»Nachbarn«
Am nächsten Tag hatte sich nichts verändert. Es war immer noch dunkel und Jimin fragte sich, ob er heute überhaupt zur Arbeit gehen musste. Wahrscheinlich nicht. Man hätte ihn momentan sowieso nicht erreichen können, um ihn zum Studio zu bitten.
Jimin entschloss sich also, seinen Tag heute zu Hause zu genießen. Allerdings hatte er nicht bedacht, dass es für ihn zu Hause nichts gab, das er machen könnte. Er hatte ja keinen Empfang zum U-Web.
Nach einem äußerst eintönigem Morgen, den Jimin damit verbrachte sich mit Trixie™ zu unterhalten, wurde er um die Mittagszeit endlich von seiner Langeweile erlöst. Ein Klopfen an seiner Wohnungstür riss ihn aus seinem Starrwettbewerb mit der Wand.
Es war Taehyung, der ihn mit seinem Grinsen fröhlich begrüßte. Er musste durch die gläserne Röhre, die ihre beiden Wohnkomplexe miteinander verband, hergelaufen sein.
"Hey, Jiminie! Ich habe mich aus meiner Wohnung ausgesperrt", erklärte er dem verdutzten Jimin, als wäre es das Natürlichste auf der Welt.
"Wie hast du das geschafft?"
Taehyung zuckte mit den Schultern, wie so oft. "Ich bin raus und zu spät ist mir aufgefallen, dass man ohne Strom die Tür nicht mehr öffnen kann."Jimin verdrehte die Augen. So etwas konnte aber auch nur Taehyung passieren. Er ließ seinen besten und einzigen Freund eintreten. Gemeinsam setzten sie sich auf die Couch und schauten den Schneeflocken stumm dabei zu, wie sie die Stadt unter immer tieferem Weiß begruben.
"Sie sollten als Erstes wirklich versuchen, den Schnee wieder unter Kontrolle zu bekommen."
Taehyung sagte nichts dazu. Die Freunde hüllten sich in erneutes Schweigen, als sich das Gesicht des Jüngeren plötzlich erhellte. Skeptisch betrachtete Jimin ihn von der Seite."Warst du schon mal auf dem Dach?"
"Nein. Wieso sollte ich?"
Entsetzt riss Taehyung seine Augen auf. "Warum du solltest? Auf unseren Dächern sind riesige Gärten!"
"Ja und? Ich hatte nie das Bedürfnis in den Garten zu gehen. Außerdem weiß ich überhaupt nicht, wie man da hochkommt."Taehyung schüttelte mit dem Kopf und drückte Jimin dann seinen Wintermantel in die Hand.
"Zieh dich warm an. Es ist kalt draußen."
"Was du nicht sagst." Jimin griff noch nach einer solarbetriebenen Wärmekugel und folgte Taehyung dann eilig auf den Korridor vor seiner Wohnung.Als die Tür mit einem Knall ins Schloss fiel, zuckte der Blonde zusammen. "Na toll. Taehyung!", rief er seinem Freund hinterher, der schon vorgerannt war. "Wie sollen wir denn jetzt wieder reinkommen?!"
Doch der Junge antwortete ihm nicht. Er hatte eine Klappe in der Decke des Korridors mithilfe des Stiels eines selbstständigen Besens geöffnet, der protestierende Geräusche von sich gab, und zog daraus eine Aluminiumleiter hervor. "Komm schon!"
Auf dem Dach pfiff den beiden jungen Moderatoren der Wind eiskalt um die Ohren. Die Schneeflocken verfingen sich in ihren Haaren. Fröstelnd zog Jimin seinen Schal noch ein ganzes Stück höher, während Taehyung sich breit lächelnd umsah.
Auch Jimin ließ seinen Blick nun über die große Gartenanlage auf dem Dach schweifen. Über den singenden Wind hinweg, glaubte er leise Musik dudeln zu hören. Ein einziger Baum befand sich auf der weißen Fläche. Er war geschmückt mit winzigen Lichtern in den kahlen Ästen. Diese mussten wohl mit einem noch geladenen Akku betrieben werden. Darunter hockten zwei Gestalten auf einer rotkarierten Decke. Weißer Rauch waberte um sie herum.
Taehyung hüpfte durch die Schneewehen auf die beiden Männer zu. Jimin folgte ihm weit weniger begeistert mit der Wärmekugel in den Händen, die Trixie™ für ihn aktiviert hatte. Er wollte eigentlich nur in seine Wohnung zurück. Dort war es selbst ohne Strom wärmer als auf dem zugigen Dach.
Die beiden Männer saßen offensichtlich schon länger hier. Auf ihren Köpfen befand sich bereits eine dünne Schicht des glitzernden Schnees. Die Kälte schien ihnen jedoch nichts auszumachen. Viel mehr fanden sie es wohl witzig, wie sie mit der Zeit vom Schnee begraben wurden.
"Dürfen wir uns zu euch setzen?", fragte Taehyung sie. Jimin verzog das Gesicht. Heutzutage sprach man wildfremde Menschen doch nicht mehr einfach so an. Zuerst kontrollierte man ihr Profil im U-Web und chattete gelegentlich mit ihnen. Und man setzte sich schon gar nicht dazu.
"Aber natürlich. Wir beißen nicht", antwortete der Größere der beiden und lachte gleich darauf so sehr über seine eigene Aussage, dass er sich auf dem Boden kullerte. Die Schneedecke fiel dabei von ihm, was seinem Kameraden ein heißeres Lachen entlockte.
Zögerlich hockte sich Jimin neben seinen Freund und beobachtete die beiden. Die Musik, die er vorhin schon gehört hatte, kam aus einem alten Radio, das Jimin noch aus seinem Geschichtsunterricht in der Schule kannte. Das Lied, das seine Klänge über das Dach erschallen ließ, erinnerte ihn jedoch an einen der Backgroundsongs einer Dokumentation über eine Gruppe Menschen aus dem letzten Jahrtausend, die Hippies genannt wurden. Jimin hatte sich die Doku erst vor Kurzem angesehen, als ihm seine Dramen doch einmal zu vorhersehbar wurden.
"Wie heißt ihr? Was macht ihr hier oben?", fragte Taehyung die Verrückten auf ihrer Decke aus. Sie hatten es mittlerweile geschafft, ihr Lachen unter Kontrolle zu bekommen.
"Yoongi und Namjoon." Der Sprecher zeigte erst auf sich selbst und dann auf seinen Nachbarn. "Wir sind fast immer hier. Ist doch gemütlich."Jimin zog die Brauen zusammen. Es war kalt und der Qualm um sie herum brachte ihn zum Würgen. Doch das störte diese beiden nicht, denn er kam augenscheinlich aus den altertümlichen Joints, die sich zwischen ihren Fingern befanden.
"Und was macht ihr hier? Normalerweise macht sich niemand die Mühe hochzusteigen." Die Stimme des Kleineren war rau und kratzig.
"Wir haben uns aus unseren Wohnungen ausgesperrt. Ohne Strom lassen sich die Türen nicht mehr öffnen."Erneut brachen ihre Gegenüber in unbändiges Lachen aus. "Deshalb", Namjoon holte tief Luft, um sich zu beruhigen. "Deshalb haben wir unser Türschloss auch gegen eins von 2060 ausgetauscht. Die lassen sich mit einem Schlüssel öffnen."
"Mit einem Schlüssel." Zweifelnd sah Jimin sie an.
"Natürlich, Jiminie. Sie sind doch deine Nachbarn. Ist dir noch nie aufgefallen, dass ihr Türschloss anders aussieht als deines?"
"Nein. Ich wusste nicht mal, dass sie meine Nachbarn sind.""Ich sollte mein Türschloss auch austauschen, sobald das hier vorbei ist", überlegte Taehyung laut. "Dann kann meine Tür auch nicht gehackt werden, so wie die meiner Nachbarin drei Etagen tiefer. Nur wenn ich den Schlüssel verliere, könnte es ein wenig unpraktisch werden. Wo bekomme ich so ein Schloss eigentlich her?"
"Taehyung!", unterbrach Jimin da plötzlich dessen Redefluss. Ihm war etwas überaus Wichtiges eingefallen, an das bisher noch keiner von ihnen gedacht hatte.
"Wie sollen wir jetzt eigentlich Geschenke kaufen, wenn das U-Web nicht mehr funktioniert?"
"Naja, wir machen es so, wie ich es immer mache und gehen in richtigen Läden einkaufen. In den kleineren Orten gibt es noch einige davon."Entsetzt blickte Jimin seinen besten Freund an. "Richtige Läden?" Er zögerte. "Wir kommen doch gar nicht aus dem Gebäude. Die Fahrstühle gehen nicht mehr." Schon fühlte Jimin sich wieder sicher. Er hatte wirklich keine Lust durch kleine Geschäfte zu spazieren und Geschenke zu suchen. Ja, sich die Geschenke auch noch auszudenken, denn er hatte ja keinen Zugriff mehr auf die vorgefertigte Liste.
Doch er hatte nicht mit Taehyungs Einfallsreichtum gerechnet. Dieser war zu einem großen, grauen Kasten am Hausrand gegangen und öffnete dort eine unscheinbare Tür.
"Wir nehmen die Feuerleiter."°°°
-Joiy
Und das 3. Türchen. Es tut mir leid, dass es heute so spät kam, aber ich konnte es leider nicht eher bearbeiten.
Außerdem möchte ich mich für eure Unterstützung und die vielen lieben Worte und Komplimente bedanken. Ich habe wirklich nicht erwartet, dass so viele meinen Adventskalender lesen. Ihr seid mein bestes Vorweihnachtsgeschenk ❤
DU LIEST GERADE
All I want for Christmas... | Adventskalender
FanfictionIn einer Welt, in der es pünktlich zum ersten Dezember schneit und Weihnachten jedes Jahr genauso läuft, wie es sollte, wünscht sich Park Jimin nichts weiter als... Ja, als was denn? Er hat eine Menge Wünsche. Eben genauso, wie es sich für einen Men...