Kapitel 2

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Und obwohl ich mich schon beeilte und Euphemia offenbar wusste, dass ich mich ganz oben im Haus befand, schrie sie weiterhin im Sekundentakt nach mir.
"Alya, du nichtsnutzige Göre, komm jetzt endlich hier runter!", hallte die krächzende Stimme der alten Hexe durch die Stockwerke. Noch vor ein paar Jahren wäre ich nach jeder ihrer Beleidigungen in Tränen ausgebrochen, doch inzwischen überhörte ich sie gekonnt.
Nun ja, auch das nicht komplett, allerdings nahm ich sie mir nicht mehr so zu Herzen wie früher, denn das hätte mich ansonsten irgendwann komplett zerfressen.
"Lestrange!!!", hörte ich Euphemia nun schreien und daraufhin begann ich, die Treppe regelrecht hinunter zu rennen. Denn wenn sie mich mit meinem Nachnamen betitelte, war sie kurz davor komplett die Beherrschung zu verlieren und das konnte böse enden.
Von psychischer Gewalt durch Beleidigungen, bis hin zu physischer Gewalt durch Schläge oder Bestrafungen durch Magie hatte ich in meinem kurzen Leben schon einstecken müssen.
Und mit jedem mal, so kam es mir vor, wurde es mir gleichgültiger.
Außer Atem kam ich schließlich unten an, doch Euphemia war nicht zu sehen. "LEEESTRAAAANGE!!!", ertönte es erneut und sie klang noch wütender. Der Ruf kam aus dem Garten, weshalb ich schnell nach draußen ging. Dort stand die alte Hexe mit diesem irren Gesichtsausdruck, den sie immer aufsetzte, wenn ich angeblich die Regeln gebrochen hatte. Und ich erblickte ihren Zauberstab, den sie bereits in der Hand bereit hielt.
Ich verlangsamte meinen Schritt, in der Hoffnung, sie würde sich bis ich bei ihr an kam beruhigen. Insgeheim wusste ich aber, dass ich um das Donnerwetter, welches mir blühte, nicht herum kam.
Und kaum kam ich bei ihr an, holte Euphemia aus und gab mir eine schallende Ohrfeige.
Daraufhin schossen mir die Tränen in die Augen und ich hielt mir die schmerzende Wange. Euphemia packte mich nun grob am Kinn und hob es ein wenig an, um mich dazu zu zwingen, sie anzusehen. Und ich hielt tapfer ihrem wütenden Blick stand, ohne auch nur einer Träne zu gestatten, aus meinen Augen zu entweichen.
Ich hatte mir geschworen, nie wieder vor ihr zu weinen, denn das würde ihr nur ein Gefühl des Triumphs geben.
"Wie oft soll ich es dir noch sagen?! Wenn ich dich rufe, hast du zu gehorchen! Da tauchst du sofort auf und nicht erst eine Ewigkeit später!"
Das Wort 'Ewigkeit' war für die rund zwei Minuten, die ich gebraucht hatte um zu ihr zu gelangen, wirklich mehr als überzogen. Doch das war nun mal Euphemia Rowle, wie ich sie nicht anders kannte. Hysterisch, cholerisch und unberechenbar.
Wobei das letzte nicht mehr ganz zutraf, denn inzwischen konnte ich ihre Reaktionen fast immer genau voraussehen. Deshalb hatte ich mit der Ohrfeige bereits gerechnet, war aber dennoch nicht zurück gewichen, da es alles nur schlimmer gemacht hätte.
Schließlich ließ Euphemia mich los, allerdings nur, um mir drohend ihren Zauberstab zu präsentieren. "Du weißt noch, was ich damit anstellen kann?", fragte sie mich und ich konnte den Wahnsinn aus ihrer Stimme förmlich heraushören.
'Oh ja.. und ob ich das weiß.', dachte ich. Allerdings konnte ich im Augenblick nur nicken und sie grinste fies. "Sehr gut, dann muss ich dich ja jetzt ausnahmsweise nicht daran erinnern. Aber beim nächsten Mal, sei gewiss, dass es weniger glimpflich für dich ausgehen wird. Ich hätte nämlich große Lust, einmal wieder den guten alten Cruciatus-Fluch auf dich los zu lassen."
Ich musste nun doch schlucken, denn ich konnte mich noch ganz genau an das letzte Mal erinnern, als sie den besagten Fluch angewendet hatte. Die Schmerzen waren schier unerträglich gewesen.
"Es wird nicht mehr vorkommen, ich verspreche es.", sagte ich aus diesem Grund schnell, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich sie beim nächsten Mal schneller erreichen sollte als gerade ohnehin schon.
"Besser wär's für dich, kleiner Squib. Besser wär's.", antwortete Euphemia finster und ließ ihren Zauberstab nun sinken. Darüber war ich sehr erleichtert, auch wenn ich mir dies nicht anmerken ließ.
Schließlich drehte Euphemia sich um und lief los. Sie musste keine Anweisung geben, ihr zu folgen, denn das tat ich automatisch. Wir durchquerten den Garten, bis wir schließlich vor dem großen Käfig stehen blieben, der Euphemias
Augurey beherbergte.
Der Augurey war ein schmächtiger Vogel, der einen ziemlich traurigen Eindruck machte. Er wurde auch 'irischer Phönix' genannt, obwohl sein grünlich schwarzes Gefieder nicht besonders beeindruckend aussah und er keine Ähnlichkeit mit dem prächtigen Phönix hatte. Vielmehr wirkte er mit seinem verzweifelten Blick eher wie ein kleiner, ausgezehrter Geier.
Dennoch fand ich dieses Tier sehr faszinierend, wie eigentlich alle magischen Wesen, über die ich auch in Büchern so viel gelesen hatte.
Der scheue Augurey hatte zum Beispiel eine Vorliebe für Regenwetter. Nur wenn es regnete, verließ er sein Nest. Ansonsten verkroch er sich darin und es passte zu seinem trübsinnigen Wesen, dass er sich tränenförmige Nester mitten in dornigem Gestrüpp baute. Da seine Federn nicht nur Regenwasser, sondern auch Tinte abstießen, waren diese als Schreibfedern unbrauchbar.
Euphemia trug mir auf, den Käfig ihres Haustiers zu säubern, bevor sie mich endlich alleine ließ. Ich holte alles was ich brauchte und betrat den Käfig, wobei ich darauf achtete, gleich hinter mir die Tür zu schließen. Denn der Vogel durfte auf keinen Fall entfliehen, ansonsten würde Euphemia mich höchstwahrscheinlich umbringen.
Auch wenn dieses Geschöpf, welches in diesem Käfig lebte, eher scheu beschrieben wurde, hatte ich inzwischen sein Vertrauen gewinnen können und es ließ sich sogar von mir berühren.
Wie immer, wenn ich herein kam, flog der Vogel sofort hinunter zu mir und ich streckte automatisch meine Hand aus, auf der er sich nieder ließ.
"Na, mein Süßer.", begrüßte ich ihn und strich ihm sanft über sein Gefieder. Das schien ihm zu gefallen, denn er plusterte seine Federn auf. "Wir beide sind uns ähnlich, weißt du?", fragte ich ihn, auch wenn er mich nicht verstehen konnte. "Wir sitzen beide wahrscheinlich auf ewig hier fest. Dabei könntest wenigstens du fliegen, wohin es dir gefällt, wenn man dich nur lassen würde.", meinte ich seufzend und als ob er mich verstanden hatte, flog der Vogel wieder von meiner Hand weg und hinauf auf einen der Äste, die sich im Käfig befanden. Als ob er mir demonstrieren wollte, wie kräftig seine Flügel waren. "Ja, genau so.", sagte ich und begann dann mit meiner Arbeit.
Da ich den Käfig regelmäßig sauber machte, dauerte diese Prozedur auch nicht allzu lange und danach fühlte ich mich noch müder als vorher sowieso schon.
Deshalb ließ ich mich auf dem Boden im Käfig nieder und während ich da so saß, kam plötzlich einiges hoch und ich konnte die Tränen nicht zurück halten. Ich begann zu weinen, da mir einmal mehr bewusst wurde, dass ich mich hier tatsächlich in so etwas wie einem Gefängnis befand. Einem Gefängnis, aus dem ich wahrscheinlich niemals raus kam. Nicht, solange meine Eltern in Azkaban saßen und Euphemia lebte. Sie würde mich wahrscheinlich wirklich niemals gehen lassen.
Eine Weile saß ich einfach nur weinend da und es setzte bereits die Dämmerung ein. Am liebsten wäre ich nie wieder aufgestanden, doch ich musste.
Also erhob ich mich schwerfällig und begann meine Materialien zusammen zu suchen, um sie aufzuräumen. Doch dann erregte etwas außerhalb des Käfigs meine Aufmerksamkeit.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich nahe bei ein paar Büschen etwas rührte uns als ich erkannte, was oder besser gesagt wer es war, musste ich einfach lächeln.
Es handelte sich um eine Katze. Genau genommen um eine getigerte Katze, die eine unnatürliche quadratische Zeichnung um die Augen hatte und diese kannte ich schon seit ich denken konnte.
Denn sie besuchte mich seit meiner Kindheit regelmäßig und ich hatte keine Ahnung, woher sie kam, da hier in der Umgebung weit und breit niemand sonst lebte und das Haus von Euphemia wortwörtlich im Nichts stand.
Jedoch freute ich mich, wie immer wenn ich dieses Kätzchen sah, sehr. Sie kam und ging, wie es ihr gefiel. Allerdings war auch sie sehr zutraulich mir gegenüber. Allgemein hatte ich eine solche Wirkung auf Tiere, die aber auch meine einzigen Freunde waren. Andere Kinder hatte ich noch nie getroffen.
Umso mehr schätzte ich die Gesellschaft der Tiere und vor allem diese Katze hatte es mir angetan. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie fühlte ich mich in ihrer Gegenwart sicher.
Ich glaubte, dass dieses Gefühl mit einem Traum zusammenhing, den ich als Kind einmal gehabt hatte. Da hatte Euphemia mir zur Strafe drei Tage nichts zu essen gegeben und als ich draußen im Garten gewesen war, war plötzlich diese Katze erschienen. Allerdings hatte sie sich vor meinen Augen in eine Frau mit quadratischer Brille und Spitzhut verwandelt, die sehr freundlich zu mir gewesen war. Sie hatte sich nicht vorgestellt, doch ich konnte mich noch genau an alle Details erinnern.
Damals musste ich um die fünf Jahre alt gewesen sein und Euphemia war gerade außer Haus gewesen. Vor Hunger hatte mein Bauch so sehr geschmerzt, dass ich nur am weinen gewesen war.
Die Hexe aus meinem Traum hatte mich daraufhin auf den Arm genommen und war mit mir ins Haus hinauf in mein Zimmer gegangen. Sie hatte sich nicht vorgestellt, doch ich konnte mich noch genau daran erinnern, dass sie mich liebevoll getröstet und anschließend einen Zauberstab hervorgeholt hatte, um mit diesem etwas zu Essen für mich herbei gezaubert hatte.
Sie hatte sie mir so viel zu Essen und zu Trinken gegeben, bis ich zum ersten Mal in meinem Leben richtig satt gewesen war. Und es waren die köstlichen Dinge gewesen, die ich je hatte probieren dürfen. Der Traum war so real gewesen, dass ich heute noch glaubte, die Köstlichkeiten riechen zu können, so lebendig war die Erinnerung an diese Traumbilder.
Anschließend hatte die freundliche Hexe, die ich für mich sozusagen als meine gute Fee identifiziert hatte, mich ins Bett gebracht. Sie hatte mich zugedeckt, mir durchs Haar gestreichelt und mir ein Zaubermärchen erzählt, woraufhin ich bald eingeschlafen war.
Am nächsten Morgen allerdings hatte es keine Indizien dafür gegeben, dass diese Frau tatsächlich bei mir gewesen war und ich hatte sie auch nie wieder gesehen, weshalb es meiner Meinung nach nur ein Traum gewesen sein konnte. Jedoch war es mein schönste gewesen, denn normalerweise wurde ich Nacht für Nacht von Alpträumen heimgesucht.
Die Katze allerdings besuchte mich im wirklichen Leben heute noch und ich brachte sie immer mit der fremden Frau aus meinem Traum in Verbindung, die sich wie eine Mutter um mich gekümmert hatte. Und insgeheim hatte ich mir gewünscht, irgendwann aufzuwachen und anstatt Euphemia, diese Fremde im Haus anzutreffen. Doch dazu war es verständlicherweise nie gekommen.
Inzwischen hatte ich den Käfig verlassen und war zu der Katze geeilt, um sie auf den Arm zu nehmen um sie zu kuscheln. Das tat ich jedes Mal, wenn sie mich besuchen kam. Und wenn es ging, schmuggelte ich immer ein Schälchen Milch oder etwas zu Essen für sie aus der Küche mit hinaus. Gleichzeitig musste ich aber aufpassen, dass Euphemia nichts von der Katze erfuhr, weshalb ich mich mit ihr immer ein Stück in den angrenzenden Wald zurück zog, um mit ihr zu spielen.
So auch heute und dabei vergaß ich schier die Zeit. Irgendwann verschwand die Katze von sich aus tiefer in den Wald und ich machte mich auf den Rückweg. Inständig hoffte ich, dass Euphemia mein Fehlen nicht bemerkt hatte. Allerdings hätte sie bereits nach mir gerufen, hätte sie es mitbekommen.
Jedoch sah ich sie plötzlich im Garten vor dem Käfig stehen, als ich gerade aus dem Wald trat. Sie starrte entsetzt auf die Drahtkonstruktion und als ich ihrem Blick folgte, sah ich sofort den Grund - Die Käfigtür stand offen und das Innere des Käfigs war leer.





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Kleine Info:
Ich weiß, dass diese Szenen sehr heftig geschrieben sind und es tat mir beim Erstellen der Geschichte selbst ein bisschen weh, meiner jungen Protagonistin so etwas erleben zu lassen. Jedoch werden diese Erlebnisse Alyas Leben nachhaltig beeinflussen, weshalb ich mich dazu entschlossen habe, meine Idee genau so umzusetzen, wie es von Anfang an geplant war. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, das alles ein wenig abzumildern, doch dabei hatte ich das Gefühl, die Geschichte könnte dadurch nicht authentisch wirken. Ich bin definitiv die Sorte Autorin, die manchmal etwas zum Extremen neigt und die grundlegende Einfälle so aufgreift, wie es mir durch den Kopf geschossen ist. Außerdem schreibe ich sehr detailliert und ausführlich, das hat von Anfang an zu meinem Schreibstil gehört. Bitte seid mir deshalb nicht allzu böse. Es wird auch ganz viele schöne Momente für Alya geben, versprochen;)

Und nun viel Spaß mit dem zweiten Kapitel!

LG Feline :)

The Heiress of Slytherin - Slytherins ErbinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt