Kapitel 1

369 9 0
                                    

"Nein, nein, das ist kein Problem", erklärte ich freundlich am Telefon obwohl ich eigentlich am Ausrasten war.

"Nein, wenn Sie sich von Mr Carson besser beratet fühlen dann ist es nur richtig wenn sie zu ihm wechseln wollen", beteuerte ich weiter obwohl ich Carson am liebsten erwürgen würde. Nachdem das Ehepaar sich noch einige Male versichert hatte, dass ich nicht wütend war, legten wir dann schlussendlich auf. Genervt fuhr ich mir mit beiden Händen durchs Gesicht und war froh, dass gleich Feierabend war, denn mein Make-Up war jetzt bestimmt verwischt. Ich seufzte kurz bevor ich mich wieder aufrecht in meinen Bürostuhl setzte und meine Schultern straffte. Ich arbeitete bereits seit zwei Jahren in dieser Versicherungsfirma und genau so lange läuft schon diese Kindergartenschikane mit James Carson, der ebenfalls hier arbeitet. Immer wieder stiehlt er mir meine Kunden und genau so oft spielt er irgendwelche Streiche oder gibt unnötige Kommentare über mein Privatleben ab. Und obwohl ich es kindisch fand, zahlte ich es ihm auf die gleiche Weise heim. Doch das Schlimmste an dem Ganzen war eigentlich, dass ich seit circa einem Jahr ständig von ihm träumte und mir das wirklich unangenehm war, wenn wir uns im Büro begegneten, da es wirklich keine anständigen Träume waren. Dabei sah er nicht mal schlecht aus mit seinem gebräunten Teint, seinen emeraldgrünen Augen und seinen dunkelbraunen Haaren, die ihm immer verwuschelt in der Stirn hingen. Er sah so ganz anders aus als Luke. Bei dem Gedanken spürte ich ein Ziehen in meiner Brust und ich seufzte wieder.

Und gerade heute musste er mir wieder einen Kunden abwerben. Dabei hatte ich morgen ein Gespräch bei den Chefs in dem es um eine Beförderung ging. Carson hatte sich auch für die Stelle beworben, wie so viele andere auch, und versuchte mich durch unfaire Mittel wahrscheinlich auszuboten. Dabei hatte ich es schon schwer genug als eine der wenigen Frauen in dieser Firma und als einzige die sich beworben hatte, da es, laut der Personalabteilung, gut für die Frauenquote wäre. Ich lehnte mich in meinem Bürostuhl zurück und blickte auf die Uhr, die mir sagte, dass ich Feierabend hatte. Ich schnappte mir meine Tasche und verließ schnell das Gebäude und hoffte, dass niemand mich sah um mich aufzuhalten. Nach einigen Minuten Fahrt kam ich dann vor einem kleinen Haus an und hörte an der Tür schon ein fröhliches Kinderlachen, welches mein Gesicht gleich erhellte. Ich sperrte auf und rief ein lautes 'Hallo' durchs Haus während ich mich meines Mantels entledigte und mir meine Absatzschuhe von den Füßen streifte. Kaum war dies getan hörte ich auch schon ein lautes Kichern und leichtes Getrippel.

"Mama!", konnte ich gerade noch hören und schon wurden meine Beine von kleinen Ärmchen umarmt. Lächelnd tätschelte ich den Kopf meines dreijährigen Sohnes und wartete, dass er mich losließ.

"Na, Timmy, wie war dein Tag?", fragte ich ihn immer noch lächelnd und hockte mich vor ihn.

"Gut, Jenny und ich haben eine Ritterburg gebaut", erzählte er ganz aufgeregt. In dem Moment kam Jennifer, eine junge Studentin und Timothys Babysitterin, in den Flur und lächelte schüchtern.

"Hallo, Mrs Turner", begrüßte sie mich.

"Hallo, Jennifer. Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du mich Hailey nennen sollst? Du bist immerhin nur zwei Jahre jünger als ich" Tim zog ungeduldig an meiner Hand um mich ins Wohnzimmer zu zerren und mir seine Ritterburg zu zeigen. Lachend ließ ich mich mitziehen, konnte aber noch im letzten Moment meine Tasche schnappen. Im Wohnzimmer stand dann die kleine Ritterburg, die ich ihm zum Geburtstag gekauft hatte aber noch keine Zeit hatte sie aufzubauen. Dankbar sah ich zu Jenny, die gerade dabei war ihre Sachen einzupacken. Wenn Tim seinen Mittagsschlaf hält, lernt sie immer für ihre Prüfungen. 

"Die sieht toll aus", bestaunte ich die Burg und kniete mich neben meinen Sohn, der schon wieder total in seinem Spiel vertieft war und gar nicht mitbekam, dass ich mit ihm sprach. Also stand ich wieder auf und wühlte in meiner Tasche nach meinem Portmonnaie. Ich holte einige Scheine raus und reichte sie Jenny, die sie dankend einsteckte.

"Also dann bis morgen gleiche Zeit?", fragte ich sie und sie nickte lächelnd. Sie kniete sich nochmal neben Tim.

"Tschüss Timmy. Bis morgen", verabschiedete sie sich und breitete ihre Arme aus, in die er sich natürlich gleich reinfallen lässt und sie fest an sich drückt. Zum Schluss drückte er ihr noch schüchtern einen Kuss auf die Wange. Schmunzelnd verdrehte ich die Augen.

"Tschüss Jenny", verabschiedete er sich nochmal als wir sie bis zur Tür begleiten. Als sie weg war, drehte ich mich zu ihm um und klatschte in die Hände. 

"So, kochen wir was hübsches" Er strahlte über das ganze Gesicht und nickte. Ich hob ihn hoch und setzte ihn auf meine Hüfte und ging so mit ihm in die Küche. Ich setzte ihn auf die Arbeitsplatte ab und sah nach was wir noch im Kühlschrank hatten. Wenig später standen dann eine dampfende Schüssel Kartoffeln auf den Tisch und Schnitzel mit Pilzsoße. Ich schnitt sein Fleisch klein, während er seine Kartoffeln zerstampfte und mir von seinem restlichen Tag mit Jenny erzählte. Kurz darauf war dann auch schon Bettzeit für ihn. Ich half ihn in seinen Pyjama und sorgte dafür, dass er sich richtig die Zähne putzte. Als er schließlich im Bett lag, erzählte ich ihm eine Geschichte und strich ihm durch seine weißblonden Haare, die sein Vater ebenfalls hatte, als er ein Kleinkind war. Als Tims Atemzüge immer regelmäßiger wurden, hörte ich auf und gab ihm einen Kuss auf die Stirn nachdem ich ihn nochmal richtig zugedeckt hatte. Ich machte den Babymonitor neben ihm an und verließ dann leise sein Zimmer. Im Flur blickte ich auf mein Handy um mich zu versichern, dass der Monitor auch funktionierte. Timothy schlief nur selten durch, da er oft von Alpträumen geplagt wurde. Schleichend schritt ich die Treppe wieder runter ins Wohnzimmer und setzte mich an meinen Laptop um mich noch etwas in das Stellenangebot reinzulesen, damit ich morgen auf jede Frage gut vorbereitet war. Ich rieb mir meine Schläfen als ich aufblickte und in das erwachsene Ebenbild meines Sohnes sah. Ich schloss die Augen und seufzte.

"Es wäre alles viel einfacher wenn du hier wärst, Luke", sprach ich zu dem Bild obwohl ich es doch eigentlich besser wusste. Denn Luke kam nicht mehr zurück.

Behind these wallsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt