Zwanzigstes Kapitel • Die Chance

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Ich komme in diesen Wochen immer seltener zu diesen Einträgen, immer seltener dazu, niederzuschreiben, was mir wiederfährt. Meine Tage bleichen ineinander über, nächtelang liegen Titan und ich wach und empfangen die übrigen in unseren Hallen, nur um seiner Ehren. Die Frauen wispern, wenn er den Raum betritt, ganz so wie ich es selbst einst tat. Wir speisen gemeinsam, gehen zu Bett gemeinsam, wachen gemeinsam und töten gemeinsam. Und es ist gut.

Meredith Castor, 14. Oktober 1978

20.

All diese Fragen bestimmten die folgende Nacht. Schlaflos lag Hermine da, wälzte sich in ihren Kissen hin und her, von der einen auf die andere Seite und starrte aus dem niedrigen Fenster unter der Decke, durch das das helle Licht des Vollmondes durch den grünlichen Grund des Schwarzen Sees schien. Wie weit wäre sie gegangen? Wie weit wäre sie mit Draco Malfoy gegangen, dem Mann, von dem sie früher einmal gedacht hatte, ihn für immer und ewig zu verabscheuen? Dem Mann, bei dem sie nie damit gerechnet hätte, in seiner Anwesenheit mal etwas anderes zu fühlen, als Angst vor seinen Schikanen oder Verletzung ob seinen harschen Worten, der Mann, bei dem sie nicht gedacht hatte, ihm einmal positive Gefühle entgegen zu bringen, geschweige denn Romantik und heiße Erregung. Hätte sie mit ihm geschlafen? Ihn sie berühren lassen, wie es kein anderer, nicht einmal Ron je getan hatte? So intim, wie noch niemand ihr je begegnet war. Hätte sie das getan? Hermine wusste es nicht. Und obgleich sie sich wünschte, mit jemandem darüber sprechen zu können, mit Ginny vielleicht oder Millie, traute sie sich nicht, eine von beiden einzuweihen. Nicht einmal, als Millie schließlich kurz nach ein Uhr nachts nun ihrerseits die Augen aufschlug und in Hermines hellwaches, aus dem Fenster starrendes Gesicht sah und ihr verärgert ein Kissen gegen die Schulter warf, schaffte Hermine es, zu erzählen, was in ihr vorging, ihr wache Stunden bereitete. „Schlaf jetzt, Hermine!", murmelte die Slytherin trunken vor Müdigkeit und warf ihr einen kurzen, besorgten Blick zu, bevor sie wieder in ihre Kissen fiel und geräuschvoll zu Schnarchen begann. Hermine kicherte leise, doch als auch sie zurück in ihre Matratze sank, blich das Lächeln in ihrem Gesicht, als der Schlaf noch immer ausblieb. Es dauerte lang, bis Hermine in einen Traum verfiel und selbst dieser war wirr und chaotisch, dunkle Gestalten mit weißlicher Haut, singende Münder und tiefe, schwarze Finsternis zuckten durch ihren Schädel.

Und auch, als Hermine am Morgen die Augen wieder aufschlug, waren die Fragen in ihrem Kopf noch lange nicht verblasst. Gleich, als sie Draco im Gemeinschaftsraum sitzen sah, vertieft in ein leises Gespräch mit Blaise Zabini, schien ihr Körper sich an diese Hitze zu erinnern, dieses seichte, weiche Gefühl in ihrem Unterleib und sie zog die Brauen zusammen, fuhr sich nachdenklich mit der Hand über die Augen. Millie, die diese Geste wohl als Zeichen ihrer Müdigkeit deutete, klopfte ihr mitfühlend auf die Schulter und schob sie sanft aber bestimmt in Richtung Ausgang. „Kaffee kommt sofort!" Millie salutierte gespielt und als ein paar Minuten später das heiße Gebräu Hermines Lippen berührte, hatte diese wirklich das Gefühl, die Welt sähe gleich ein bisschen besser aus. Bei dem Gedanken daran, wie gut sich diese Hitze in ihrem Inneren angefühlt hatte, wie willenlos sie einzig der Wohligkeit seiner Berührung gefolgt war, ohne darauf zu achten, was richtig und was falsch war, lächelte sie leise. Auch wenn es das erste Weihnachten war, welches sie gänzlich ohne ihre alten Freunde verbrachte: Vielleicht würden die Ferien in Hogwarts nun ebenfalls unvergesslich werden.

oOo

Doch es kam anders. Als Draco am Mittag die Große Halle betrat und sich neben Hermine an die lange Tafel der Slytherins setzte, welche sich unter den Schalen und Töpfen mit gedünstetem Gemüse, dunkler Bratensoße und herbem Rotkohl zu biegen schien, war die freudige Erwartung in seinem Blick unverkennbar. Zur Begrüßung gab er ihr einen schnellen Kuss auf die Wange, hastig und beiläufig, wie als wäre es reine Gewohnheit, doch Hermine spürte nicht nur die eigene, sondern auch seine leise Unsicherheit. Gegen ihren Willen stieg ihr die Röte in die Wangen, wie jedes Mal in den letzten zwei Wochen, wenn sie sich außerhalb ihrer Zweisamkeit im Zeitungsarchiv, gemeinsam in einer offensichtlichen Liebesbekundung zeigten. Schnell schob sie sich eine Gabel Blumenkohl mit dunkler Soße in den Mund und auch Draco langte nach der großen Porzellanschüssel vor sich und schöpfte Buttergemüse und eine Kelle des würzigen Rotkohls auf seinen Teller. Doch auch während er eine Kartoffel mit der Gabel aufspießte und zu seinen Lippen führte, wich das Grinsen nicht von ebendiesen. „Was ist los, Draco?", fragte Hermine schließlich und blickte ihn forschend an. Draco presste die Lippen festaufeinander und legte dann seine Gabel wieder neben dem Teller ab, schlug ein Bein über die Bank, sodass er rittlings vor ihr saß.

Dein Schatten in mir • Dramione-FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt