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Licht, das flackert, grelles, weißes Licht, das immer wieder auftaucht und dann wie aus Zauberhand verschwindet. Ich höre Stimmen, sehe Gesichter über mir auftauchen, die mich besorgt und mit gehetzten Blicken mustern und dabei ihre Lippen bewegen. Doch ich kann nicht hören was sie sagen. 

Ich starre an die Decke und sehe immer wieder dieses Licht. Was ist passiert? Ich versuche mich zu erinnern, doch es fällt mir schwer. Alles fällt mir schwer, das Denken, das Atmen, einfach alles.

Kidd? Er sieht mich an, sagt etwas, dass ich nicht hören kann und berührt meine Hand. Ich fühle sie und versuche seine Hand zu drücken, doch es geht nicht. Ich will ihm sagen, dass ich es spüre, möchte ihm mitteilen, wie sehr ich ihn liebe und das ich Angst habe, weil ich nicht weiß was los ist.

Der Geruch nach Desinfektionsmittel sagt mir, dass wir im Krankenhaus sind.
Wie bin ich hierhergekommen? Ach ja, die Geburtstagsfeier. 

Ich sehe mich draußen stehen, nachdem meine Mutter ins Haus gegangen ist und höre Kidd nach mir rufen. Mir wurde schwindelig und ich bin ohnmächtig geworden. Doch wieso kann ich nicht reden? Und wieso kann ich mich nicht bewegen? Was geht in meinem Körper vor? Die Worte meines Arztes kommen mir in den Sinn.

***

„Ein Hirntumor?" Meine Stimme klingt seltsam fern, als würde das jemand anderes sagen und nicht ich. „Wie kann das sein? Ich bin gerade mal sechsundzwanzig", stoße ich zittrig aus. Dr Sandvoort sieht mich mit seinen grauen Augen an und versucht es mir zu erklären. Doch ich kann ihm nicht mehr folgen, denn alles an was ich im Moment denken kann, ist das in meinem Kopf ein pfirsichgrosser Tumor sitzt und mich töten will.

„Wie sehen die Chancen auf Heilung aus?", fragt Kidd, der die ganze Zeit geschwiegen hat. Er sitzt wie versteinert neben mir, kein Wunder denn er hat genau dasselbe gehört wie ich.
„Wenn wir sofort mit den Behandlungen beginnen, stehen die Chancen größer, als wenn ...", weiter kommt er nicht, denn Kidd unterbricht ihn. 

„Wie hoch?", sagt er. Seine Stimme zittert, klingt heiser, als ob er gegen die Tränen ankämpfen müsste, die in seinen blauen Augen schimmern. 

„Etwa fünf Prozent, wenn es hochkommt zehn Prozent. Diese Art von Tumor nennt sich Glioblastom und ist äußerst selten behandelbar. Der Tumor hat bereits einiges an gesundes Gewebe zerstört und sich um wichtige Gefäße geschlungen. So wie der Tumor liegt ist er nicht operabel. Es tut mir leid", antwortet Dr Sandvoort und senkt den Blick. 

Ich nicke, versuche es zu verarbeiten doch es funktioniert nicht. 

„Aber...aber man muss doch etwas dagegen tun können? Würde eine Chemotherapie oder Bestrahlunge helfen?", wendet Kidd ein. Ich schaue ihn zum ersten Mal seit der Diagnose in die Augen und will ihm sagen, dass alles gut gehen wird. Doch ich bringe es nicht über mich, da ich selbst keine Ahnung habe, wie ich damit umgehen soll. 

„Es gibt ein neues Mittel, dass wir ausprobieren könnten. Es ist sehr aggressiv und es werden sehr viele Nebenwirkungen auftreten. Sie müssen sich auf eine harte Zeit einstellen, aber wenn es anschlägt, könnte der Tumor schrumpfen und man könnte versuchen ihn herauszuschneiden", meint der Arzt. 

Wieder nicke ich, spüre wie Kidd beginnt Hoffnung zu schöpfen. Sollte ich das denn nicht auch? Mich an die Hoffnung klammern, auch wenn ich Schmerzen in Kauf nehmen muss? Im Moment weiß ich gar nichts, ich fühle mich nur erschöpft. Ausgelaugt von all den medizinischen Fachausdrücken und der Aussicht auf einen qualvollen Tod durch einen Hirntumor.

„Vielen Dank, Doktor", höre ich Kidd sagen als er sich verabschiedet, ehe er mich nach draußen begleitet.

Mit jedem Schritt den ich gehe, scheint mein Hirn seine Arbeit wieder aufzunehmen und als wir Zuhause angekommen sind, in unserem frisch renovierten Haus, sinke ich auf die Knie und schreie meine Wut, die Verzweiflung und die verdammte Angst, die von mir Besitzt genommen hat, heraus. 

Die Sein ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt