchte, mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Jake Campbell, ein Staatsanwalt im Ruhestand und alter Vertrauter von Sam Hudson. In meiner Kindheit hatte ich fürchterliche Angst vor ihm, weil mir seine Blicke nicht geheuer waren. Hudson hatte mir obendrein eingeschärft, mich nie allein mit diesem Typen irgendwo aufzuhalten. Irgendwas war faul an der Sache. Abgesehen davon hatte er sich in seiner Tätigkeit als Staatsanwalt gerne mal von den angesehenen Mitgliedern der Gesellschaft bestechen lassen und Unschuldige in den Knast gebracht, damit die Söhne der Reichen für ihre Verbrechen nicht geradezustehen brauchten. Meist ging es um Fälle wie sexuelle Belästigung und Vergewaltigungen. Aber die Mafia war rein böse, alles klar. Ich schüttelte den Kopf, presste die Lippen zu einem schmalen Strich.

Campbell wohnte im Viertel Cherry Creek, einem der wohlhabendsten von Denver. Ich kaufte schnell etwas Verpflegung für die Observation ein und parkte mein Auto dann bei seiner Villa. Von der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtete ich seine Auffahrt. Die Wartezeit kroch dahin, wie die Schnecke an einer Mauer. Wie hielten Polizisten das nur aus?

Tempestuoso - A Storm is ComingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt