I don't wanna runaway
And one of these days I might just show that
Ed Sheeran – Runaway
Im Schlafsaal war es unruhig. Ein paar Leute schienen zu schlafen, doch die meisten unterhielten sich leise. Faith seufzte und drehte sich auf die andere Seite. Sie konnte nicht schlafen. Immer wenn sie die Augen schloss, sah sie die Blicke ihrer Eltern und ihrer Geschwister. Der verwirrte Blick ihrer großen Schwester, der ungläubige ihres Bruders. Der fassungslose Blick ihres Vaters machte ihr am meisten zu schaffen. Ihre Mutter war die Einzige gewesen, die sie ruhig und liebevoll angesehen hatte – sie war anscheinend auch die Einzige gewesen, die geahnt hatte, welche Fraktion Faith wählen würde. Sie hatten über den Test der Bestimmung nicht gesprochen und doch hatte Faith es gespürt in der Art, wie ihre Mutter sie heute Morgen noch umarmt hatte. Sie konnte kaum glauben, dass sie noch nicht einmal einen halben Tag bei den Ferox war. Dabei war ihr der Tag so unglaublich lang vorgekommen.
###FLASHBACK###
Ihr Blick glitt zwischen den einzelnen Schalen hin und her. Wasser, Glas, Kohlen, Erde und Steine. Ken, Candor, Ferox , Amite und Altruan. Eigentlich musste sie nicht lange überlegen. Die scharfe Klinge schnitt ihr ins Fleisch und sie hielt die Hand über die Schale mit den Kohlen. Der Tropfen Blut fiel von ihrer Hand und verdampfte.
„Ferox!" verkündete der Mann hinter ihr und die Ferox jubelten laut. Aus den Reihen der Amite erklang unruhiges Gemurmel. Es war schon sehr lange her, dass einer aus ihren Reihen zu den Ferox gewechselt war. Sie befürchtete, die Erste aus ihrer Fraktion zu sein. Doch jetzt ließ sich ihre Entscheidung nicht mehr rückgängig machen – und das wollte sie auch überhaupt nicht mehr. Das Mädchen drückte sich ein Pflaster auf den Schnitt in ihrer Handfläche und ging zu ihrer neuen Fraktion, die sie jubelnd empfing.
Nach der Bestimmungszeremonie liefen die Ferox nach draußen. Die Fraktionswechsler hatten Mühe mitzuhalten. Der Braunhaarigen ging schon fast die Puste aus, als die Ferox plötzlich anhielten und begannen, an den Säulen hochzuklettern, die als Stütze für die Bahnschienen dienten.
Im Nachhinein konnte das Mädchen nicht mehr sagen, wie sie es dort nach oben geschafft hatte. Ihre Hände taten ihr jetzt schon weh. Plötzlich vibrierte der Boden unter ihr. Es dauerte etwas, bis sie begriff, dass ein Zug im Anmarsch war. Plötzlich begannen die Ferox zu laufen.
„Los!" schrie eine ehemalige Candor ihr zu. „Wir müssen da rauf!" Die Braunhaarige beeilte sich dem Mädchen zu folgen. Ein weiteres Mädchen in der Kleidung der Altruan schloss sich ihnen an. Die Candor sprang ab und gelangte als Erste in den Zug. Dann half sie ihr. Gemeinsam zogen die beiden Mädchen die Altruan hinein. Prustend und schwer atmend lehnten sie sich gegen die Wand des Zuges.
„Man, so etwas hab ich ja noch nie gemacht." Die Candor grinste. „Aber es war voll geil!" Sie mussten lachen.
„Ich bin Christina!" stellte sich die Candor vor.
„Ich heiße Tris", meinte die Altruan.
Die Amite wollte gerade etwas erwidern, als der Zug eine scharfe Kurve machte und die Mädchen aus dem Gleichgewicht warf.
„Ich glaube, die springen", meinte Tris neben ihnen. Das Mädchen und Christina sahen nach vorne. Tatsächlich. Die Ferox sprangen aus dem Zug. Die Mädchen sahen sich an und kamen dann auf die Beine.
„Ich schätze, wir müssen das auch machen", meinte die Braunhaarige.
„Auf drei?" fragte Christina.
„Auf drei!" bestätigte Tris.
Sie kam hart auf dem Dach auf, rollte sich ab und blieb auf dem Kies sitzen. Christina und Tris hatten weniger Glück gehabt und hielten sich die pochenden Hinterteile. Die Braunhaarige rappelte sich auf und half den anderen hoch. Gemeinsam gingen sie zu der Gruppe an Fraktionswechslern, die sich an der Kante des Daches versammelt hatten. Bei ihnen stand ein muskulöser Ferox, der zwei Piercings über der rechten Augenbraue besaß. Die Amite konnte beim näherkommen Tattoos auf dem Hals und an beiden Armen erkennen. Sie musste zugeben, dass er ziemlich gut aussah.
Der Ferox musterte die Gruppe um sich herum skeptisch.
„Alle mal herhören", sprach er dann. Seine Stimme war tief und kalt. Dem Mädchen rann eine Gänsehaut über den Rücken, er sah zwar gut aus, aber damit endeten dann auch anscheinend seine positiven Eigenschaften. Allein durch seine Haltung strahlte dieser Mann eine ungeheure Dominanz aus und seine Stimme tat ihr übriges dazu. Dem wollte sie nachts nicht über den Weg laufen...
„Mein Name ist Eric", fuhr er fort. „Ich bin einer der Anführer der Ferox und in der kommenden Zeit auch einer eurer Ausbilder."
Sie, Christina und Tris warfen sich unsichere Blicke zu. Na, das konnte ja heiter werden.
„Aber bevor wir mit eurer Ausbildung beginnen können, müsst ihr erst einmal beweisen, dass ihr es wert seid."
„Wie bitte?" Christina schien empört, bereute jedoch sofort, etwas gesagt zu haben. Das sah man ihr an. Tja, allerdings war ihre Zunge schneller gewesen, als ihr Kopf. Typisch Candor. „Wir haben uns für die Ferox entschieden. Von so etwas hat uns niemand etwas gesagt." Mit drei Schritten war Eric bei ihr. Nur ein Hauch trennte sie voneinander.
„Willst du damit sagen, dass du dich nicht für uns entschieden hättest, wenn du davon in Kenntnis gesetzt worden wärest?" gab er fordernd zurück. Die Amite, die direkt neben Christina stand, wagte kaum zu atmen. Erics Augen waren kalt und blickten das Mädchen neben ihr fest an.
„Denn, wenn dem so sein sollte, kannst du gleich wieder umdrehen und dir einen Platz bei den Fraktionslosen sichern. Nein? Gut, dann lerne dein loses Mundwerk zu zügeln, Püppchen, oder es wird dir noch leid tun." Damit drehte er sich um und kehrte zu seinem Platz am Rand des Daches zurück. Die Braunhaarige spürte, wie sie eine tiefe Abneigung gegen diesen Eric entwickelte. Sie konnte sehen, wie er seine Dominanz über die anderen genoss. Was für ein Arschloch.
„Also", fuhr Eric fort. „Beweist mir, dass ihr es wert seid, zu Ferox ausgebildet zu werden." Er machte eine kurze Pause. „Springt da runter." Er deutete mit einem Kopfnicken hinter sich. Die Menge um ihn drängte sich an den Rand des Daches und sah hinunter. Dort klaffte ein großes schwarzes Loch.
„Was ist da unten?" fragte einer der Fraktionswechsler.
Eric zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, find's raus." Er sah sich um. „Irgendwelche Freiwillige?" Die Menge um ihn herum blieb still. Das Mädchen beobachtete, wie Eric die Augen rollte und theatralisch seufzte. „Wow, ihr überschlagt euch ja gleich mit Meldungen. Da muss ich mir wohl jemanden aussuchen."
Doch das brauchte er gar nicht mehr.
„Ich mach's." Das Mädchen sah sich um. Tris hatte das Wort erhoben und ging nun langsam auf Eric zu. „Ich springe."
Eric musterte sie langsam. „Eine Stiff? Nehmen wir denn heutzutage jeden auf?" Den letzten Teil des Satzes hatte er leise gesprochen, mehr zu sich, als zu den anderen. Dennoch machte er Tris Platz. Christina und die Amite beobachteten, wie Tris auf die Kante stieg. Sie sah hinunter, sah dann zu Eric und wieder hinunter.
„Heute noch", drängte Eric.
Dann sprang Tris.
Nacheinander sprangen nun auch die anderen Fraktionswechsler. An sechster Stelle war die Braunhaarige dran. Als sie an Eric vorbei ging, zog der nur eine Augenbraue hoch.
„Was denn, erst eine Stiff und nun auch noch eine Baumkuschlerin? Was ist denn heute los?" Sie sah auf und begegnete seinem kalten Blick. Sie überkam eine Gänsehaut und ging eilig an ihm vorbei. Sie kletterte auf die Kante, atmete tief durch und ließ sich fallen.
Es schien eine gefühlte Ewigkeit zu dauern, dann wurde sie von einem großen Netz aufgefangen. Jemand zog daran und das Mädchen rutschte nach unten. Ein Ferox hielt ihr die Hand entgegen und hob sie runter.
„Gesprungen oder geschubst?" fragte er.
„Gesprungen", meinte sie, immer noch etwas atemlos von dem Adrenalin, das durch ihren Körper pulsierte.
„Okay. Wie heißt du?" Er sah sie an. „Du kannst dir einen neuen Namen aussuchen, wenn du willst. Aber beeil dich, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."
„Ich..." sie atmete tief durch. „Ich heiße Faith."
„Alles klar. Willkommen bei den Ferox, Faith."
###FLASHBACK ENDE###
Das alles lag jetzt ein paar gute Stunden hinter ihr. Eric und Four, ihr zweiter Ausbilder und derjenige, der sie aus dem Netz gezogen hatte, hatten die Initianten einer Führung durch die Grube unterzogen und sie danach angewiesen, ihre alten Kleider zu verbrennen und sich neue anzuziehen. Faith hatte einen kleinen Stich in der Brust verspürt, als sie ihr Kleid ins Feuer geworfen hatte, doch danach machte sich so ein Gefühl wie Freiheit in ihr breit. Sie war nun befreit von ihrer alten Fraktion. Von ihren Aufgaben und Ansichten entbunden. Endlich frei.
Danach hatte es Abendessen gegeben. Faith wünschte sich, es wäre ein wenig anders abgelaufen.
###FLASHBACK###
„Oh man, hab ich einen Hunger!" Christina ließ sich auf einen freien Platz sinken, Tris setzte sich rechts und Faith links neben sie. Wenig später ließ sich Four auf den Platz gegenüber von Tris sinken. Eric kam bald darauf hinzu und setzte sich neben ihn. Faith wagte kaum den Blick zu heben und vertiefte sich in das Essen. Tris versuchte mit Four ein Gespräch anzufangen, scheiterte jedoch kläglich bei dem Versuch. Als Faith nach ihrem Glas griff, streifte sie mit ihrem Blick zwei kühle blaue Augen, die sich ihr gegenüber befanden und sie im gleichen Moment ansahen.
„Was gibt's da zu gucken?" schnauzte Eric sie an. Faith schluckte und schwieg. Ihr fiel keine passende Antwort ein und schien es ihr im Moment das Beste, einfach die Klappe zu halten. Diese Idee ließ sich jedoch nicht in die Tat umsetzen, da Eric sie erneut ansprach.
„Was macht eine Amite eigentlich hier bei den Ferox, hm?"
Faith seufzte und sah auf. „Ich schätze, ich hatte genug vom ewigen Bienchen-und-Blümchen-Getue."
Eric nickte. „Kann ich verstehen. Ist doch auf Dauer ziemlich langweilig, oder?"
„Nicht so langweilig, wie mich mit dir unterhalten zu müssen." Dieser Satz war komplett ungewollt gewesen und nur Faiths spitzer Zunge zu verdanken, die ihr schon ein paar Mal Ärger bei den Amite eingebracht hatte. Nun senkte sie eilig den Blick und murmelte etwas von einer Entschuldigung. Zu spät. Eric war bereits wütend.
„So? Du hältst dich also für etwas ganz Besonderes?" Er ließ seinen Blick abfällig über ihren Körper wandern. „Hast dafür allerdings nur spärlich was zu bieten."
Faith merkte, wie Ärger in ihr zu pulsieren begann.
„Wenn's dir hier nicht gefällt, kannst du ja wieder zu deinen Bienchen und Blümchen zurückkehren. Die nehmen dich bestimmt gerne wieder auf, du Sonnenblume."
„Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass es mir hier nicht gefällt", erwiderte Faith und sah wieder auf. Ihr Blick kreuzte sich mit Erics und es kostete sie immens viel Kraft, diesen kalten Augen stand zu halten.
„Es gefällt mir hier, nur kann ich mit einigen der hier lebenden Leute nicht viel anfangen." Ein weiterer Satz den Faith später bereute.
Eric lehnte sich vor und kam ihrem Gesicht gefährlich nahe. Faiths Atem beschleunigte sich.
„Tja, dumm nur, dass ich für deine Ausbildung zuständig bin", meinte Eric ruhig. Doch gerade diese ruhige Stimmlage konnte nichts Gutes verheißen. „Wir werden ja morgen sehen, wie viel du mit den Leuten hier anfangen kannst." Er warf ihr einen letzten kalten Blick zu, dann erhob er sich und verschwand.
###FLASHBACK ENDE###
Faith lief es jetzt noch kalt den Rücken hinunter. Sie wollte gar nicht an morgen denken. Warum musste sie es sich gerade am ersten Tag direkt mit ihrem Ausbilder verscherzen? Eric war allerdings wirklich schnell auf die Palme zu bringen. Da reichte schon ein Wort mit der falschen Untermalung und der Typ war auf hundertachtzig. Faith seufzte und drehte sich auf die andere Seite. Das Bett unter ihr quietschte leicht. Es war nicht gerade das, was sie von den Amite kannte, allerdings hätte es auch schlimmer kommen können. Die Matratze war nicht hart und die Decken hielten warm. Langsam wurde es still um Faith. Die anderen Initianten schienen sich endlich dazu entschlossen zu haben, schlafen zu gehen. Faith schloss die Augen und versuchte, sich zu entspannen. Doch es gelang ihr nicht. Zwei eisblaue Augen schoben sich immer wieder vor sie und den Schlaf. Genervt stand sie auf und ging in den Waschraum. Sie hielt ihre Hände unter das kalte Wasser und spritzte sich etwas davon ins Gesicht. Dann sah sie in den Spiegel.
„Faith!" sprach sie leise zu sich selbst. „Lass doch nicht zu, dass dieser Arsch dich auch noch vom Schlafen abhält. Wo kommen wir denn da hin?" Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Das war alles viel zu viel für einen Tag gewesen. Sie konnte die Gedanken förmlich sehen, wie sie in ihrem Kopf herum spukten.
Warum war Eric so? War er schon immer so ein Arsch gewesen? Oder war irgendetwas passiert, das seinen Charakter so drastisch verändert hatte? – Moment mal! Warum machte sie sich eigentlich Gedanken darüber? Nur, weil er ihr Ausbilder war? Weil sie sich mit ihm angelegt hatte? ... Weil er so gut aussah? ... Weil seine Augen sie einfach nicht losließen? Genervt fuhr sich Faith durch ihre langen Haare und flocht sich ihren Zopf neu. Das war eindeutig zu viel für einen Tag. Sie war komplett durcheinander. War es vielleicht doch eine falsche Idee gewesen, sich für die Ferox zu entscheiden? Nein. Da war sie sich sicher.
Dennoch war Vorsicht geboten. Sie musste lernen, ihre Zunge zu zügeln. Gerade sie. Die Ferox mochten nicht so schlau sein, wie die Ken. Doch strohdumm waren sie auch nicht. Wenn Faith nicht aufpasste, würde sie sich verraten und ihr Geheimnis offenbaren. Unbestimmte.
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Irgendwas, das bleibt (Divergent FF)
FantasyAls Faith den Ferox beitritt ahnt sie noch nicht, in was für Gefahren und Intrigen sie da hinein rutscht. Schon früh realisiert sie, dass Vertrauen etwas sehr Kostbares ist und dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Umgeben von Raufbolden lernt sie...