Mein Körper wird durchgeschüttelt, wieder und wieder übergebe ich mich in den roten Eimer, den Kidd mir so würdevoll wie möglich vor das Gesicht hält. Dabei streichelt seine Hand beruhigend über meinen Rücken, während er mir behutsame Worte ins Ohr flüstert, um mich von meiner Schwäche abzulenken.
Zwar bedeutet Schwäche in meinem Fall Brechreize, die durch ein flüssiges Medikament ausgelöst wurden, doch es ist mir nach all den Malen immer noch verdammt peinlich.
Doch im Moment bin ich zu sehr damit beschäftigt das immer noch anhaltende Nachwürgen in den Griff zu bekommen, als mir darüber Gedanken zu machen, ob es für ihn genauso unangenehm ist, wie für mich.
Meine Beine zittern so stark, nachdem der Würgereiz endlich nachgelassen hat, dass mich Kidd festhalten und zum Bett führen muss. Das ich einmal so schwach sein würde, dass mich mein Ehemann stützen muss, hätte ich nie gedacht. Doch das Leben fragt einen nicht, es bestimmt den Kurs und man ist jeder noch so festen Böe ausgesetzt.
Seufzend setze ich mich hin und atme erst einmal tief ein und wieder aus. Versuche den grässlich sauren Geschmack, der sich in meinem Mund ausgebreitet hat zu verdrängen, ehe ich den Kopf hebe und in die blauen Augen von Kidd blicke. Sie sehen mich zwar voller Sorge an, doch ich kann auch erkennen, dass ich für ihn immer noch die lebenslustige Frau bin, die ich einmal war.
Bevor mich dieser bescheuerte Hirntumor zu einer blassen, kränklichen und beinahe zerbrechlich wirkenden Frau gemacht hat. Stumm streichelt er mir übers Haar, lächelnd schließe ich die Augen und öffne sie nach einer kleinen Ewigkeit wieder. Kidds sanfter Blick hat sich schlagartig verändert, denn plötzlich betrachtet er nicht länger mein fahles Gesicht, sondern das braune Haarbüschel, das er in seiner Hand hält.
Mein Lächeln erstirbt augenblicklich. Ich wusste, dass durch die Chemotherapie mir irgendwann die braunen Locken ausfallen würden, die mein Gesicht umrahmen, doch das es so schnell geschehen würde, hätte ich nicht gedacht. Zaghaft strecke ich meine Hand aus, berühre sie mit der Spitze meines Fingers und schrecke zurück, als wäre sie giftig und könnte mich umbringen.
Doch nicht die Haarsträhne bringt mich um, sondern dieser verdammte Krebs, der in meinem Gehirn wuchert und mir alle Lebenskraft aus dem Körper saugt. Wie eine Zecke, hat er sich in mir eingenistet und versucht alles, um mich zu Fall zu bringen.
Ich schaue in Kidds Gesicht und erinnere mich daran, wie wir uns kennen gelernt haben.
***
„Haben Sie das auch eine Nummer größer?", höre ich eine Stimme hinter mir. Ich richte mich auf, lege das letzte Shirt zusammen und zurück auf den Stapel, ehe ich mich mit einem Lächeln dem Kunden zuwende.
Ein großer Mann mit schwarzen Haaren und blauen Augen steht vor mir und hält mir einen rot und grün gestreiften Weihnachtspullover hin.
Ich schaue ihn mir an, er hat einen braunen Elch mit einer roten Bommelnase in der Mitte, die leuchtet, wenn man sie drückt.
„Haben Sie die Quittung noch?", frage ich und sehe, wie er mich mit großen Augen ansieht.
„Oh...ich glaube die habe ich heute Morgen zusammen mit meinem Kaffeebecher in den Müll geworfen. Oder...warten Sie...", er verstummt und klopft seine Jacke ab. Dabei sieht er ziemlich witzig aus. Seine freundlichen Augen glitzern verlegen, als er mich ansieht und die Schultern entschuldigend hebt.„Das Etikett hängt noch dran, also kann ich nachsehen, ob der in unserem Bestand war. Oder wissen Sie das zufälligerweise?", frage ich ihn und laufe zur Kasse. Der Mann folgt mir, er ist zwei Köpfe größer als ich und überragt somit auch die meisten Leute in der Filiale, die heute ziemlich voll ist. Wie immer nach Weihnachten.
Jeder will die Geschenke, die ihm nicht gefallen oder passen zurückgeben, oder umtauschen. Genau wie dieser hübsche Unbekannte.
„Ich hab ihn geschenkt bekommen...von meiner...äh...Ex-Freundin", stottert er betreten und kratzt sich am Hinterkopf. Ich schaue ihn mitfühlend an, doch er sieht nicht aus, als würde es ihn groß mitnehmen. Aber vielleicht irre ich mich da auch, wer kann die Menschen schon wirklich einschätzen?
Ich tippe die Seriennummer in den Computer ein und spüre dabei die ganze Zeit den Blick des Mannes auf mir, was mich aber nicht stört. Im Gegenteil, es fühlt sich gut an. Denn er starrt mich nicht an, als ob er mich gleich ins Bett kriegen will, sondern wie jemand, der einfach freundlich ist. Und genauso jemanden fehlt in meinem Leben. Meine letzte Beziehung liegt schon eine Weile her, aber es war nichts wirklich Ernstes. Eine reine Enttäuschung nach einem vielversprechenden Anfang.
„Sie haben Glück, wir haben ihn sogar noch eine Nummer größer im Laden. Soll ich ihn für Sie holen?", erkundige ich mich. Ich schaue ihn an und muss über seinen nervösen Blick schmunzeln und frage mich, ob ich ihn derart einschüchtere, oder, ob er immer so ist. Es wäre interessant das herauszufinden.
„Ich kann Ihnen auch für den Preis einen anderen, etwas alltäglicheren Pullover erstatten, oder Sie können einen Gutschein nehmen. Wie Sie wollen, es liegt ganz bei Ihnen." Doch, dass er damit überfordert zu sein scheint, kann ich nicht übersehen, also lächle ich ihn mitfühlend an und warte geduldig auf seine Antwort.
Doch die kommt nicht, auch nach einer gefühlten Ewigkeit nicht. Weshalb ich mich dafür entscheide ihm die Verantwortung abzunehmen.
„Wissen Sie, eigentlich würde Ihnen der Pullover wirklich stehen. Sie scheinen mir der Typ Mann zu sein, der so etwas würdevoll zu tragen weiß", sage ich noch immer lächelnd und endlich erwidert er es. Das Leuchten in seinen Augen wird stärker und erinnern mich an zwei Diamanten, die vom ersten Sonnenstrahl des Tages erhellt werden.
„Wenn Sie meinen, dann tausche ich ihn vielleicht doch um und nehme keinen Gutschein. Obwohl ihn mir Natalie...äh meine Ex-Freundin geschenkt hat", stottert er.
Ich nicke professionell und entschuldige mich schnell. Während ich durch den Laden laufe, kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen und als ich einen Blick über meine Schulter werfe, treffen sich unsere Blicke und ein entspanntes Lächeln breitet sich auf seinem markanten Gesicht aus. Ich habe das Gefühl ihn schon ewig zu kennen, auch wenn es erst fünf Minuten sind. Ist das nicht unglaublich?
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Die Sein Reihe
RomanceDie Liebe seines Lebens. So würde Kidd seine Ehefrau Lilly bezeichnen, würde sie noch leben. Ihr junges Glück wurde je zerstört, als sie die Diagnose Hirntumor bekamen. Wie geht man mit einer solchen Hiobsbotschaft um? Zerbricht man daran, oder kämp...