Lucy und der Faun

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"Guten Abend ", sagte Lucy. Doch der Faun war so beschäftigt, seine Pakete aufzuheben, dass er zunächst nicht antwortete und als er sie wieder alle beisammen hatte, machte er vor Lucy eine kleine Verbeugung. "Guten Abend, guten Abend", antwortete nun der Faun. "Entschuldigen Sie, ich will nicht aufdringlich sein, aber wenn ich mich nicht irre, sind Sie eine Evastochter." 

"Mein name ist Lucy. Und was meinten Sie mit Evastochter?", fragte Lucy, weil sie ihn nicht recht gut verstanden hatte, was er damit meinte. "Doch Sie sind...entschuldigen Sie bitte...was man so sagt... ein Mädchen?"

"Selbstverständlich bin ich ein Mädchen. "

"Sie sind wirklich ein Mensch? "

"Natürlich bin ich ein Mensch", entgegnete Lucy immer noch ein wenig verwirrt. "Gewiss, gewiss", sagte der Faun.

"Ach wie dumm von mir! Aber ich habe noch nie einen Adamsohn oder eine Evastochter gesehen. Ich bin begeistert! Das ist ja geradezu...", doch dann stockte er, als hätte er zu viel gesagt, sich aber zur rechten Zeit noch besonnen. "Hocherfreut! Hocherfreut!", beteuerte er. "Gestatten Sie,dass ich mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist Tumnus."

"Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, Herr Tumnus.".sagte Lucy erfreut.

"Und darf ich fragen, o Lucy, Evastochter, wie Sie nach Narnia kamen?"

"Narnia, was ist das?", fragte Lucy.

"Hier ist das Land Narnia.", antwortete der Faun.

"Da, wo wir stehen. Es liegt zwischen der Straßenlaterne und dem großen Schloss Feeneden am Meer des Ostens. Sie sind aus dem Westen gekommen, aus den wilden Wäldern?"

"Nein, aus dem Wandschrank im leeren Zimmer."

"Ach", seufzte Herr Tumnus etwas schwermütig.

"Hätte ich nur als kleiner Faun besser in Geographie aufgepasst, dann wüsste ich mehr über die fremden Länder. Nun ist es zu spät."

"Aber das sind gar keine fremden Länder", entgegnete Lucy fast lachend. "Es ist gleich dahinten...wenigstens glaube ich es...Dort ist noch Sommer."

"In Narnia ist, solange ich mich erinnere,immerzu Winter. Wir werden uns beide noch erkälten, wenn wir noch länger hier im Schnee herum stehen, oh Evastochter aus dem fernen Land mit der strahlenden Stadt Wandschrank und dem ewigen Sommer! Darf ich Sie zu einer Tasse Tee bitten?"

"Vielen dank, Herr Tumnus", antwortete Lucy,"doch ich sollte jetzt lieber nach Hause gehen."

"Ach es ist doch nur gleich um die Ecke", bat der Faun,"und dort finden wir ein prasselndes Feuer... und Toast... und Sardinen... und Kuchen."

"Sehr liebenswürdig von Ihnen", sagte Lucy "aber lange kann ich nicht bleiben."

"Wollen Sie meinen Arm nehmen, Evastochter? ", fragte Herr Tumnus,"dann kann ich den Schirm besser über uns beide halten. Da ist der Weg." Und so gingen Lucy Arm in Arm mit diesem wunderlichen Geschöpf durch den Wald, so selbstverständlich, als hätten sie einander ihr leben lang gekannt.Sie waren noch nicht weit, da kamen sie an eine Stelle, wo der Boden uneben wurde, überall waren Felsen und sie stiegen kleine Hügel auf und ab. Am Ende eines schmalen  Tales wandte sich Herr Tumnus plötzlich seitlich, als wollte er geradewegs in einen mächtigen Felsen hineinspazieren. Erst im letzten Augenblick sah Lucy, dass er sie zu einem Eingang einer Höhle führte. Als sie drinnen waren, erblickte sie den Schein eines Holzfeuers. Herr Tumnus beugte sich nieder, nahm ein glühendes Stück Holz mit einer Zange aus dem Feuer und zündete eine Lampe an. "Nun wollen wir es uns gemütlich machen", sagte er, gleich darauf hängte er den Teekessel über das Feuer. Lucy hatte noch nie zuvor einen reizendenderen Ort gesehen. Es war eine kleine trockene, saubere Höhle aus rotem Stein mit einem Teppich auf dem Boden und zwei kleinen Stühlen. "Einer für mich und einer für einen Freund", sagte Herr Tumnus. Es gab einen Tisch und eine Anrichte und ein Kaminsims über dem Feuer. Darüber hing das Bild eines alten, graubärtigen Fauns. In einer Ecke war eine Tür, die wohl in den Schlafraum des Herrn Tumnus führte und an einer Wand stand ein gefülltes Bücherregal. Lucy betrachtete die Bücher,während er den Teetisch deckte. Sie fand hier Titel wie Leben und Briefe des Silenus-Menschen, Mönche und Wildhüter.  Auch eine Studie volkstümlicher Legenden war dabei und ein Band: Ist der Mensch nur ein Mythos? "Evastochter, der Tee steht bereit." Ach was war das für ein wundervoller Tee! Es gab für jeden ein köstliches Ei, weich gehocht, Sardinen auf Toast, danach Toast mit Butter, Toast mit Honig und zuletzt eine Torte mit Zuckerguss. Und als Lucy reichlich satt war, begann der Faun wunderbare Waldgeschichten zu erzählen. Er berichtete vom Mitternachtstanz, von den Leben der Nymphen in den Quellen und von den Waldnymphen in den Bäumen, die zum Tanz mit den Faunen herniederstiegen. Er erzählte von den Jagden nach dem schneeweißen Hirsch, der Wünsche gewährt, wenn man ihn aufspürt, von großen Festen und Schatzgräbereien tief unter dem Waldesboden, in Gruben und Höhlen mit dem Volk der wilden roten Zwerge. Dann erzählte er vom Sommer, wenn die Bäume grün sind und der alte Silen auf seinem plumpen Esel zu Besuch kommt. Ja, manchmal käme sogar Bacchos selbst und dann flössen in den Bächen Wein anstatt Wasser und der Wald verwandle sich für viele Wochen in Fröhlichkeit.  "Das alles gibt es nicht mehr. Jetzt ist immerzu Winter", schloss er verdrießlich. Und dann nahm er aus eine Schachtel auf der Anrichte eine kleine sonderbare Flöte, sie sah aus wie aus Stroh geflochten. Und um sich aufzuheitern begann er zu spielen. Aber während er spielte, hatte Lucy den Wunsch , zu lachen und zu weinen, zu tanzen und zu schlafen, alles zur selben Zeit. Stunden mussten vergangen sein, als ihr das plötzlich bewusst wurde. Da sagte sie:"Oh, Herr Tumnus, es tut mir Leid, Sie zu unterbrechen.  Ihr Spiel ist wunderschön, aber wirklich, ich muss nach Hause. Ich wollte ja nur wenige Minute bleiben." Der Faun legte seine Flöte nieder und schüttelte bekümmert den Kopf. " Im Augenblick ist es nicht ratsam, sich hinauszubegeben."

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