Kapitel 1

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Müde schleppte ich mich die Treppe hinauf. Seit den frühen Morgenstunden war ich wieder auf den Beinen und seitdem hatte ich kaum eine Pause gehabt, die länger als zwei Minuten gedauert hatte.
Aber nun waren alle Aufgaben, die mir Euphemia wieder aufgetragen hatte, abgearbeitet. "Dabei müsste diese fiese, alte Hexe nur einmal mit ihrem Zauberstab wedeln und alles wäre erledigt!", murmelte ich wütend und öffnete die Tür zu meinem Zimmer.
Ich wusste nicht einmal, ob man dieses Etwas von Raum überhaupt Zimmer nennen konnte. Es lag direkt unter dem Dachboden des großen Hauses, das Euphemia gehörte und das laut ihr schon mehrere hundert Jahre im Familienbesitz der Rowles war. Und so herunter gekommen wie diese Behausung war, konnte diese Tatsache nicht einmal gelogen sein. Es war die reinste Bruchbude und vor allem unter dem Dachboden hatte es mich ziemlich blöd erwischt.
Es war oft unheimlich kalt und bei jedem Unwetter pfiff es durch jede Ritze, sodass man Angst haben musste, dass das Dach bald davon flog. Außerdem gab es Löcher in der Decke, durch die es regelmäßig herein regnete. Ich hatte inzwischen aufgehört sie zu zählen und da mir inzwischen die Bretter und Nägel zum Flicken ausgegangen waren, stand unter einigen dieser Öffnungen nur ein alter Kübel oder etwas anderes, dass das Wasser irgendwie auffangen konnte.
Waren die Gefäße voll, musste ich sie die ganzen 6 Stockwerke hinunter schleppen und im Garten ausleeren. Dabei musste ich darauf achten, bloß keinen Tropfen auf dem Weg hinunter zu verschütten. Denn Euphemia mochte zwar eine alte Frau sein, jedoch war sie noch immer sehr aktiv dabei, wenn es um Bestrafungen ging.
Und diese gehörten beinahe täglich für mich zum Alltag dazu, wie die Tatsache, dass ich jeden Abend hungrig ins Bett ging. Für mich gab es nämlich nur geringfügige Mahlzeiten wie trockenes Brot und Wasser. Mit etwas Glück bekam ich manchmal allerdings auch Haferschleim, falls Euphemia einen guten Tag hatte. Und das kam sehr selten vor, höchstens ein oder zweimal im Jahr.
Dabei wusste ich, dass sie genügend Gold dafür bekam, dafür das sie mich bei sich wohnen ließ. Meine Eltern hatten mich bei Euphemia abgegeben, als ich gerade mal ein paar Monate alt war.
Inzwischen war ich elf Jahre alt und über meine Familie wusste ich nicht viel. Ich wusste nur, dass meine Eltern im Gefängnis saßen, mehr aber auch nicht. Warum und weshalb, das hatte Euphemia mir nie erzählt. Und kennengelernt hatte ich meine Mutter und meinen Vater demnach auch nie.
Allgemein hatte ich in meinem Leben nie viele Menschen zu Gesicht bekommen, außer diejenigen, die ab und zu hierher zu Besuch kamen. Diese durfte ich dann entweder, wie Euphemia, bedienen oder ich sollte mich für die Dauer des Besuchs nicht blicken lassen.
Das Haus lag ziemlich abgeschieden, es gab also keine nahen Nachbarn und selbst wenn es welche gegeben hätte, hätten sie sich wahrscheinlich nicht für ein Waisenkind wie mich interessiert. Denn meiner Meinung nach war ich das, eine Waise, auch wenn meine Eltern offenbar noch lebten. Euphemia hatte mir allerdings schon vor Jahren prophezeit, dass ich sie wohl nie kennenlernen würde, da sie zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren.
Noch während ich den Raum durchquerte, zog ich mir die verschmutzten Klamotten aus. Ich fühlte mich einfach eklig und wollte mich waschen, ehe ich zu Bett ging. Es war zwar noch nicht einmal ganz dunkel draußen, allerdings wollte ich nur noch schlafen, da ich Morgen früh wieder aufstehen musste.
Zum Waschen verwendete ich das gesammtelte Wasser, das ich mir regelmäßig in einen etwas saubereren Eimer kippte, als die, mit denen ich das Regenwasser auffing.
Natürlich hätte ich auch eines der Bäder nutzen können, die hier im Haus vorhanden waren. In den unteren Stockwerken war es immer warm und sauber, im Gegensatz zu hier oben. Nur wollte ich Euphemia heute definitiv nicht mehr um Erlaubnis bitten, dies tun zu dürfen, da sie einmal mehr schlecht gelaunt war. Und warten bis sie schlief, damit ich mich hinunter schleichen und heimlich duschen konnte, wollte ich heute auch nicht.
Dafür war ich einfach zu erschöpft. Aber das Gute war, dass Euphemia nichts mehr mit bekam, wenn sie erst einmal schlief. Diese Gelegenheit nutzte ich manchmal, um mir etwas zu Essen und ein paar andere Dinge hinauf in mein Zimmer zu schmuggeln. Oft war es ein Buch, das ich mir aus dem gut ausgestatteten Bibliothekszimmer mitnahm.
Lesen war für mich die einzige Möglichkeit, diesem Alptraum von Leben irgendwie zu entfliehen. Und beinahe alle Menschen in den Geschichten konnten zaubern, während ich es nicht konnte. Ich war laut Euphemia ein 'Squib' und deshalb sowieso eine Schande für meine Familie, die angeblich aus Reinblütern bestand. Insgeheim beneidete ich die Charaktere und auch Euphemia um ihre Zauberkräfte. Hätte ich selbst welche, dann würde ich mir sicherlich nichts mehr gefallen lassen und einfach abhauen.
Das hatte ich bereits einmal versucht, doch die alte Hexe hatte mich schnell wieder gefunden und als Strafe hatte ich drei Tage in der Kammer verbringen müssen. Das war ein sehr kleiner Raum, in dem ich inzwischen nur noch sehr zusammengekauert sitzen konnte. Und es war dementsprechend eng, dunkel und es wimmelte nur so von Spinnen und anderem Getier.
Immerhin hatte ich es inzwischen geschafft, dass mich Euphemia ganze fünf Monate nicht mehr dort hineingesteckt hatte. Die anderen Strafen, die mir drohten, wenn ich angeblich etwas falsch gemacht hatte, hatten es zwar auch in sich. Allerdings empfand ich keine so schlimm wie die Kammer.
Manchmal hatte ich sowieso das Gefühl, Euphemia bestrafte mich einfach ohne Grund. Ich wusste inzwischen gar nicht mehr, was richtig oder falsch war. Ich bezweifelte sowieso, den Unterschied dazwischen je gelernt zu haben.
Ich kniete mich vor dem Eimer hin und starrte einige Sekunden lang auf mein Gesicht, welches sich im Wasser spiegelte. Unter meinen braunen Augen hatten sich dunkle Schatten gebildet und meine sehr dunkelbraunen Haare, die fast schwarz wirkten, standen in alle möglichen Richtungen ab. Außerdem war ich einfach viel zu dünn. Ich sah irgendwie nicht aus wie ein elfjähriges Mädchen und so fühlte ich mich auch schon längst nicht mehr.
Ich war auch nicht so wie andere Kinder, denn die gingen laut meinen Büchern zur Schule und lebten bei einer Familie, die sie liebte. Das war mit meinem Leben kaum zu vergleichen und die Hoffnung, irgendwann hier raus zu kommen, schwand mit jedem Tag.
Ich wusch mir schließlich das Gesicht und auch die Arme, bevor ich mich mit einem Stück Stoff abtrocknete und das Gewand von vorher wieder über meine Unterwäsche anzog. All meine Kleidung bestand eher aus Lumpen, als aus richtigen schönen Kleidungsstücken und jedes Teil war entweder ausgefranst, löchrig, dreckig oder wies mehrere dieser Makel auf einmal auf. Auch war mir vieles zu groß, was davon kam, dass es gebrauchte Sachen waren die Euphemia wer weiß woher bekam. Und ich schämte mich dafür so sehr, dass ich deshalb doch irgendwie froh war, dass ich kaum Kontakt mit Menschen hatte.
Ich hatte mich gerade angezogen und wollte mich ins Bett legen, als ich Euphemia rufen hörte. "Alya, komm sofort wieder hierher oder habe ich gesagt, dass du fertig bist?!" Sie klang sehr gereizt, weshalb ich mich sofort auf den Weg zur Tür machte. Eigentlich hatte ich geglaubt für heute fertig zu sein, da ich wirklich alles gemacht hatte. Jedoch fiel der Hausherrin oftmals noch das ein oder andere für mich ein und wenn sie rief, sollte ich sie besser nicht warten lassen. Diese Lektion hatte ich bereits früh gelernt und während ich mich wie so oft noch wunderte, wie laut diese alte Hexe eigentlich noch schreinen konnte, eilte ich bereits Stufe für Stufe die Treppe hinunter.

The Heiress of Slytherin - Slytherins ErbinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt