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„Sie muss eine starke Frau gewesen sein", meint Liliana, als ich ihr ein Foto meiner Frau zeige. Ich nicke und wende meinen Blick vom Handydisplay auf die Frau neben mir und muss die Ähnlichkeit noch immer verarbeiten. 

Nachdem ich mich beruhigt habe, musste ich mich ihr einfach mitteilen. Ich habe ihr erzählt wieso ich hier bin und wieso mich meine Gefühle übermannt haben. Wir haben uns auf eine Kirchenbank gesetzt und ich habe ihr den Brief gezeigt. Liliane war so berührt, dass sie mit den Tränen kämpfte, als sie die Zeilen las und ich ebenfalls.

„Ja, das war sie. Die stärkste Frau auf der ganzen Welt", sage ich mit belegter Stimme. Liliane sieht mich an und streicht sich das schwarze Haar aus dem Gesicht. 

Ich weiß nicht, ob ich an so etwas wie göttliche Fügungen glaube, aber wenn ich hier so sitze und in mich gehe, dann weiß ich, dass man diese Begegnung so nennen könnte. Sie strahlt so viel Güte und Liebenswürdigkeit aus, dass sie die Leere in meinem Herzen ein wenig verdrängen kann und das fühlt sich erleichternd an. Befreiend.

„Ich hätte sie gerne kennen gelernt", meint sie.

„Lilly und ich, wir haben uns die ewige Treue geschworen, bis das der Tod uns scheidet. Und, als er uns wirklich getrennt hat, wurde mir klar, dass meine wahre Liebe nicht mehr da ist. Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich jemals wieder glücklich sein kann", sage ich und atme tief durch, wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel und schaue in das liebliche Gesicht dieser Frau, die ich gerade erst kennen gelernt habe.

„Aber hier zu sein, hier zu sitzen fühlt sich richtig an. Genauso wollte sie es", ende ich und versuche nicht in die Vergangenheit abzudriften, doch am Ende habe ich keine Macht darüber und ertrinke in den letzten Minuten, die ich mit meiner Frau hatte.

***

„Versprich es mir, Kidd", wispert sie. Innerlich wehre ich mich gegen das Versprechen, welches ich ihr geben soll. Denn, wie kann ich jemals wieder jemanden lieben? Wie kann ich das, wenn sie doch meine einzig und wahre Liebe ist? 

Ich kämpfe gegen die Tränen an, während ich den Blick in ihr eingefallenes Gesicht meide. Ihre Lippen sind spröde und aufgerissen. Ihr Atem geht rasselnd und setzt immer wieder aus, genau wie ihr Herz.

„Bitte ... ich kann nicht mehr kämpfen ... bitte lass mich gehen", flüstert sie und kämpft gegen den Tod an, der nach ihr greifen will. Aber ich bin nicht bereit, ich kann nicht ohne sie leben und ich will auch kein Leben ohne die Frau meiner Träume führen.

„Kidd", ihre Stimme klingt flehend. Ich schaue sie an und als sich unsere Blicke kreuzen, weiß ich, dass es gleich soweit sein wird. Sie darf nicht einfach so gehen, darf sich von mir nicht im Stich gelassen fühlen. Ich muss es ihr versprechen.

„Ich verspreche es dir", sage ich und schließe für einen Moment die Augen. Als ich spüre, wie die Kraft in ihrer Hand weniger wird und sie mich schließlich loslässt, hebe ich den Blick und breche in Tränen aus.

„Nein!", stoße ich verzweifelt aus und rüttle an ihr. Doch sie bewegt sich nicht mehr. Sie ist weg.
„Ich liebe dich", schluchze ich und küsse ihre Hand, die noch warm ist. Mein Herz bricht in seine Einzelteile, fühlt sich an, als würden Rasierklingen darin stecken, die jegliches Gewebe zerstören. 

Ich blute innerlich aus und doch lebe ich weiter. Doch, kann ich so weiter machen? Es kommt mir nicht recht vor, mich ihrem Versprechen zu verwehren, aber ich kann keine Frau so sehr lieben, wie ich Lilly geliebt habe.

„Ich verspreche dir, dich immer zu lieben. Denn einmal werden wir uns wieder sehen", flüstere ich und küsse sie auf die Stirn, ehe ich ihre Lider schließe und mich meinen Gefühlen voll und ganz hingebe.

***

Loszulassen, sich von der unsichtbaren Macht mittragen zu lassen, die nach einem greift ist schwer. Denn man weiß nicht was auf einen wartet, aber wenn man diesen Schritt gewagt hat, losgelassen hat, dann steigt man auf und erwacht in einer Umgebung, die nicht so aussieht, wie die, die man gerade verlassen hat. Sie ist anders und doch gleich. 

Man ist frei, kann sich ungezwungen bewegen und die Friedlichkeit, die hier oben herrscht, fühlt sich herrlich an. Aber manchmal, wenn man vom Frieden und der Ruhe Abstand nimmt, dann erkennt man, dass man irgendwie abgeschnitten ist. Von denjenigen, die man zurückgelassen hat, so schwer es einem auch gefallen ist. 

Und manchmal, da hat man die Möglichkeit einen Blick auf die Welt zu werfen, die man verlassen hat und genau das tue ich jetzt. Ich sehe die Basilica, zu der ich schon immer wollte und höre Kidds Stimme. Sie zu hören fühlt sich an, als würde ich nach Hause kommen und dennoch spüre ich, dass sie nicht mehr zu mir gehört. Sie gehört zu dem Teil, den ich verlassen habe, zu dem Abschnitt, der hinter mir liegt. 

Kidd ist nicht allein, eine freundlich klingende Frau sitzt neben ihm und unterhält sich mit ihm. Er fühlt sich wohl und zum ersten Mal nach meinem Tod, spüre ich seinen Schmerz nicht mehr ganz so deutlich, wie bei den anderen Malen, bei denen ich auf die Erde schauen konnte, um meinen Liebsten nahe zu sein. 

Seitdem scheint sich etwas verändert zu haben und, weil ich ihm nur das Beste wünsche, schicke ich ihm ein Zeichen, etwas das er erkennt und für sich deuten kann. Ob er diese Chance auch nutzt, weiß ich nicht und das ist auch gut so. 

Denn von nun an gehen wir getrennte Wege und das was zählt, sind die Erinnerungen, die wir in uns tragen. Ob diese Frau diejenige sein wird, die ihn von seinem Schmerz befreit, kann ich nicht sagen, aber ich wünsche es ihm. Ich wünsche Kidd Frieden und Liebe, ganz viel Liebe. 

Als die beiden die Kirche verlassen scheint die Sonne heller und das Blau des Himmels ist intensiver. Anscheinend schickt auch er mir ein Zeichen, welches mich guten Gewissens das Fenster schließen lässt. Denn von nun an, kann auch ich frei sein.

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Nun ist auch Teil 2 zu Ende. Was sagt ihr? 

Mit Teil 3 geht es weiter!

Eure Amanda 

Die Sein ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt