2.

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"Es tut mir wirklich leid, Signorina Bianchi."

"Was tut Ihnen leid?", keifte Ariana ihren Chef an. Das durfte alles nicht wahr sein! Immer wenn sie dachte, es könne nicht noch schlimmer kommen, kam es gleich doppelt so schlimm, "Ich habe ein Kind, Signore Ricci! Wissen Sie was es für mich bedeutet, wenn Sie meine Stelle streichen? Ich sitze morgen auf der Straße!"

"Nun übertreiben Sie mal nicht, Signorina! Ich kann es auch nicht ändern. Die Firma schreibt seit letztem Jahr nur noch rote Zahlen. Wir müssen das Personal auf ein Minimum reduzieren, um diese Krise zu überstehen."

"Sie sind ein selbstgefälliges Arschloch, Signore Ricci! Sonnen sich gemütlich in ihrem Ferienhäuschen auf Sizilien, fahren jedes Jahr einen neuen Sportwagen und besitzen eine protzige Villa in eines der besten Stadtteile von Mailand. Aber Sie haben kein Geld, eine Mutter weiter anzustellen, die am Existenzminimum lebt. Sie sollten sich in Grund und Boden schämen!" Ariana war außer sich vor Wut und langsam stiegen ihr die Tränen der Verzweiflung in die Augen.

"Ich werde nicht zulassen, dass sie mir mit solch einer respektlosen Art gegenübertreten. Verlassen Sie bitte sofort mein Büro. Sie haben Hausverbot!" Signore Riccis Gesichtsausdruck wurde zunehmend wütender und er griff bereits nach dem Telefonhörer, bevor er hinzu fügte: "Verschwinden Sie, oder ich rufe den Sicherheitsdienst!"

"Ficken Sie sich ins Knie, sie hässlicher Bastard!", schrie die junge Frau und mit wehendem Haar, lief sie aus dem Raum und durchschritt das Großraumbüro, in dem sie noch vor wenigen Minuten gearbeitet hatte. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie sich ihre wenigen persönlichen Dinge vom Schreibtisch schnappte und in ihre Handtasche packte. Sie hatte keine Ahnung, wie es weitergehen würde, noch, wie sie überhaupt ihre Rechnungen bezahlen sollte.

Als Ariana im Bus nach Hause saß, lag ihr Versagen schwer auf ihren Schultern. Sie würde niemals schnell genug einen neuen Job finden, nicht mit ihrer Qualifikation. Müde vom Leben, legte sie ihren Kopf an die kühle Scheibe des Buses und schloss für einen Moment die Augen. Hinter ihr hörte sie zwei Mädchen über den neusten Film auf Netflix diskutieren und dessen heißer Hauptdarsteller aus Italien stamme. Irgendwo im Bus hörte jemand Musik und weiter vorn, hustete jemand auffällig laut. Doch erst, als Ariana das Prasseln des Regens auf der Scheibe vernahm, blickte sie auf. Sie weinte und die Wolken über Mailand, taten es ihr gleich. Der Himmel hatte sich schwarz verfärbt und die Menschen rannten ziellos unter Markisen und zu Hauseingänge, um sich irgendwie zu schützen. Soviel zum Thema, es könnte nicht schlimmer kommen.

Irgendwann hielt der Bus an der Endhaltestelle an und Ariana stieg aus. Es war ihr egal, ob der Regen ihr Sommerkleid durchnässte oder die Sandalen über den dämpfigen Asphalt rutschten. Was machte es schon, wenn sie sich eine Erkältung holte, es würde doch sowieso niemanden interessieren.

Während der Himmel sich über den Norden Italiens ergoss, erreichte Ariana ihre Wohnung und stieß die Tür auf. Verzweifelt lehnte sie sich gegen die alte Holztür und sank langsam zu Boden. Ihr Gesicht vergrub sie in ihren Händen und ließ abermals den Tränen freien Lauf. Sie war selbst zum Sterben zu arm. Wie sollte sie ihrer Tochter je ein normales Leben ermöglichen, wenn sie doch selbst nicht dazu imstande war?

Eine ganze Weile saß sie so da und suhlte sich im Selbstmitleid, bis sie schließlich ihr Handy aus der völlig durchnässten Handtasche zog und die Nummer ihrer Mutter wählte. Es war Zeit, sich einzugestehen, dass sie versagt hatte.

***

Die Scham, ihren Eltern von ihren Geldsorgen zu berichten, war groß, doch ihre Verzweiflung und Angst vor der Zukunft noch viel größer. Zum Glück hatte sich ihre Mutter gemeldet und nicht ihr Vater. Sie hörte schon seine belehrenden Worte, wie er ihr an den Kopf werfen würde, dass er ihr doch von Anfang an gesagt hatte, dass sie einen Fehler machen würde. Ja, sie hatte einen Fehler gemacht, doch der ließ sich nun nicht mehr beheben. Innerhalb von wenigen Tagen, hatte sie ihre Zelte in Mailand abgebrochen und war, ohne noch einmal zurück zu blicken, in den Zug nach Rom gestiegen. Das Ticket hatten ihre Eltern bezahlt, wofür sie sehr dankbar war.

Mess me up, Mr. MorroneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt