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Die Hitze in Buenos Aires begrüßt mich, als ich den Flieger verlasse. Die Sonne scheint auf mich herab und als ich den Kopf hebe und mir die Augen mit der Hand abschirme, habe ich das Gefühl, dass Lilly mich ebenfalls hier willkommen heißt. Die Vorstellung lockert den Knoten in meinem Magen ein wenig und bringt mich zum Lächeln. 

Hinter mir sammeln sich bereits die anderen Passagiere, die das Flugzeug ebenfalls verlassen wollen. Um nicht noch mehr aufzufallen, setze ich mich in Bewegung und gehe ins Innere des Flughafens, wo sich eine Flut von Menschen an einem einzigen Platz einfindet. Sie alle warten auf ihre Flüge, oder, sind wie ich gerade angekommen. 

Oder aber, sie warten auf jemanden, vielleicht ein Familienmitglied, das sie schon eine lange Zeit nicht mehr gesehen haben oder einen Freund, der sie besuchen kommt. 

So oder so, sie freuen sich hier zu sein, oder von hier weg zu kommen. Also sollte ich mich auch freuen, auch wenn ihr Fehlen mich schmerzt. So sehr, dass es die Brust zuschnürt und ich mich zur Ruhe zwingen muss. Sie hätte mitkommen müssen. 

Wieso habe ich das nicht vor der Diagnose mit ihr gemacht? Oder, als es ihr noch besser ging? Wir hätten das zusammen machen können, aber nun ist es zu spät. Ich schiebe die Gewissensbisse zur Seite und hole meinen Koffer vom Band. 

Auch hier sind glückliche Paare zu sehen, aber auch solche, die einsam und allein auf ihr Gepäck warten, wie ich. 

Wie vielen es auch so geht, wie mir?

Wahrscheinlich so viele, dass man über die Anzahl erschrocken wäre. 

Nachdem ich meinen Koffer habe, mache ich mich auf dem Weg zum Shuttlebus, der mich zum Hotel fährt. Es ist kein vier Sterne Luxustempel. Ein einfaches kleines Hotel etwas abseits vom Stadtkern, mehr brauche ich nicht. 

Als ich bei den Bussen angekommen bin, schaue ich mich um. Die Hitze hat alle meine Schleusen geöffnet, sodass mein Shirt mir bereits am Rücken klebt. Der Bus zu meinem Hotel ist der letzte in der Reihe. Er passt zum Hotel. Klein und bescheiden. 

Nur wenige setzen sich rein und nach einigen Minuten Wartezeit, die ich damit verbracht habe, gedankenverloren aus dem Fenster zu schauen, fährt er los. Das Ruckeln der Unebenheiten reißt mich immer wieder in die Wirklichkeit, genauso, wie der starke Akzent des Fahrers. 

Die Fahrt bis zum Hotel dauert eine knappe Stunde, die ich genauso, wie die Wartezeit verbracht habe. Die Stille im Bus wurde nur durch das Rattern des Motors und den Gesprächsfetzen einer Passagierin unterbrochen. 

Es hat etwas beruhigendes, sodass ich immer wieder wegdämmere und von Lilly träume. Doch jedes Mal, wenn ich aufwache, realisiere, wo ich mich gerade befinde, ist es so, als ob ich noch ein Stück von ihr verliere. Mit jedem Traum wird das Bild von ihr blasser und irgendwann gleicht es einem alten Schwarzweiß-Foto, dass von der Sonne ausgeblichen wurde. 

Als ich das Hotel betrete, werde ich von einer nett dreinblickenden Frau begrüßt, die ihre besten Jahre bereits hinter sich hat und dennoch so viel Lebensfreude ausstrahlt, dass ich mich wie ein Trauerkloß fühle.

„Ich habe auf den Namen Kidd Caden gebucht", sage ich zu ihr. Sie rückt ihre Brille zurecht und sieht in ihrem alten Computer nach. 

„Ein Einzel oder Doppelbett?", hakt sie nach und bringt die Trauer wieder an vorderster Stelle. Ich schlucke und befürchte gleich in Tränen auszubrechen, als sie nickt und mir einen Schlüssel in die Hand legt, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

„Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Wenn ich etwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen", meint sie mit starkem spanischem Akzent. Ich nicke und gehe zwei Schritte, als mir bewusst wird, dass ich mich hier nicht auskenne. Und ich weiß auch nicht, wo sich Lillys Lieblingsort befindet. Die Stadt ist groß und auf der Karte sieht man kein Straßenschild oder einen anderen Hinweis.

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