Zerbrochen

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Vorsichtig strichen seine Finger über die weißen Blüten, ehe Geralt den Stiel abzupfte.

Ohne die weiße Myrte zu beschädigen, schüttelte er sie aus. Kleine Insekten und Pollen rieselten herab, ehe er sie in den bereits prall gefüllten Beutel aus Leinen steckte aus dem ein süßer Duft verschiedener Kräuter drang.

Morgensonne prallte auf ihn herab. Es wurde Zeit zurückzukehren.

Mit schnellen Fingern schnürte Geralt den Beutel voller Kräuter und anderer Pflanzen zu und befestigte diesen an Plötzes Sattel. Geduldig hatte die Stute neben ihm gestanden und war ihm auf Schritt und Tritt durch den Wald gefolgt, hie und da nach ein paar Grashalmen schnappend.

Noch vor Tau und Tag war Geralt aus dem Anwesen geflohen, war dabei allerdings auf Triss gestoßen, welche ihn gebeten hatte die Liste der benötigten Zutaten für Tränke und andere magische Gebräue aufzustocken. Dankbar hatte sich der Hexer dieser Aufgabe gewidmet, auch wenn sie seinen Geist nicht zur Ruhe brachte.

Insbesondere nicht, da er sich nun auf sein Pferd schwang, nicht bereit zurückzukehren in die Mauern, in denen er sich Jaskier stellen musste und allem was zwischen ihnen stand. Yennefer würde das Gespräch suchen. Ihm klarmachen, dass er den Tatsachen ins Auge blicken musste.

Unausgesprochen stand die Wahrheit zwischen ihnen und selten hatte Geralt sich derartig überfordert gefühlt. Ratlosigkeit und Schuldgefühle schlugen auf ihn ein, kreisten in seinen Gedanken, ließen ihn nicht entrinnen.

Dazu kam die Tatsache, die ihm wie ein Fels auf der Brust lastete und ihm erneut ins Bewusstsein drang. Noch immer war es seine Schuld, dass Jaskier überhaupt in Nilfgaards Hände geraten war. Früher oder später würde der Barde auf diese Tatsache stoßen. Es gab kein Verzeihen.

Dumpf trotteten Plötzes Hufen über das taufeuchte Gras, ließen stetig den unebenen Waldboden hinter sich und in der Ferne blitzten die Fenster des Anwesens Geralt entgegen.

Eine Weile dauerte es bis er im Stall angekommen und seine Stute abgesattelt und versorgt war, ehe er das Haupttor aufstieß. Zu seiner Überraschung fand er die Halle dahinter nicht verlassen vor.

Auf der Treppe, das Gesicht halb verdeckt von einer Mähne aus rein blauem Haar blinzelte ihm ein Mädchen entgegen. Eine Schlinge aus weißem Stoff stützte einen ihrer dünnen Arme. Ihre Augen waren eingefallen, die Wangen hohl. Als Geralt endgültig eintrat, weitete sich ihr Blick erschrocken, sie sprang auf bevor er überhaupt den Mund geöffnet hatte und nahm mit waghalsigen Schritten die Treppe nach oben.

Keine zwei Sekunden später kam Triss in die Halle. Unter ihren Augen lagen ebenfalls dunkle Schatten, ihr Mund war eine einzige schmale Linie in ihrem schönen Gesicht.

"Wo ist sie hin?", fragte sie, atmete heftig aus, die Augen auf die Treppe gerichtet, "Nicht schon wieder."

Mit einem kurzen Augenrollen nahm sie Geralt den Sack mit den Kräutern ab.

"Danke dir."

Aus der Nähe wirkten ihre roten Haare ein wenig als wäre sie nur wenige Male unwirsch mit einem Kamm hindurchgefahren. Augenscheinlich war Geralt nicht der einzige der in dieser Nacht keinen Schlaf gefunden hatte.

"Jetzt muss ich nur noch Coleté wiederfinden.", seufzte Triss, entfernte sich von ihm und nahm ebenfalls die Treppe nach oben. Auf halber Höhe der Stufen wandte sich die Zauberin ihm noch einmal zu. Ihr meergrünes Kleid raschelte leise.

"Yennefer wollte dich sehen.", erklärte sie ihm. Deutlich traten ihre Gesichtszüge hervor, "Sie ist oben."

Mit diesen Worten verschwand sie endgültig. Stumm sah Geralt ihr nach bis ihre Schritte verklangen und einzig sein langsamer Herzschlag durch die Stille dröhnte. Seine Kehle war trocken allein bei dem Gedanken an das Gespräch, welches nun folgen würde.

Mit einem Fuß auf dem Treppenabsatz verharrte Geralt, versuchte seine wirren Gedanken zu ordnen und passende Sätze zurechtzulegen, mit denen er Yennefer klarmachen konnte, dass ihr gestriges Gespräch mit Triss nicht unbemerkt geblieben war.

Langsam setzte er sich in Bewegung, beschloss zunächst sein eigenes Gemach aufzusuchen um Rüstung und Schwert abzulegen. Wenige Meter vor der Tür erfüllten überraschend kleine schnelle Schritte das Haus. Momente später sauste ein Mädchen um die Ecke, ihre langen blonden Haare wehten hinter ihr her.

Als Geralt das Kind das letzte Mal gesehen hatte, lag Panik in den verschiedenfarbigen Augen, sie war bleich gewesen vor Angst. Nun lachte sie glockenhell und ihre Wangen glühten rosa. Den mitten im Gang stehenden Hexer ignorierte sie, ehe sie am anderen Ende verschwand.

In der Ferne öffnete sich eine Tür und eine unbekannte junge Stimme rief deutlich vernehmbar "Zehn!"

Belustigt trat Geralt in sein Zimmer, um dem Spiel nicht im Wege zu stehen. Das Holz der Tür dämpfte die Geräusche der spielenden Kinder und hüllte ihn erneut in seine Welt aus finsteren Gedanken und Sorgen.

Sein ungenutztes Schwert lehnte er samt Scheide gegen Wand, nahe der Laute welche noch immer an ihrem Platz verweilte. Jaskier sollte sie zurückbekommen. Vielleicht würde es ihn aufmuntern sein geliebtes Instrument erneut in den Händen zu halten.

Wie in Zeitlupe legte Geralt einzelne Teile seiner Rüstung ab, verstaute sie mit Sorgfalt, ehe er zurücktrat und sein Werk mit leerem Blick betrachtete. Allmählich gab es keinerlei Möglichkeit mehr Zeit zu schinden. Vielleicht war es das Beste, wenn er das Gespräch so schnell wie möglich hinter sich brachte und sie ergründen konnten wie es weitergehen sollte.

Erneut verließ er das Zimmer, fand nun die Umgebung verlassen und still vor. Grob steuerte er die Richtung des Westflügels an, um die Treppe auszumachen, welche in das folgende Stockwerk führte. Bisher hatte er die oberen und letzten beiden Etagen vermieden, da er wusste, dass dort die befreiten Menschen aus Nilfgaard in teils magisch veränderten Zimmern untergebracht waren. Bisweilen war Geralt weder in der Lage, noch in der Stimmung sich ihnen gegenüberzustellen, doch war ihm bewusst, dass er diesen Leuten hier nicht für immer aus dem Weg gehen konnte.

Schlagartig hielt der Hexer inne. Am Ende des Flures befand sich ein letztes Zimmer, dessen dunkle hölzerne Tür nur angelehnt war. Der vertraute, viel zu schnelle Herzschlag ließ ihn innehalten und nähertreten.

Zaghaft klopfte Geralt mit den Knöcheln gegen das Holz. Die Schritte die soeben noch unruhig auf und abgegangen waren verstummten und endgültig stieß er die Tür auf.

Mitten in dem Licht durchflutetem Zimmer stand Jaskier. Erneut war er verschwitzt. Mittlerweile waren seine sonst leuchtend blauen Augen blutunterlaufen und wirkten als hätte man ihnen das Licht dahinter gestohlen. Unruhig begannen seine Finger zu zittern, kaum dass er den Hexer im Türrahmen erblickte.

In dem kleinen Raum war es sehr warm. Zwei riesige nahmen nahezu eine komplette Seite der Wand ein, sodass die Sonne ungehindert durch die leicht schmutzigen Scheiben dringen konnte. Staub glitzerte in der Luft.

Das Tageslicht ließ Jaskiers Verletzungen nur deutlicher hervortreten. Die Blessuren am Hals wirkten wund und ein deutlicher Geruch von Blut ging von ihm aus. Geralt schluckte schwer. Ein Kloß blockierte seine Kehle.

"Jaskier?"

Erneut begann dieser ein paar Schritte zu gehen, wandte sich ziellos zum Fenster. Seine Bewegungen waren ungelenk und er keuchte leise auf.

"Wie geht es dir?"

Die Worte lagen schwer auf der Zunge, denn Geralt kannte bereits die Antwort, von Jaskier kam keine Erwiderung, lediglich der Geruch von Angst kroch langsam durch das Zimmer.

"Lass mich allein."

Kaum mehr als ein heiseres Flüstern fielen die Worte wie Steine in die Stille und sanken in Geralts Magen.

"Jaskier..-"

Trotz seines Versuches seine Stimme einfühlsam klingen zu lassen war es zwecklos. Der Jüngere sah ihn nicht einmal mehr an. Mit einem leisen Seufzen versuchte er es erneut.

"Hast du gefrühstückt?", erkundigte Geralt sich leise, denn er vernahm das leise Grummeln eines protestierenden Magens.

"Ich habe keinen Hunger.", murmelte Jaskier mit gesenktem Kopf, "Bitte Geralt, ich möchte allein sein."

"Ich lasse dich nicht allein."

Ein freudloses Lachen. Geralt wurde das Herz schwer.

Für einen Augenblick schien es als wolle Jaskier sich umdrehen und der Ältere erwartete beinah, dass er ihm endlich all die hässlichen Dinge ins Gesicht sagen würde, so wie Geralt es selbst auf dem Berg in seiner grenzenlosen Wut getan hatte und die er nun so sehr verdiente.

Die warme Luft im Raum war unerträglich drückend. Vorhänge gab es nicht, welche ein wenig Schatten spenden konnten. Mit dem ungefähren Plan eines der Fenster zu öffnen, trat Geralt vor.

Das Geräusch der Stiefel auf dem hölzernen Boden ließ Jaskier ruckartig herumfahren.

"Ich hab gesagt lass mich allein!"

Eine Welle aus Hitze pulsierte durch den Raum, überrollte Geralt mit voller Wucht. Sein Atem schien Feuer zu fangen. Blind stolperte er zurück, während jedes Stück Haut, welches nicht von Kleidung bedeckt, war aufloderte bei dem Kontakt mit der feucht heißen Luft.

Mit geweiteten und gereizten Augen sah er Jaskier an. Tränen liefen ihm über die Wange. Trotz allem schien er weder die Walze aus Hitze, noch Geralts Keuchen bemerkt zu haben.

Die Magie war beinah greifbar, summte in der Luft und nun verstand Geralt auch die Worte Yennefers.

"In Ordnung.", brachte er hervor, seine Lungen protestierten heftig, "Ich.- Ich komme später wieder."

Statt einer Antwort wandte Jaskier sich ab, bebte am ganzen Körper. Langsam verebbte die Hitze zwischen den Wänden.

Mit lautlosen Schritten verließ der Hexer den Raum, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich gegen das kühle Holz. Vor Schreck und Schmerz ging auch sein Herzschlag schneller denn je und Verzweiflung drohte ihn zu übermannen.

Er musste mit Yennefer sprechen. Eine Lösung finden. Vorsichtig tastete Geralt an seine Wange, wo die Haut noch immer prickelte. Es tat weh, doch nichts kam dem Stich im Herzen nah, den es ihm versetzte als leises Schluchzen durch das Holz der geschlossenen Tür drang.

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