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Nach Lillys Tod habe ich mich auf die Reise nach Argentinien begeben und eine wunderschöne Frau kennen gelernt. Liliana glich meiner verstorbenen Frau so sehr, dass ich es noch immer nicht fassen kann. 

Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich mich geirrt habe, was nichts mit ihr zu tun hatte. Es lag an mir. Ich war nicht bereit mich so schnell wieder zu binden und nach meiner Abreise habe ich nie wieder von ihr gehört. 

Zuhause habe ich mich erneut verloren, die Arbeit hat mir zwar geholfen nicht gänzlich in meiner Trauer zu versauern. Doch ein richtiges Leben war es nicht, nicht ohne meine große Liebe. Und dann habe ich mich nach einem weiteren trostlosen Abend in einer Bar bei der Armee eingeschrieben. 

Kurz darauf musste ich ins Boot-Camp. Der Drill, das Geschrei, der Matsch und die Schmerzen haben mir geholfen. Ich habe alles andere ausgeblendet und mich auf mich selbst konzentriert.
Nach einigen Wochen wurde ich besser, wurde schneller und erkannte Fähigkeiten, von denen ich zuvor nichts gewusst habe. 

Und jetzt bin ich hier in Syrien, einige Kilometer von Aleppo entfernt und sitze in einem Versorgungswagen der Armee. Oder? Ich weiß es nicht, denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass das nicht mehr stimmt. 

„Kidd? Alles wird gut. Du musst durchhalten, okay?", höre ich eine Stimme. Ich kneife die Augen zusammen und als ich sie wieder öffne, blendet mich die grelle Sonne und ich kann nichts außer Sand erkennen. Wo sind wir? Ich schreie auf, versuche mich aufrecht zu halten, doch meine Beine geben nach und ich stürze. Ich kann den Sturz mit den Händen abfangen, durch die ein stechender Schmerz schießt.

„Du musst aufstehen. Kidd? Hörst du mich?", höre ich wieder diese Stimme. Ich will den Kopf drehen und die Person ansehen, die mit mir redet. Doch ich bin zu schwach, viel zu schwach. Meine Augen fallen zu und ich werde von einem schwarzen Nichts verschluckt.

***

Sand, soweit das Auge reicht. Hitze, die in der Luft flimmert und Schweiß, der Literweise über den Rücken rinnt. Das ist Syrien. Ein Flecken Erde der von Terror geprägt und vom jahrelangen Krieg ausgebeutet wurde. Die Straßen buckelig und verlassen, die Häuser der Dörfer verweist. Die Reifen knirschen unter dem mit Schutt belegten Wege und man weiß nie, wann man mit einem Angriff rechnen muss. 

Ein Ort des Friedens sieht anders aus, aber um ihn zu schaffen bin ich hier. Es ist mein erster Einsatz, doch in den fast fünf Monaten hier in dieser Hölle habe ich schon einiges erlebt. Ich habe Bilder gesehen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen, die sich in meinen Verstand gefressen haben und mich nicht mehr loslassen werden. Nie wieder. Die ersten Wochen waren die schlimmsten, danach ging es.

Ich konnte mich genug abschotten und zuckte nicht wegen jeder Schusswunde, die ich sah, oder jeder Explosion, die ich hörte, zusammen. Ich habe mich tief in mein innerstes verkrochen und die Türen verbarrikadiert, nur um nicht noch weiter von den Schicksalen meiner Kollegen mitgenommen zu werden. Und das funktioniert, es gelingt mir immer besser.

„Reicht der Bestand aus?", frage ich meinen Vorgesetzten. Major Brown sitzt am Steuer des Armeefahrzeuges und sieht kurz zu mir rüber, bevor er den Blick wieder auf die verlassene Straße richtet. Ich bin für den Versorgungstrupp zuständig und ganz zufrieden damit. Seitdem ich hier bin war ich schon ein paar Mal an der Front, doch nach einer kleineren Verletzung, wurde ich dazu verdonnert. 

Wir haben Nachschub angeordnet, aber zurzeit ist die Versorgungslinie unterbrochen und wie es aussieht noch immer in feindlicher Hand. Es wird noch eine Weile dauern, also müssen wir uns einschränken. Und mit uns meine ich Sie, Soldat." 

Seine Stimme klingt in meinem Kopf nach und lässt mich innerlich die Augen verdrehen. 


Ich gebe mein Bestes, Sir, das wissen Sie", sage ich mit fester Stimme. 

Ich verstehe Sie, aber Sie sind noch grün hinter den Ohren, Caden. Das hier ist mein fünfter Einsatz in Folge und ich weiß ganz genau, dass ...", er beendet den Satz nicht, denn plötzlich gibt es einen lauten Knall und alles um uns herum beginnt sich zu drehen.

Der Wagen schleudert über die Straße, rollt einen Hang hinab und überschlägt sich dabei immer und immer wieder. Die Luft wird aus meiner Lunge gepresst und ich halte mich so gut es geht an dem Sicherheitsgurt fest, der mich an Ort und Stelle halten soll. 

Vor meinem geistigen Auge sehe ich Lilly, die mich anlächelt und sich die braunen Locken aus dem Gesicht streicht. Ich will nach ihr greifen, doch ich fasse ins Leere und dann wird alles schwarz. 

Die Sein ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt