Kapitel 11

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Pov Anja
Marie ist wieder eingeschlafen und scheint ruhig zu sein.
"Mensch, mein Kind, was ist denn mit dir?", flüstere ich unhörbar und streiche ihr vorsichtig die Strähne aus dem Gesicht.
Ja, ich mache mir Sorgen um sie, klingt verrückt, aber es ist wahr. So ist es auch in der Mannschaft. Egal wer was hat, kann immer zu mir. Immer bin ich auch das offene Ohr der Mannschaft. Aber so, wie um meine Marie habe ich mich selten um jemanden gesorgt. Was wohl wirklich gestern passiert ist, zwischen ihr und ihrem Vater?
Maries Frage ist berechtigt: warum wird sie so verletzt? Warum wird sie so behandelt?
Ein Mensch, der so viel durch machen musste, so viel erreicht hat. Warum? Sie ist nicht schwach, aber andere sehen Sie so, unterschätzen sie. Ein Mensch mit einer kleinen Einschränkung, mehr ist sie nicht. Sie muss von allen gleich berechtigt werden, gleich eingeschätzt. Was anderes hat sie nicht verdient.
Es gibt Momente, in denen sie nicht kann, in denen ihr Körper nicht kann, wie alle anderen. Das merkte ich auch öfter beim gemeinsamen Training. Das muss akzeptiert werden.
Das hat sie mir auch so gesagt: Sie will gleichberechtigt, akzeptiert und verstanden werden. Viele verwechseln das mit Mitleid und Ausgrenzung.

"Hey, machst du dir immer noch Sorgen?", wie viel Zeit ist eigentlich vergangenen? Ich weiß es nicht, auf jeden Fall kommt Lena zu mir und setzt sich neben mich.
"Beobachtest du mich schon lange? Ich denke etwas nach.", sage ich bewusst, denn ich weiß, dass ich von ihr und vielen Kollegen gerne beobachtet werde. 'Obwohl ich gar nicht weiß, was an mir so interessant sein kann', in Gedanken zucke ich mit den Schultern.
"Willst du hier bleiben? Ich kann uns Essen machen", sie gibt mir einen Kuss und verschwindet. Ich selbst lege mich zu Marie und nehme sie in den Arm. Sie braucht mich - jetzt, später, immer. Egal in welcher Situation!

Pov Anja Zukunft
"Super Marie! Weiter so. Präge deine Beinarbeit noch mehr aus.", nach mehreren Monaten wird sie immer besser.
Darauf bin ich stolz.
"Kopfballtraining gefällig?", ich weiß genau, dass ihr das großen Spaß macht, auch wenn sie relativ klein ist. Aber sie hat in den letzten Wochen ihr Sprung ganz schön gut ausgeprägt. Und das ohne mich. Ich komme so oft zu ihr, wie ich kann, heute ist es wieder so ein Tag.
"Flanke oder Zuwurf?"
"Flanke", gesagt getan. Ich nehme Anlauf und schlage eine Flanke in ihre Richtung.
Diesen Ball trifft sie nicht richtig, also wiederhole ich das Ganze.
Diesmal kommt er besser und Marie bringt den Ball ziemlich weit.
"Gut, nochmal?", sie nickt nur zustimmend und wartet auf meine Flanke. Die Kugel fliegt ziemlich hoch und Marie muss hoch springen, um ihn zu bekommen, doch trifft ihn nicht und fällt stattdessen hart auf den Boden. Direkt danach hält sie sich schmerzerfüllt das Knie.
"Scheiße!! Marie!! Kannst du dein Bein bewegen?"
"Geht schwer", das Knie selbst ist von Außen etwas angeschlagen, doch ich befürchte noch innere Schäden, so wie sie gefallen ist.
"Wir müssen zum Arzt, komm, ich helfe dir langsam hoch", man merkt, wie sie das gesamte Gewicht auf das rechte Bein verlagert und, mit dem linken, verletzten gar nicht auftritt.

Pov Anja
Sofort schüttle ich den Gedanken weg, aber bin mir im Klaren, dass auch solche Momente nicht ausbleiben werden. Leider. Gerade sie ist wahrscheinlich sehr verletzungsanfällig. Das macht mir noch zusätzliche Sorgen. Da muss ich große Acht geben. Wie weit kann ich mit ihr gehen? Was kann sie alles in die Tat umsetzen?
Tausend Fragen im Kopf, doch keine Antwort und ein Gedanke: man kann Verletzungen nicht verhindern, nicht voraussehen und man darf sie nie unterschätzen.
So schlafe auch ich ein, mit der Gewissheit, dass sie bei mir ist.

Pov Marie
Das helle Tageslicht blendet mich etwas. Wo bin ich? Welches Jahr haben wir? Verwundert blicke ich durch den Raum, der mir überhaupt nicht bekannt ist.
Ich bin nicht allein im Bett. Anja hat sich an mich gekuschelt und schläft.
Ach jetzt fällt mir wieder ein. Wir müssten bei Lena sein, da mir schlecht war, jetzt habe ich Hunger.
'Ich muss unbedingt was essen' vorsichtig lege ich Anjas Arme zur Seite und steige auf dem Bett.
Kurz ist mir schwindelig, doch ich kann mich gerade so noch auf den Beinen halten.
Ganz leise folge ich den Geräuschen in der Wohnung und lande in der Küche.
"Lena?"
Sie ignoriert die Herdplatte und kommt zu mir.
"Marie, wie geht's dir? Hast du noch Schmerzen oder ist dir schlecht?", sie nimmt mich in den Arm und sofort steigt mir der Duft ihres Parfums in die Nase.
"Alles ist gut. Habe nur Hunger. Anja schläft übrigens"
"Trifft sich ja gut, das Essen ist bald fertig. Ich glaube, den braucht sie, sie hat die letzten Nächte schlecht geschlafen. Sie hat..."
"Sie hat sich Sorgen um mich gemacht?", sage ich fast leise und setze mich etwas verzweifelt an den Tisch. Naja etwas ist gut gesagt.
"Ja. Du musst ihr echt viel bedeuten."
"Das weiß ich, aber sie soll sich verdammt nochmal nicht so viele Sorgen um mich machen, auch wenn das lieb ist. Aber das weiß sie, doch sie will nicht auf mich hören. Was soll ich mit ihr machen? Ich meine, den Kopf abreißen kann ich ihr nicht.", seufze ich und schau Gößling an.
"Aber du kannst mit ihr reden. Und ihr klar machen, was dich stört! Du hast es nicht gern, wenn man sich um dich Sorgen macht", ich nicke nur und überlege, was ich denn meiner lieben Anja sagen kann, ohne sie damit zu überrumpeln.

"Aber weißt du, ich finde es ziemlich süß von ihr, wie sie für mich da ist! So war es noch keiner für mich.
Mein Vater ist gestern zu mir gekommen und hat mich nieder gemacht, weil ich Fußball spiele."
"Oman, Marie! Das tut mir so leid, aber weißt du was? Mir ging es ähnlich wie dir, meine Eltern waren total dagegen, dass ich spiele. Ich hab mein Ding gemacht und auf niemanden gehört"

"Und genau das solltest du auch tun.", eine mir sehr vertraute Stimme ertönt im Raum.
Ich versuche wirklich ernst zu bleiben und räusper mich.
"Anja, können wir reden?"
"Natürlich können wir das. Was hast du denn?", sie führt mich zurück ins Schlafzimmer und wartet.
"Anja. Es ist nicht böse gemeint. Aber du machst dir zu viele Sorgen um mich. Lena hat mir erzählt, dass du kaum schläfst. Anja, das ist zu viel. Ich kann das nicht, wenn sich jemand so sehr um mich sorgt. Kannst du das nicht irgendwie auf minimal einstellen? Ich mache mir bei Bedarf auch um dich Sorgen, und ich bin dir auch wichtig, ja, aber das ist wirklich zu viel. Bitte Anja, tu mir den Gefallen. Das würde mir viel bedeuten. Oh nein, Anja! Nicht doch.", na super, ich Idiot bringe sie jetzt zum weinen! Hätte ich doch bloß die Klappe gehalten!
"Marie. Danke, dass du mir das so ehrlich gesagt hast. Ich mag dich wirklich sehr und mag es nicht, wenn es dir schlecht geht. Es tut mir leid. Ich versuche mich wirklich zurück zu halten.", sie nimmt mich in den Arm und beruhigt sich langsam.

Pov Lena
Marie hat recht, meine Freundin macht sich schon zu viele Sorgen und Gedanken um sie. Auch ich habe schon versucht, mit ihr zu reden, aber ich konnte mich nie durchsetzen. Hoffentlich kann es aber nun Marie.
"Tut mir leid, Anja! Ich wollte nicht..", vom anderen Zimmer sind Stimmen zu hören. Oje, weint Anja etwa?
"Nein, es tut mir leid! Ich durfte dich mit meiner Sorge nicht so überrumpeln. Ich habe mir wirklich viel zu viel Gedanken gemacht. Aber versprich mir eins: Rede mit mir, wenn du etwas hast und wenn es auch die kleinste Kleinigkeit ist. Komm zu mir und schütte dein Herz bei mir aus. Du bist mir wichtig und ich lasse es nicht zu, dass dich nochmal jemand so verletzt. Ich will für dich da sein, so viel es geht. Du bist mir so ans Herz gewachsen, kleine.", oh Gott ist das rührend! Ich kann nur da stehen und schmunzeln, wie süß die beiden. Irgendwas verbindet sie und ich kann mir schon denken was. Es ist wohl der Zusammenhalt, gegenseitig für einander da sein und Versprechen geben. Egal in welcher Zeit. Ja, das ist es glaube ich!
"Ich verspreche es dir. Aber du versprich mir bitte, dass du dir nicht mehr so viele Sorgen um mich machst. Weißt du, ich mag es nicht, wenn meine Freunde sich so sehr um mich sorgen, dass es ihnen nicht gut geht. Das darfst du nicht, hörst du? Ich werde Lena fragen, ob dus auch einhältst!"
"Ich passe schon darauf auf", mit einem breiten Grinsen laufe ich zu den beiden und nehme sie kräftig in den Arm.
"Ich verspreche es dir", meint Anja und bestätigt somit meinen Gedanken: gegenseitig versprechen und füreinander da sein, das ist das, was sie verbindet.

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