"Hallo?! Spreche ich mit dem Notarzt?" Mit vor Nervosität teilverwandelten Krallen-Zehen durchbohrte ich das dritte Paar Schuhe diese Woche, während aus meinem Mund nur ein möwenhaftes Krächzen kam.
Doch der Mann, der an das Handy ging, dass ich von einer geschockten Frau "geliehen" hatte, verstand mich, seiner Antwort nach zu urteilen: "Was, wer, wie, wo?" klapperte er genervt die W-Fragen ab.
"Mein Name ist Kaia Johnson, 14 Jahre alt... Ich bin hier am südlichen Strandabschnitt des Miami Beach... Hier... gab es einen Angriff... Von Vögeln... Ein Mädchen wurde verletzt, ich schätze sie auf 8 Jahre... Sie hat eine Wunde zwischen ihren Brüsten, sie blutet stark... Eine Freundin kümmert sich um sie, aber sie braucht dringend einen Arzt! Weitere Leute stehen unter Schock." stotterte ich einen Text herunter, der sich anhörte wie auswendig gelernt. Nun ja, kein Wunder, wenn man ein halbes Jahr lang in der Schule jeden Tag Rescue-Unterricht hatte, in dem man jedes dritte Mal das Thema Notruf besprochen hatte.
"Ihr wollt mich doch vergackeiern!" antwortete der Typ schlicht, seine Tonlage war genervt geblieben.
"Nein!"
"Jeden Tag kommen irgendsolche Telefonstreiche und dieser ist lange nicht der realistischste!"
"Nein! Das ist kein Telefonstreich..." Halb fertig versuchte ich ihn zu überzeugen, während sich in meinem Kopf nur noch eine einzige Frage befand: "Wie könnte ich es mir jemals verzeihen, daran schuld zu sein, dass ein Mädchen gestorben war. Ich bemerkte nicht mal, dass mein ganzer Körper nach und nach von einem Zittern und kribbeln übermannt wurde, bis letztendlich viel kleiner war und mein gesamter Körper von weißen und schwarzen Federn bedeckt war.
"Kreeeeisch!" schrie mein Möwen-Ich noch, dann wurde alles dunkel."Pock, pock, pock" Ich spürte, wie etwas auf meinen Kopf einschlug. Mein Kopf war wie leergefegt, ich wusste weder, wo oben und unten war, noch wusste ich, was ich inmitten einem Haufen Kleidung machte.
"Pock, pock" machte es wieder.
Meine Sicht war verschwommen und doch erkannte ich gleich was es war, dass da auf meinen Kopf klopfte. Es war niemand geringeres als Leia, die mir sanfte Schnipser auf meinen kleinen Möwenkopf verpasste, damit ich aufwachte.
"Kaia! Kaia! Bist du wach? Bist du endlich wach? Es geht ihr gut, hörst du mich? Es geht ihr gut!" Leia redete langsam und ungefähr in ihrem Sprachtempo kamen meine Erinnerungen zurück. Der Strand... Der Angriff... Das Mädchen... Das Mädchen!
Was ist passiert? fragte ich in Gedankensprache wissen und ließ das Bild eines Krankenwagens erscheinen.
"Elaine hat gute erste Hilfe geleistet, wie der Notarzt uns wissen ließ. Das Mädchen hat viel Blut verloren, aber nicht zu viel. Sie wird keine bleibenden Schäden haben." meinte Leia. "Geht es dir gut? So einen schlimmen Anfall hattest du ja schon lange nicht mehr." Alles in Ordnung. Was ist jetzt mit Ally, Elaine und den Jungs?
"Elaine ist mit dem Mädchen mit und die Jungs stellen mit Ally unseren ehrenwerten Mr Evans zur Rede."
Ich atmete einmal tief durch. Dann fragte ich Deckung? und Leia zeigte mir zwei Büsche, zwischen denen ich mich in Ruhe verwandeln und umziehen konnte."In Ordnung. Ich werde es euch allen erklären. Das bin ich euch schuldig. Und ich bitte euch, erzählt es nicht außerhalb der Schule weiter, nur die White-Feathers wissen es, und den beiden gehört mein vollstes Vertrauen. Ich hab Mist gebaut und ich will, dass das unter keinen Umständen an den Rat gelangt." Mr Evans schaute eindringlich in die Runde, das gesamte Team saß nun am Strand Elaine nickte verständnisvoll und wir blickten uns gegenseitig fragend in die Augen.
"Nun, es begann vor guten acht Jahren, als ich Urlaub auf einem Bauernhof nähe Jellowstone machte. Bei den ganzen Kühen und Viechern fand ich heraus, dass ich ein Gestaltwandler bin. Ich habe plötzlich Hörner auf meinem Kopf bekommen und einen Schwanz. Ich dachte, ich würde zur Kuh werden, was dann auch komplett geschah. Ich habe Angst bekommen und bin hin und hergerannt und mir war vollkommen egal, wen oder was ich dabei hätte niedertrampeln könnte. Plötzlich stand ein Mensch vor mir. Er rief mir ein einziges Wort zu: Halt! und wie durch ein Wunder blieb ich stehen, ich spürte, dass dieser Mensch ein Woodwalker war, so wie ich. Er starrte mir in die Augen und zog mich an einem meiner neu erlangten Hörner in einen Heuschuppen. Ohne ein Wort verwandelte er sich in einen Adler, und ich verstand, was ich war. Dieser Mann -einfach nur 'Mr Clayton' genannt - brachte mich zu Andrew Milling, der zu diesem Zeitpunkt auch größere Beutetiere in seine Reihen aufnahm. Mit Mr Clayton zusammen und noch zwei anderen Wandlern, wurde ich in eines der Teams gesteckt, die für Milling neue Leute zusammentrommelten. Ich habe es gerne getan, ich mochte Milling und mein Team und ich dachte, bei ihnen wäre ich gut aufgehoben. Doch dann erfuhr ich von Millings großem 'Tag der Rache' und ich wagte es, diesen vor ihm in Frage zu stellen und daran zu zweifeln. Ich erinnere mich noch genau an die Worte, die er dann zu mir gesagt hat: 'Wenn du gehen willst, dann geh, wenn du wiederkommen willst, komm wieder. Aber solltest du etwas verraten, dann sorge ich dafür, dass selbst Clayton sich auf deinen Hals hetzt.' Ich lebte mein Leben als Mensch weiter, als wäre nie etwas gewesen, bis ich dann bei einem Ausflug zufällig auf Ms White-Feather persönlich traf, oder sie besser gesagt auf mich. Sie sprach mich an, ob ich nicht Lust hätte Lehrer zu werden, auf einer neuen Schule, für Schüler mit meiner Gabe.
Nun, den Rest kennt ihr ja, ich bin hier, sie ist hier und alles ist so, wie ihr es kennt."
Als Mr Evans nach ein paar Minuten mit seiner Geschichte fertig war, waren erst einmal alle sprachlos. Wir alle machten mehr oder weniger ernste Gesichter und starrten Löcher in die Luft. Doch - der heiligen Sonne sei Dank - brach der sonst eher schüchterne Tim die peinliche Stille:
"Haben sie es wirklich niemandem erzählt?"
"Nein, das habe ich tatsächlich nicht." meinte unser Lehrer schlicht woraufhin Tim empört guckte.
"Wie. Egoistisch. Kann. Man. Sein" sprudelte aus ihm heraus. Seine Tonlage beherbergte sowohl Wut, als auch Trauer und noch irgendein anderes Gefühl, dass ich nicht deuten konnte Dann verwandelte er sich mit einem starren Blick in Mr Evans' Augen in eine kleine Möwe, die ihre Kleidung achtlos am Boden liegen ließ und im Wind davonflog.
Das einzige, was ich mir in diesem Moment wünschte, war, sie zu verstehen. Ich wollte Mr Evans und seine Entscheidungen verstehen, ich wollte verstehen, warum Elaine so war, wie sie war und vor Allem wollte ich wissen, was mit Tim war. Vielleicht würde er mir irgendwann sein Geheimnis verraten. Aber das konnte lange dauern.
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Windwalkers - Die Verwandlung der Möwenzwillinge
FanfictionDie Möwenzwillinge Kaia und Leia kommen auf eine neue Schule! Schnell finden sie Milo dem Englandkänguru und Ally dem schlauen Dachsmädchen Freunde. Doch in der Schule gibt es auch jede Menge Geheimnisse. Vor Allem ein gewisser Junge löst vor Allem...