Nur ein Traum...

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Kaely

Sophie und ich haben noch eine Weile geredet, bis ich dann schließlich nach Hause gegangen bin. Ich hörte die ganze Zeit die besorgte Stimme ihrer Gedanken wispern, während sie unruhig eine Strähne ihres langen goldblonden Haars zwirbelt.

Erst begriff ich nicht was mit ihr los war und drang mit einem Blick in ihre hellblauen Augen tiefer in ihr Bewusstsein ein. Da konnte ich klare Bilder erkennen. Ich sah Jacks zerfetzten Kadaver auf dem kalten Betonboden liegen und Liss mit Miranda wie sie sich grausam lachend darüber beugten. Dann hörte ich wie ihre Gedankenstimme sie unwirsch ermahnte, dass sie soweit niemals gehen würden. Das Bild verschwand und wurde durch ein neues ersetzt. Miranda, die Jack die Arme auf den Rücken gedreht hatte und Liss, die ihn mit voller Wucht ins Gesicht schlug. Diesen hustete rasselnd und spuckte Blut mitsamt einen Zahn aus. Die Gedankenstimme zog diese Möglichkeit in Erwägung. Sophies Kopf produziert eine neue groteske Szene, die eigentlich nur aus Jacks Schreien und Liss' und Mirandas Lachen bestand. Ich zog mich aus ihrem Kopf zurück. Eigentlich ist Sophie der Realist in unserer Gruppe, jedoch ist sie auch immer sehr besorgt um das Wohl ihrer Mitmenschen. Ich versuchte sie nach Möglichkeit zu Beruhigen, Liss und Miranda sehen Jack zwar gerne leiden, aber ich denke sie würden ihn nie ernsthaft verletzen. Sophies Gedankenstimme wurde leiser und ich ging nach Hause.

Nun sitze ich hier und denke über den Tag nach.Vielleicht hätte ich bei Sophie bleiben sollen, allerdings könnte sie mich anrufen, würde sie reden wollen. Sie regt sich immer so furchtbar auf wenn die beiden hinter Jack her jagen. Keiner außer ihnen weiß so wirklich was sie mit ihm anstellen und an ihre Gedanken komme ich nicht ran. Durch Mirandas kriechen immer riesige schwarze Spinnen, sie scheint an nichts anderes zu denken, daher schnappe ich immer nur Satzstücke und Bildfetzen auf. Bevor ich etwas wirklich gesehen habe krabbelt immer eine Spinne drüber. Bei Liss ist das sehr merkwürdig. Ihre Gedanken sind irgendwie verschlüsselt, vermutlich noch nicht einmal absichtlich. Ich kann nur hören und sehen, was ich wissen soll, oder was ohnehin schon offensichtlich ist. Es könnte etwas mit ihrer hohen Konzentrationsfähigkeit zu tun haben,die sie meiner Vermutung nach aus Karate besitzt. Wie auch immer, ich versuche schon seit Jahren einen klaren Gedanken aus einem der beiden Köpfe zu entnehmen. Ich beginne mich zu langweilen und schlage ein Buch auf. Es ist ein Fantasybuch, etwas anderes lese ich kaum.

Den restlichen Tag verbringe ich hinter meinem Buch, was bei mir keine Seltenheit ist. Es dämmert schon als ich das es schließlich doch zuschlage. Mein Blick richtet sich auf die Zimmerdecke. Dort lässt sich eine Spinne an einem dünnen seidenen Faden herab. Ich habe nichts gegen die kleinen Tiere. „Können Spinnen eigentlich denken?" , schießt es mir durch den Kopf. Diese Frage habe ich mir schon bei vielen Tieren gestellt. Die meisten Säugetiere sind dazu begrenzt in der Lage, allerdings muss ich ihnen die Hand auflegen, um an den Bildern in ihrem Kopf teilhaben zu können. Sie denken anders als Menschen und es ist schwerer in ihr tieferes Bewusstsein vorzudringen. Dorthin, wo die Erinnerungen aufbewahrt werden. Bei Menschen ist es leichter. Vielleicht weil der Mensch nicht mehr nur nach seinem Instinkt handelt.

Bei Insekten ist es anders. Ich habe noch kein klar denkendes Insekt entdeckt. Die Kopfbilder sind immer wie verpixelt. Aus diesem Grund habe ich keine allzu große Hoffnung, als ich meine Hand unter die Spinne halte, damit sie über meine Finger krabbeln kann. Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf das Gehirn den kleinen Wesens auf meinen Handfläche. Es ist ungewöhnlich aufgebaut. Der Ströme von Wahrnehmungen schießen stoßartig durch ein unsystematisches Netz von Nervensträngen. So etwas habe ich noch nie gesehen.Ich hasche nach den Gedankenblitzen, und linke mich in das System ein. Zunächst wird alles schwarz. Dann taucht vor mir ein merkwürdiges Bild auf. Es ist ein gigantischer makellos brauner Kreis, mit einen pulsierenden dunklen Mitte. Erst ist mir nicht klar was ich da sehe, dann realisiere ich, dass es mein Auge ist. Offensichtlich habe ich mein Bewusstsein mit ihrem verknüpft und sehe nun alles aus ihrer Perspektive . So etwas habe ich noch nie erlebt und ich frage mich, wie ich es geschafft habe. Neugierig versuche ich ein Bein der Spinne zu heben, doch über ihren restlichen Körper scheine ich keine Kontrolle zu haben, anscheinend kann ich lediglich durch ihre Augen sehen. Ich nehme alles wie durch ein Vergrößerungsglas wahr. Aber warum ist mein menschliches Auge so verdammt nah? Ich, beziehungsweise die Spinne, sieht sich um. Um mich herum befinden sich bräunliche Hügel. Offenbar habe ich die Hand vor mein Auge gehalten, um eine bessere Verbindung aufzubauen. Die Spinne bewegt ihre gegliederten Beine und der braune Kreis kommt immer näher. Dann wispert ihre Gedankenstimme. Überraschenderweise in meiner Sprache. Sie sagt, bald ist es soweit, bald sind sie am Ziel und die dummen Menschenkinder merken es nicht. Dabei krabbelt sie immer weiter auf mein Auge zu. Plötzlich setzt sie zum Sprung an. Blitzschnell springe ich in meinen Körper zurück, und kneife die Augen zu.

Ich öffne sie langsam wieder und um mich herum herrscht Dunkelheit. Mein Nacken fühlt sich steif an und auf meinen Schenkeln spüre ich das Gewicht des dicken Fantasybuchs. Keine Spinnen weit und breit.

Nur ein Traum

Ein verdammt real wirkender

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