Sam erinnert sich (7)

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Im Saal ist es mucksmäuschenstill und alle warten gebannt auf meine Ausführungen zu der gerade vorgelesenen Kampfszene. Dass ich kein Murren höre und keine leisen Diskussionen beweist mir, dass die Zuhörer begriffen haben, dass sie erst die ganze Geschichte hören müssen, bevor sie urteilen können. Leider wird meine Geschichte sie nicht glücklicher machen. Trotzdem suche ich erst einmal einen leichten Einstieg.

"Die Hohlbaumeichen von denen am Anfang die Rede ist", beginne ich und nun höre dann nun doch das ein oder andere Murren und unzufriedene Schnauben. Neugierig halte ich inne und sehe mich um, dann grinse ich breit, während ich ungerührt fortfahre, "gibt es wirklich und es stimmt auch, dass Türen, die man hineinschneidet und wieder verschließt, um Dinge dahinter zu verstecken nach einer gewissen Zeit wieder zuwachsen. Diese kleine Geschichte im Buch ist vor allem für alle jungen Soldaten gedacht. Welches Kind jagt nicht gerne Schätzen hinterher? Für all diese Jungs möchte ich sagen - gebt niemals auf. Klopft an jeden Baum und wenn er sich hohl anhört, dann schaut, ob ihr ein Türchen darin findet, mit etwas Glück verbirgt sich dahinter auch ein Schatz." Die Zuschauer lachen verhalten und lehnen sich in ihren Sitzen zurück. Sie haben verstanden, dass ich die Stimmung etwas entspannen wollte, bevor ich zum heiklen Teil dieser Geschichte komme, aber natürlich enthalte ich ihnen auch diesen nicht vor.

"Wie ihr euch schon denken könnt, enthält dieses Kapitel wieder ein paar Dinge, die nicht ganz mit der Realität überein stimmen und natürlich wollte man sowohl Max als auch mich, auch hier wieder als kleine Helden präsentieren, doch das bedeutet nicht, dass wir nicht mit dem Trupp in den Kampf gezogen sind", erkläre ich nüchtern und warte dann, bis sich das unruhige Gemurmel im Raum wieder gelegt hat. "Natürlich hatten die Soldaten keine Ahnung von dem Ausmaß der Falle, in die sie liefen, sonst hätten sie sich anders entschieden. Aber unser Späher hatte keine Chance, die ausgehobenen Gräben zu entdecken, die Feinde wussten genau, von welcher Seite wir kommen würden und haben dafür gesorgt, dass wir sie nicht bemerken konnten, bevor es zu spät war. Nachdem also klar war, dass sie hingehen und nachsehen müssten, was zur Hölle mit diesem Turm nicht stimmt, gab es noch zwei Möglichkeiten. Erstens - sie gehen mit einem kleineren Team in die Gefahr und lassen die anderen bei uns Kindern zurück, aber jetzt mal ehrlich, in diesem Raum hier sind genug Soldaten mit jeder Menge Lebenserfahrung. Wer von Euch hätte sich für diese Lösung entschieden, wenn er nicht weiß, womit er es am Ende zu tun hat?" Wie zu erwarten war, bleibt es nach dieser Frage eine Weile still. 

"Wir hätten einen Mann, zusammen mit den Kindern, zurücklassen können, doch letztlich gab es entweder keine Gefahr und somit keinen Grund sie nicht mitzunehmen, oder es gab eine, dann hätte ein einzelner Mann bereits über Sieg und Niederlage bestimmen können. Außerdem, wenn wir verloren hätten, was hätte ein einzelner Soldat mit zwei Kindern dann allein im Außenland machen sollen?" Velikos bestimmter Ton zeigt deutlich, dass er bis heute nicht an seiner damaligen Entscheidung zweifelt. Bevor Fragen aufkommen können, fahre ich schon fort. "Die zweite Möglichkeit wäre gewesen, nur uns Kinder allein in der Höhle zurück zu lassen, aber ernsthaft Leute, glaubt ihr, wir hätten gehorcht? Hätten dort gesessen und darauf gewartet bis die Soldaten wieder zurück kommen oder die Verbrecher uns finden oder vielleicht sogar niemand wieder kommt um uns zu retten?"

Habbos sanfte aber überzeugende Stimme hallt wieder über die Lautsprecher durch den Raum. "Wir hatten keine Wahl und waren uns einig. Lieber nehmen wir die Kinder mit und wissen daher genau, wo sie sind, als dass wir sie zurücklassen und dann im Kampfgetümmel über sie stolpern weil sie uns nachgeschlichen sind." Armand ergreift dann ebenfalls das Wort. "Diese Kinder hatten die Tage während unserer Reise hart trainiert und hatten ein Recht dazu, Teil des Ganzen zu werden und jeder von uns wusste, dass sie ihr Bestes geben würden. Sollte es wirklich zum Schlimmsten kommen, wären sie außerdem viel besser dran, wenn sie im Kampf erschossen würden, als wenn sie in der Höhle verhungern oder lebend irgendwelchen Verbrechern in die Hände fallen würden." Ich nicke zustimmend, denn die Tatsache, dass wir Mädchen waren hätte diese Lage kein Deut verbessert.

"Also wenn dieser Teil der Geschichte wahr ist, was war dann falsch?" Ich sehe Oberst Winter an und frage mich, wie er zu dieser Entscheidung steht. Ich werde ihn später fragen müssen. Jetzt gehe ich lieber auf seine Frage ein. "Auf keinen Fall würde einem Soldaten in diesem Moment die Munition ausgehen, weil die von irgendwelchen Kindern sonst wo durch die Gegend getragen wird," erkläre ich und der Oberst nickt zustimmend. Auch der General schnaubt aber es liegt wohl auch ein wenig Erleichterung in dieser Reaktion. "Auch hatte Pepper den Feind, der sich ihm näherte durchaus bemerkt. Aber er befand sich in einem Dilemma. Tozzo war in einen Zweikampf verwickelt und ein Dritter schlich sich von hinten an ihn heran. Er musste wählen ober er sich seinem Gegner stellt und seinen Freund unbeschützt lässt oder ob er dessen Gegner ausschaltet und sich dabei selbst opfert. Für lange Überlegungen war keine Zeit und er hatte sich entschieden, aber ich auch."

Alle Augen liegen jetzt auf mir und Hauptmann Fischer starrt mich aus tellergroßen braunen Augen an als er mit angehaltenem Atem fragt: "Was hast du getan?" Ich zucke mit den Schultern. "Was getan werden musste. Max reichte mir auf meinen Befehl hin die Munition, ich lud meine Waffe, legte an und schoss. Ich traf zuerst seinen Schussarm, weil der mir zugewandt war und als er sich zu mir umdrehte und die Waffe in die andere Hand nahm, schoss ich noch einmal." Maxine neben mir wirft ihre Arme um mich und ich ziehe sie tiefer in meine eigenen, um sie zu trösten. Vielleicht hat meine Geschichte die Erinnerung an damals zurück gebracht und ich will ihr die Unterstützung geben, die sie braucht. "War er tot? Hast du ihn erschossen?", nuschelt sie in meine Bluse und ich streiche tröstend über ihren Rücken. "Nein, aber ich habe Pepper die Zeit erkauft, die er brauchte, um die Kämpfe am Turm zu unserem Vorteil zu drehen und sich anschließend mit seinem eigenen Gegner zu befassen."

Dennoch war es das erste Mal, dass ich auf einen Menschen geschossen hatte und dieses Gefühl hallte noch eine ganze Weile nach. "Ich hatte später einige Sitzungen bei einem Kinderpsychologen um mich mit dem, was an diesem Tag passiert ist, auseinander zu setzen, aber der Nachteil an einem perfekten Gedächtnis ist auch sein Vorteil. Wie oft ich die Szene auch wieder in mein Gedächtnis rief fiel die Bewertung doch immer wieder gleich aus, ich hatte keine Wahl, ich habe meinem Freund das Leben gerettet und meinen Kameraden zum Sieg verholfen und dieser Mann hatte angefangen und es nicht anders verdient. Mein Gehirn bietet keinen Platz für spätere Unsicherheiten und schließlich überwog bei mir eine glasklare Erkenntnis. Ich war ein geborener Soldat."

"Verdammt, eins ist mal klar, in deiner Version bist du nicht weniger Held als in der im Buch." Die wippenden Locken von Alex, die seinen Ausruf begleiten, bringen mich zum Lächeln und seine Worte lösen auch im Rest der Zuschauerzahl wieder die Anspannung. "Die Vorstellung von einem Achtjährigen Jungen der einen Banditen erschießt erschien den Redakteuren dann doch zu extrem für ein Kinderbuch, aber ich hätte der Version trotzdem nicht zugestimmt und zugelassen, dass man die Soldaten in so schlechtes Licht setzt." Armand lacht leise als er erklärt, warum er dem zugestimmt hat. "Ihr beiden habt an dem Tag mein Leben gerettet, dass es etwas anders abgelaufen ist, als im Buch geschrieben, war mir egal. Mein Name stand ja nicht dabei und wer mich kennt weiß, dass ich niemals zu wenig Munition mit mir herum trage." Jetzt lachen seine Kameraden und nach und nach stimmt der Saal mit ein. "Es wird Zeit, die Geschichte zu Ende zu bringen", flüstere ich meiner Schwester zu die sich mit leicht geröteten Augen wieder von mir löst und dann dem letzten Kapitel zuwendet.

Sam & Max ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt