Kapitel 4

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Die ganze Situation kam mir so surreal vor. Ich steuerte das Auto durch den Verkehr während James Carson neben mir saß und zu 'Humpty Dumpty' mitsummte als würde er dies andauernd in seinem Auto spielen. Tim saß zufrieden in seinem Stuhl, wippte mit seinen Füßen und sang leise den Text mit. Immer wieder fragte ich mich wie ich mich zu so einer Situation überreden lassen konnte. James schien sich gar nicht daran zu stören, im Gegenteil, er schien richtig zufrieden zu sein. Ich verstand ihn einfach nicht. Immer wieder ließ er sich neue Streiche einfallen um mich zu ärgern und trotzdem war er derjenige, der ohne zu zögern auf Tim aufpassen wollte. Vor einem Jahr hätte ich das gar nicht für möglich gehalten und nun fand ich es einfach nur liebenswert von ihm. Verdammt Luke, ich habe keine Ahnung, was ich hier eigentlich tue, dachte ich mir.

"Was magst du denn am Liebsten auf dem Spielplatz?", fragte James als er sich zu Tim umdrehte. In seiner Stimme schwang immer wieder diese Ernsthaftigkeit mit um meinem Sohn zu zeigen, dass er sich für ihn interessierte. Tim unterbrach seinen Gesang und sah James ernst an.

"Die Schaukeln", sagte er als wäre das die wichtigste Frage, die er je in seinem Leben zu beantworten hätte.

"Ich liebe die Schaukeln", meinte James und nickte nochmal überzeugend.

"Die sind wirklich schnell. Magst du sie deswegen?" 

"Sie gehen hoch", erklärte mein Sohn mit einem verwirrten Blick zu James. Ich glaube, ich verstand, was er meinte. Da war dieser Moment, in dem man völlig schwerelos war, als würde die Gravität einen Atemzug nehmen und warten, dass man wieder zurück kommt. Diese eine Sekunde, in der man sich komplett frei von allem fühlte.

"Ich wette, James kann nicht so hoch schaukeln wie du?", fragte ich Timmy und grinste kurz zu James bevor ich mich wieder auf die Straße konzentrierte. Er versuchte dieses 'coole' Gehabe, versagte jedoch dabei.

"Ich denke, Mama weiß nicht, dass sie mit dem Schaukel-Champion spricht", sagte er zu Tim.

"Ich wette, ich kann viel höher schaukeln als du"

"Nein, das kannst du nicht", quietschte Tim vergnügt und trat mit seinen Füßen, vor Aufregung, in die Luft.

"Weißt du was? Wenn du höher schaukelst als ich, kaufe ich dir ein Eis, abgemacht" Herausfordernd hob James eine Augenbraue.

"Abgemacht", kicherte Tim begeistert.

-

Kurze Zeit später saß ich auf eine der Bänke im Park in der späten Nachmittagssonne, während das Vanilleeis über meine Finger lief.

"Mist", flüsterte ich und leckte das Eis von meinen Fingern bevor es auf meinen Rock tropfte. Neben mir lachte James leise. 

"Ich weiß nicht was du so lustig findest", neckte ich ihn, konnte das Lächeln jedoch nicht verhindern.

"Du hast Schokolade am Kinn" James hatte sich für ein Schokoladen-Stieleis entschieden und aß es wirklich sündhaft langsam, leckte und saugte daran in einer Art, die mich an meinen Traum aus vergangener Nacht erinnerte und mich die Beine überschlagen ließ. Dabei versuchte ich nicht rot zu werden. Mein Blick flog wieder zu Timothy, der mit zwei anderen Kindern auf dem Spielgerüst herumturnte und fröhlich kicherte als hätte er keine Sorgen auf dieser Welt.

"Lügner", meinte James als er an sein Kinn fasste und keine Schokolade vorfand. Ich grinste ihn frech an. Schweigend aßen wir unser Eis zu Ende. Tim hatte seins so schnell hinabgeschlungen, dass ich befürchtete er könnte Kopfschmerzen bekommen, doch ihm schien es gut zu gehen. James hat ihn natürlich in ihrem kleinen Wettkampf gewinnen lassen und eine große Show darüber abgezogen gegen einen Dreijährigen verloren zu haben. Er sonnte sich in der Aufmerksamkeit, die mein Sohn ihm schenkte.

"Du hast ein Patenkind?", fragte ich einfach um eine neue Konversation zu starten. Das war die erste Diskussion zwischen uns nach dem Bewerbungsgespräch und ohne dass Tim dabei war und es hatte sich etwas zwischen uns verändert. James nickte.

"Er ist etwas älter als Tim, sechs oder sieben, denke ich? Er ist der Sohn eines der besten Freunde meines Vaters" Er spielte mit dem Stoff seiner Anzughose und folgte Tim mit seinen Augen.

"Ich liebe es mich um ihn zu kümmern. Anfangs dachte ich es wäre schrecklich" Ich lachte.

"Das ist es" Er musste auch lachen.

"Natürlich ist es das. Aber du gewöhnst dich an den Terror, das ist alles" Ich fand das eine ziemlich gute Beschreibung für Erziehung.

"Du weißt", setzte James vorsichtig an "Die Damen aus der Finanzabteilung waren etwas überrascht von Timmys kleinem Besuch" Ich blickte verwirrt zu ihm rüber.

"Wie meinst du das?" Es wunderte mich nicht, dass die Neuigkeiten, dass ich einen Sohn habe, schon durch die ganze Firma verstreut wurden aber ich verstand James' Ton nicht. Dieser setzte ein verschwörerisches Grinsen auf.

"Sie haben immer wieder versucht dich zu verkuppeln." Ich gab einen überraschten Laut von mir.

"Nun ja, eigentlich bin ich ja auch single"

"Sie haben dich versucht mit Frauen zu verkuppeln" Das musste ich kurz verdauen.

"Aber warum?" 

"Nun ja, man hat dich ja auch nie mit einem Kerl gesehen also dachte man immer du wärst nicht so an dem anderen Geschlecht interessiert. Tim beweist jedoch das Gegenteil"

"Man hat mich aber auch noch nie mit einer Frau gesehen", bemerkte ich. James zuckte mit den Schultern und ich wusste nicht warum ich gerade dieses plötzliche Gefühl hatte etwas persönliches los zu werden.

"Tatsächlich hatte ich mal etwas mit einem Mädchen", gestand ich. Überrascht musterte er mich.

"Du bist bi?" Ich zuckte mit den Schultern.

"Keine Ahnung. Vielleicht. Das war lange vor Tim. Da war diese Zeit in der High School, in der ich etwas experimentiert hatte. Aber es ist nur bei diesem einen Mädchen geblieben. Ich kann mich nicht mal mehr erinnern ob es mir gefallen hatte oder nicht. Ich denke, ich mag einfach, wen ich mag" James nickte.

"Das gefällt mir. Ich mag einfach, wen ich mag"

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