Windwalkers - Die Verwandlung der Möwenzwillinge

Der erste Auftrag

Der nächste Tag war - wie zu erwarten - sehr langweilig gewesen und es gab nur selten irgendetwas wirklich interessantes in der Schule. Unser Unterricht verlief komplett normal, es kam kein Anruf von Anya oder Leias und meinen Eltern, und auch sonst taten wir das, was wir immer taten: Wir flogen, gingen oder hüpften zur Grotte, und hatten dort Spaß, oder erledigten unsere Hausaufgaben, und waren gespannt auf die nächste Spion-Lektion.

"Kaia, Kaiaaa!" rief Tim leise und zupfte meinen Ärmel. Aufgescheucht guckte ich zu ihm und legte blitzschnell den Kopf schief. "Wollen wir mal wieder zusammen fliegen?" fragte er mich grinsend. "Du weißt schon, nach dem Spion-Training, einverstanden?" Im ersten Moment wusste ich nicht, was er meinte, doch dann fiel es mir wieder ein: Heute war ja Samstag und unser zweites Training stand an. Gerade saß ich mit meinen Freunden am Frühstückstisch und hatte mal wieder andere Gedanken. Kurz grinste ich Alle an, als wäre es dadurch weniger peinlich, dann antwortete ich aufgescheucht: "Ääh, klar!" Peinlich berührt blickte ich auf meinen Teller und steckte eine große Portion Rührei mit Räucherlachs in meinen Mund, ohne Leia, Milo und unsere anderen Freunde noch eines Blickes zu würdigen.

Den Anfang der Spionstunde, die diesmal im Wald stattfand, wiederholten wir die Lektionen aus dem letzten Unterricht. Ich war total nervös und musste die ganze Zeit an Tim denken. Irgendwann, als ich mich zum dritten Mal unabsichtlich teilverwandelt hatte, sprach mich Ms. Jenkins mich dann an: "Kaia, was ist denn los mit dir, ist alles in Ordnung?" Ich erwartete, dass die junge Frau mir gleich fies grinsend sagen würde, dass ich hier nicht herpasse und dass ich nächstes Mal besser nicht kommen sollte, doch während ich zögernd nickte, lächelte sie mich nur mit schiefem Blick an und warf noch ein: "Komm bitte nach der Stunde zu mir. Ich habe noch etwas mit dir zu besprechen." Na da war ich mal gespannt. So wie sie geguckt hatte, dachte sogar ich nicht, dass es etwas Schlechtes war.

Eine knappe Stunde später waren nur noch Leia, Tim und ich auf der Lichtung, natürlich zusammen mit unserer Spion-Lehrerin.
"Nun, dann warten wir noch auf die anderen drei, dann sind wir vollzählig." erklärte sie uns. Wen meinte sie bitte mit "die anderen"? Eigentlich dachte ich, sie wolle etwas mit mir alleine besprechen, aber anscheinend war dem nicht so. In exakt dem gleichen Augenblick, in dem ich das dachte, ertönten schnelle Schritte am Waldboden und "die anderen" kamen an. Es waren Mr Evans, Ally und... Elaine! Sofort als ich das Spinnenmädchen sah, hätte ich stöhnen können. Doch ich unterdrückte es und blickte nur abwechselnd zu Ally, Leia und Elaine, bei der ich versuchte nicht böse zu schauen. Aber meine Schwester zuckte nur mit den Schultern und auch Ally konnte man ansehen, dass sie keine Ahnung hatte, was hier vorging. Doch zum Glück hatte Ms Jenkins nun anscheinend keinen Bock mehr, uns länger auf die Folter zu spannen und sie begann zu sprechen:
"Nun... Der Grund warum wir..." Sie nickte in Richtung von Mr Evans "... euch zusammengerufen haben, ist der, dass ihr diejenigen seid, die unsere liebe Anya als Gesichter dieses wundervollen Projekts auserwählt hat. So werdet ihr auch die ersten sein, die einen Auftrag bekommen. Wenn Anya genau euch für würdig hält, dann wird das wohl seinen Grund haben."
Was?! Elaine war auch von Anya persönlich auserwählt worden? Wieso genau sie? Es gab doch so viele andere in unserer Klasse, die Anya hätte nehmen können, aber wieso genau SIE? Ein wenig Wut stieg in mir auf, als ich sah, wie Leia mich ebenso verwirrt anstarrte, wie ich war. Noch schlimmer wurde es, als ich sah, wie Elaine sich aufgeregt mit Ally unterhielt. Naja, dachte ich. Was sollte es schon bedeuten, dass die beiden sich in ihrer Aufregung unterhielten? Da begann Mr Evans zu reden, und dazu wie wild mit den Händen zu gestikulieren:
"Ja, wie Ari... äh Miss Jenkins schon erklärt hat, bekommt ihr den ersten Auftrag. Und den haben wir heute früh bekommen. Als Anruf. Auch wenn er... leider nicht von Ms Wilde kommt." Die Hoffnung, die ich darauf gehabt hatte, mal wieder mit ihr und meinen Eltern zu sprechen, konnte ich also vergessen. Anscheinend sah man mir meine Enttäuschung an, denn Ally sagte:
"Sie werden sich bestimmt melden, sobald sie können, mach dir einfach nicht so viele Sorgen." Sie hatte so viel Überzeugung und Hoffnung in ihrer Stimme, dass ich ihr sofort Glauben schenkte. Ich formte leise das Wort "Danke" mit meinen Lippen, als ich merkte, dass Alle, die mit mir noch hier draußen waren mich anstarrten. 
"Oh, Ähm, Sorry" brachte ich heraus bevor Mr Evans und den Auftrag erklärte:
"Angeblich sollen ein paar Milling-folgende Vogelwandler an der Küste von Edinburgh ihr Unwesen mit Menschen treiben. Eure Aufgebe ist es diese ausfindig zu machen und uns über sie zu berichten." Ein kurzer Blick zu Elaine, Leia und meinen Freunden zeigte, dass sie nicht weniger aufgeregt waren als ich. Das hörte sich ja spannend an. Aber wozu brauchte man Kämpfer um jemanden auszuspionieren? fragte ich mich, während sich meine sowieso schon rotbraunen Augen grellrot färbten. "Oh, die Frage können wir dir beantworten." erwiderte Ms Jenkins und lächelte, was bei ihr wirklich unnatürlich aussah, wahrscheinlich da sie früher schon nicht sehr viel gelacht, oder gar gegrinst hatte. "Nun ja, wenn etwas schiefgeht, kann man doch immer ein paar Selbstverteidigungsprofis gebrauchen, oder? Also falls euch die Unruhestifter aus irgendeinen Grund angreifen sollten, habt ihr unauffällige... wie soll ich sagen... Bodyguards, die mit euch kämpfen können" erklärte Mr Evans. Erst wollte ich grinsen, doch dann schnallte ich, dass er es ernst meinte und fragte mich worauf ich mich bei dieser ganzen Spion-Sache wohl wirklich eingelassen hatte.
Doch irgendwie fand ich es auch cool, dass die Erwachsenen uns so viel Vertrauen schenkten, dass sie dachten, wir könnten Verbrecher zur Strecke bringen. Ja, das war vielleicht ein bisschen übertrieben aber trotzdem.
Und wann gehts los? fragte ich gedanklich, während ich meine knallroten Augen blitzen ließ und meine nackten Füße zu den dünnen, orangenen Krallen meiner Möwengestalt wurden.
Angeber flüsterte mir Elaine fies grinsend in meinen Kopf. Ich guckte mich um, niemand hatte es bemerkt. Anscheinend war sie ebenso gut wie ich mit ihren Gedanken. Genervt blickte ich sie an, doch als Ally - die immer noch neben der Oberzicke stand - mich aufmunternd anlächelte, musste ich sofort grinsen.
"Das ist eben der Haken. Um weitere Verletzungen zu vermeiden, die von den Wandlern ausgehen, werdet ihr schon morgen Mittag mit uns nach Edinburgh fahren. Stellt bitte eure Wecker auf 8:00 Uhr, dann werden wir zusammen im Wald Alles nötige besprechen." beendete Ms Jenkins das Gespräch und wendete sich lächelnd von uns ab, während sie sich bei Mr Evans einhakte. Mit aufgeregten und vorfreudigen Gedanken grinste ich Leia mal wieder zu, bevor ich mich auf den Rückweg zur Schule machte.