13. Dezember

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»Weihnachtsbaum«

Jin gehörte zu den wohl sympathischsten Menschen, die Jimin jemals kennenlernen durfte. Er hatte sie alle bei sich schlafen lassen, denn "sie würden am nächsten Morgen doch sowieso alle gemeinsam weiterfahren." Er hatte Recht, dennoch war es für Jimin noch immer sehr ungewohnt, wenn eigentlich fremde Menschen so bereitwillig ihre Hilfe anboten.

Die Sonne schimmerte bereits durch die kleinen Fenster des Clubs, als die vier Freunde zwischen den Tischen standen und auf Jin warteten. Als endlich die Hintertür mit Schwung geöffnet wurde und Jin hereinstolzierte, fiel Jimin vor Erstaunen die Kinnlade herunter.

Er hatte schon bemerkt, dass Jin sehr extravagant war, aber so einen Auftritt hatte er nicht erwartet. Der hochgewachsene Mann trug einen weißen Pelzmantel, der hinter ihm herwehte, als er mit großen Schritten zu ihnen aufschloss. Über seiner Schulter baumelte eine schwarze Tasche. Aber das ist noch nicht das Erstaunlichste.

Außer der glänzenden Tasche lugte ein winziger Hund hervor. Ein weißer Spitz steckte seine kleine Schnauze neugierig in die Runde. Jin tätschelte ihm sanft den Kopf.
"Das ist RJ", stellte er sein Haustier mit einem liebevollen Lächeln vor.

Ihnen allen ging ein Licht auf. Jin musste die letzten Jahre wirklich einsam gewesen sein, wenn er immer nur mit seinem Hund gefeiert hatte. 

"Wollt ihr gleich los, oder haben wir noch einen Tag länger Zeit?", fragte der Clubbesitzer, während Hoseok dessen Reisetasche zu den Geschenktüten in den Kofferraum verfrachtete.
Verwundert blickten ihn alle Anwesenden an.
"Wo willst du denn noch hin?"

Jin lächelte selig und kraulte RJ hinter den Ohren, der das sichtlich genoss.
"Ich möchte euch etwas zeigen. Etwas ganz besonderes."
Sie wussten zwar nicht, was er nun genau meinte, aber natürlich stimmten sie zu. Ihre gesamte Reise bestand schon aus ganz besonderen Momenten. Einer mehr konnte da nicht schaden.

In dem Oldtimer war es mittlerweile wirklich eng. Zu fünft passten sie gerade so alle auf die Sitze. So war es aber immerhin die gesamte Fahrt kuschelig warm. Jin hatte nicht zu viel versprochen, als er nach einem Tag länger gefragt hatte.

Sie fuhren mit Jins Wegweisung immer weiter hinaus aus der Kleinstadt. Erstaunlicherweise ließen sie die letzten Häuser auch bald hinter sich. Normalerweise schlossen die Ortschaften ziemlich dicht aneinander an. Sie mussten sich einem Naturgebiet nähern. 

Diese Vermutung bestätigte sich, als Jin Hoseok am Nachmittag anwies, den Wagen zu parken.
"Ab hier müssen wir laufen. Jetzt kommt bald die Absperrung zum Naturgebiet. Wenn wir weiterfahren, ist das zu auffällig."

Jimin runzelte die Stirn. Es war verboten diese Gebiete zu betreten. So wollte man die wenige, übrig gebliebene Natur schützen.
"Willst du in das Naturgebiet gehen?"
Jin nickte ernst. Ich mache das nicht zum ersten Mal. Wenn du an der richtigen Stelle über den Zaun kletterst, bemerken dich die Kameras nicht."

Hoseok und Jeongguk betrachteten ihn zweifelnd. Auch Jimin war sich unsicher bei dir Sache. Nur Taehung schien hellauf begeistert. Was hatten sie auch anderes erwartet? Er lagerte ja auch auf dem Dach eines Hochhauses seine Skier samt Wechselsachen.

Der Weg durch den Schnee war nicht einfach. Die Wetterstation hatte den ununterbrochenen Schneefall noch immer nicht im Griff. Jimin fragte sich, wie die Verkehrssituation in der Metropole wohl gerade war. Hier draußen hatten sie die Straßen relativ schnell wieder freigeräumt. Aber ob sie sich in der Metropole auch so schnell auf manuelle Schneepflüge umstellen konnten?

Die Sonne war untergegangen, als sie den hohen Maschendraht erreichten. Hinter ihm begann die Baumgrenze eines finsteren Nadelwaldes. Was wollte Jin mit ihnen im Wald? Jimin konnte sich außerdem nicht vorstellen, dass der herausgeputzte Clubbesitzer mit seinem schweren Mantel und RJ unterm Arm über diesen Zaun klettern würde.

Da hatte er sich allerdings getäuscht. Jin zurrte die schwarze Tasche fester, griff nach den Maschen im Zaun und war mit wenigen, kletternden Schritten auf der anderen Seite.
"Ihr müsst genau auf der selben Stelle drüber, sonst seit ihr auf dem Film", rief er ihnen zu.

Mit weit mehr Anstrengung und deutlich weniger Eleganz kletterten die anderen vier ihm hinterher und landeten einer nach dem anderen im tiefen Schnee. Jimin klopfte Taehyung das gröbste des glitzernden Weißes vom Rücken und griff dann nach seiner kalten Hand, um ihn eilig hinter sich herzuziehen. Jin war schon mit großen Schritten voraus und tiefer in den Wald gegangen.

"Er scheint das wirklich öfter zu machen", flüsterte Jimin seinem besten freund zu, der begeistert nickte. Er hatte wohl gerade seinen neuen Seelenverwandten gefunden.

Plötzlich wurde die bedrückende Dunkelheit von einem zarten Schimmern durchbrochen. Wenige Augenblicke später blieben sie vor einem riesigen Tannenbaum stehen, von dem das warme Leuchten ausging.

Er war über und über mit batteriebetriebenen Lichterketten, glänzenden Weihnachtskugeln und silbernem Lametta geschmückt. Die vier Freunde kamen nicht mehr aus dem Staunen heraus. So etwas schönes hatten sie noch nie in ihrem gesamten Leben gesehen. Echte Weihnachtsbäume kannte Jimin nur aus seinem digitalen Bilderbuch, dass er sich als Kind immer angeschaut hatte.

Auch Tae ließ aus Ehrfurcht Jimins Hand fallen und strahlte fast heller als der Weihnachtsbaum, der hier einfach mitten im Wald stand. 
Stolz beobachtete Jin ihre Reaktionen und drehte sich dann ebenfalls wieder zu der hohen Tanne um.
"Ein paar Freunde aus der Stadt kommen jedes Jahr mit mir hierher, um einen Baum zu schmücken. es gehört zu unseren festen Tradition an Weihnachten. Wir können uns alle keinen echten Baum leisten, das heißt aber nicht, dass so etwas schönes einfach verloren gehen darf."

Jimin nickte. Er verstand, was Jin meinte. Das hätte er vor dieser Reise vielleicht noch nicht, aber jetzt tat er es.

Während sie still ihren Gedanken nachhingen, brach plötzlich der Himmel auf. Als wöllten auch die Sterne an diesem Moment Teil haben wollen. Jimins Lächeln verschwand nicht mehr aus seinem eiskalten Gesicht. Sein Blick wanderte zu der unendlich vielen, funkelnden Lichtern über ihnen.

Eines der Lichter löste sich vom grauen Himmelszelt und sauste zur Erde hinab, um den Augenblick noch ein Stückchen magischer zu gestalten. Jimin blinzelte. Dann schloss er die Augen und wünschte sich etwas.

Denn vielleicht waren ein neuer Schal und Schuhe doch nicht das, was er wirklich zu Weihnachten wollte.

°°°

-Joiy

Schönen dritten Advent!

All I want for Christmas... | AdventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt