Der erste Schultag

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Ich hoffe, euch gefällt auch dieses Kapitel...

"Leiaaa! Aufwachen" versuchte ich sie zum gefühlt hundertsten Mal aufzuwecken. Ok, wenn es nicht auf diese Art ging, dann nehme ich eben die sehr verhasste Mit-Feder unter-Nase-kitzeln-Art. Schnell teilverwandelte ich eine Gleitfeder an meinen Zeigefinger, um meine Schwester mit dieser unter der Nase zu kitzeln. "Hatschi! Boah Kaia, ernsthaft? Du weißt doch wie ich das hasse!" motzte mich meine müde Schwester an, als sie mit ihrer Niesattacke fertig war. " Ts, ts, ts, denkst du wirklich, ich lasse dich hier deinen ersten Schultag verpennen? Ne, ne, ne! Mit mir als deiner Schwester wirst du niemals auch nur einen einzigen wichtigen Tag verschlafen." antwortete ich ihr schief grinsend. "Außerdem willst du doch nicht das Frühstück verpassen, oder?". Auf das Stichwort "Frühstück wurde sie aber plötzlich hellwach. Ja, das Leia! Immer ans Essen denken!

Eine Viertelstunde später - wir hatten dank mir noch viel Zeit -, standen wir in der bereits halbvollen Mensa und schauten uns nach Milo um. Doch bis jetzt war er anscheinend noch nicht gekommen. Stattdessen sahen wir Tim, wir erkannten ihn an seiner Ähnlichkeit zu uns, er hatte rote Augen, blonde Haare und er sah irgendwie leicht aus. Er war nicht dünn oder so, aber das hatten Flugvögel nunmal so an sich. Er saß einsam an einem der kleineren Tische und blickte uns traurig an. Doch kaum als er sah, dass wir zu ihm hinüberschauten, guckte er schnell wieder auf seinen voll beladenen Teller. Ach ja, das Essen, das hatten wir - oder eigentlich nur ich - bei dem ganzen Angestarre von Tim völlig vergessen. Wow! Das Frühstücksbuffet war voll mit Marmeladen, Wurst, Käse, Räucherfisch und vielem mehr! Da war auf jeden Fall für jeden was dabei. Ich schnappte mir eine Vollkornsemmel, Räucherlachs, Butter und Käse. Meine Schwester nahm das gleiche, nur dass sie den Käse durch Salami ersetzte (ich war Pescetarier, sie nicht). Dann setzten wir uns an den Tisch, an dem wir gestern Abend auch mit Milo gegessen hatten. Zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn, kam auch Milo wieder zu uns, der schnell eine Käsesemmel und einen Obstsalat herunterschlang, um uns dann zu unserem Klassenzimmer zu führen. Ja, eigentlich drängte er uns eher dorthin. Als ob wir diejenigen waren, auf deren Pünktlichkeit man sich nicht verlassen konnte.

Ein paar der Bänke waren schon besetzt, und vorne am Pult saß schon eine etwa 30-jährige Frau mit schulterlangen hellbraunen Haaren, die mit ihren langen rot lackierten Fingernägeln ungeduldig auf dem schönen Holzpult herumklopfte und uns streng anschaute. Ah, das musste wohl Miss Jenkins sein, unsere Lehrerin für Verwandlung und Mathe. Na, einen guten ersten Eindruck machte sie mir ja nicht gerade. "Hallo, ihr müsst Leia und Kaia sein, wer ich bin, das wisst ihr ja sicher schon aus eurem Stundenplan!" sagte sie gleichgültig, bevor sie sich wieder der Türe zuwandte und noch hinzufügte: "Wenigstens seid ihr nicht so spät, wie die meisten aus eurer Klasse!". Damit waren wir anscheinend vergessen, sodass wir uns ungestört an irgendwelche nebeneinanderliegenden Bänke setzen konnten. Doch so ungestört waren wir dann doch nicht: Vor mir baute sich vor mir ein Mädchen auf, dass mir trotz ihrer geringen Größe sofort auffiel. Sie hatte dürre Arme, die im Vergleich zu ihren ebenfalls dürren Beinen und ihren dicklichem Körper sehr lang waren. War sie ein Insekt? "Ich bin Elaine! Elaine Redman. Und das..." begann Elaine und zeigte auf die Bank, an der ich saß "... ist mein Platz.". Sie klang äußerst eingebildet, und nicht wie ein Mädchen, deren noch so netten Bitten ich folgen würde. "Ich bin eine belgische Wanderspinne, an deiner Stelle, würde ich mich lieber verpissen!" redete sie eingebildet weiter. Gerade als ich mir überlegen wollte, was ich erwidern könnte, kam Leia mir zu Hilfe: "Ach ja, eine Spinne? Also wir mögen doch Spinnen, oder Kaia? Die sind doch wirklich putzig, oder?". Ah, coole Idee! Aber dass ich Spinnen wirklich süß fand, das stimmte nicht. Vor Allem Giftspinnen mochte ich nicht. Aber ob Elaine wohl giftig war? Wanderspinne, das hörte sich doch wirklich nicht sehr gefährlich an. "Genau, komm halt nächstes Mal einfach früher, dann kannst du dir deinen Platz aussuchen." beendete ich die Diskussion. Noch ein kleines "Pah" von der Wanderspinne, dann verschwand sie auf einen Platz hinter mir.
"Guten Morgen liebe Klasse, wie ihr seht, haben wir heute zwei neue Schülerinnen bekommen. Leia und Kaia, wollt ihr vielleicht selbst etwas über euch erzählen? Bei dieser Gelegenheit, könntet ihr jetzt auch direkt eure Verwandlungskünste zeigen. " Mit diesen Worten begrüßte Miss Jenkins uns vor der ganzen Klasse, als endlich Alle angekommen waren. Dachte sie, sie könnte uns damit triezen, und ihre schlechte Laune an uns auslassen? Da hatte sie sich aber gewaltig die Federn gestutzt! "Wir sind Leia..." begann ich, und zeigte auf meine Schwester. "...und Kaia. Wir kommen aus Margate, wo wir als Menschen gelebt haben. Ab und zu haben wir uns natürlich verwandelt, um unsere Möwen-Dinge zu tun, vielleicht wisst ihr ja was wir damit meinen.", beendete ich unsere Vorstellung und grinste. Nur kurz musste ich mir meine Tiergestalt vorstellen, um nur Sekunden später viel kleiner neben einer ebenfalls verwandelten Mantelmöwe am Boden herumzustolzieren. Ja, es gab keinen Zweifel daran, dass wir uns gut verwandeln können, trotz des Drucks, den unsere neue Lehrerin uns gemacht hatte. Einige "Wowˋs" und "Coolˋs" gingen durch die Menge, und der sichtlich frustrierten Miss Jenkins blieb nichts anderes übrig, als zu sagen: "Das...war wirklich eine beachtliche Leistung." Schon begann ich innerlich zu grinsen, doch natürlich hatte die Lehrerin noch etwas hinzuzufügen: "Aber das war bestimmt nur Anfängerglück!" Anfängerglück? Na die wird schon noch ihr blaues Wunder erleben, dachte ich mir, und zwar leider mal wieder laut, sodass meine gesamte Klasse es hören konnte. Natürlich auch unsere Lehrerin. Doch die blickte mich nur einmal kurz skeptisch mit zusammengekniffenen Augen an und fuhr dann mit dem Unterricht fort.

Nach dieser ersten Verwandlungsstunde bei unserer naja, sagen wir mal äußerst rätselhaften Lehrerin, hatten wir noch eine Doppelstunde Mathematik, ebenfalls bei ihr, danach Menschenkunde bei Miss White-Feather, und am Schluss Englisch bei dem jungen Uhu-Wandler Mr Shaw. Alles in Allem war der Unterricht wirklich okay - sogar der bei Miss Jenkins - und ich hatte wirklich das Gefühl, ich könnte hier bessere Noten schreiben, als auf meiner alten Schule.

"Schag mal, isch die Jenkins eigendlisch immer scho?" fragte meine Schwester Milo mit vollem Mund. Wieder mal saßen wir an unserem Tisch in der Mensa und stopften uns fröhlich mit Bratwürstchen und Sauerkraut voll. "Nein, immer nicht, aber wenn sie schlecht gelaunt ist, lässt sie es immer auf andere herab. Aber fragt mich nicht, wieso sie so schlecht gelaunt ist, das weiß ich nicht. Irgendwie tut sie mir ja leid." antwortete Milo nach einer Weile. Da ich das Geschmatze meiner Schwester rein garnicht ausstehen konnte, löcherte ich ihn weiter: "Warum das denn? Sie ist total gemein!" "Hm, wenn ich ehrlich bin, ich weiß es nicht. Aber ich hab da so ein Gefühl... Ich habe sie schonmal gefragt, ob sie vielleicht Hilfe gebrauchen könnte, aber sie hat mich nur angefaucht und gesagt: 'Halt dich aus fremden Angelegenheiten raus und nerv jemand andren!' " Nach diesem Gespräch hatte ich irgendwie das Bedürfnis, herauszufinden, wieso sie so war. Aber noch dringender, wollte ich erstmal versuchen Tim zu helfen. Schon seit unserer ersten Begegnung kam er mir so verloren vor. Erst als ich mit meinen Gedanken schon bei ihm war, sah ich ihn: Mit müden Augen starrte er in die Luft, als wäre er ein Teil von ihr und abwesend stocherte er in seinem Essen herum, ohne auch ein kleines Bisschen zu essen. Verträumt blickte ich nun zu ihm und überlegte mir, was ich zu tun hätte. Ob ich wohl herausfinden könnte, was mit ihm los war?

Windwalkers - Die Verwandlung der MöwenzwillingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt