# 16

2.8K 163 29
                                    

- Mona -

„Zum letzten Mal, Ellie“, stöhne ich genervt, während sich die Aufzugtüren mit einem Plinggeräusch vor uns öffnen, „ich möchte nicht darüber reden.“
„Aber warum denn nicht?“
Ich verdrehe die Augen, als ich Ellies Hand auf meiner Schulter spüre, die mich wieder zu sich umdreht, kurz nachdem wir den Aufzug betreten haben.
„Gegenfrage. Warum sollte ich? Nur weil mein kleines Cousinchen mich mit ihren großen Kulleraugen ansieht?“, entgegne ich und schaue Ellie mit einer spöttisch hochgezogenen Augenbraue an, bevor ich auf den Knopf für den 5. Stock drücke und die Aufzugtüren sich nach kurzem Rattern mit einem dumpfen Schlag schließen. „Ich habe dir heute schon einen Gefallen getan und bin mit dir zu dieser komischen Yogastunde gegangen. Und aus diesem Grund möchte ich jetzt meinen restlichen und mehr als wohlverdienten Freitagabend ganz
entspannt bei einem Glas Wein auf der Couch verbringen und nicht an irgendwelche alten Geschichten erinnert werden.“
Mit einem tiefen Seufzer schließe ich die Augen und lehne mich mit dem Rücken gegen die kühle Metallwand, während der Aufzug sich ruckelnd in Bewegung setzt.
„Also gibst du es zu?“
Ich unterdrücke ein weiteres genervtes Stöhnen und öffne stattdessen ein Auge, um zu Ellie zu sehen, die mich immer noch neugierig aus ihren himmelblauen Augen mustert.
„Auch auf die Gefahr hin, dass ich diese Frage bereue“, begegne ich und atme tief durch, „was gebe ich zu?“
„Na, dass du diese Frau, gegen die du vorhin im Yogastudio gelaufen bist, kennst. Sonst würdest du ja nicht von „irgendwelchen alten Geschichten“ sprechen. Und außerdem hat sie
dich ja auch mit Namen angesprochen, als sie sich bei dir entschuldigt hat, was ja auch dafür spricht, dass ihr euch kennt.“
„Für so einen spirituellen Freigeist wie dich, ist das Ganze aber sehr rational argumentiert.“
„Lenk nicht ab, Moni.“ Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnt Ellie sich seitlich neben mich gegen  die Metallwand des Aufzugs. „Sag schon, wer ist diese unbekannte Frau aus dem Yogastudio?“
Meine Kiefermuskeln verspannen sich und ich verschränke ebenfalls die Arme vor der Brust, während der Aufzug weiter vor sich hinruckelt.
„Wieso interessiert dich das denn so sehr, Ellie?“, frage ich leise und senke meinen Blick etwas, „ich meine, ich gebe zu, dass ich Ro-…dass ich diese Frau kenne, aber das ist doch vollkommen egal.“
„Nein, ist es nicht“, protestiert Ellie in einem überraschend strengen Ton, bevor sie kurz darauf vor mich tritt und mit zwei Fingern mein Kinn nach oben drückt, wodurch ich sie ansehen muss. „Als ihr beiden euch nach dem Sturz wieder aufgerappelt und angesehen hebt, habe ich da diese Schwingungen zwischen euch gespürt.“
„Oh, ich bitte dich, Ellie“, seufze ich und verdrehe die Augen, während Ellie ihre Finger wieder von meinem Kinn nimmt, „das kann doch nicht dein Ernst sein.“
„Doch, Moni“, erwidert Ellie und schaut mich mit entschlossenem Nicken weiter fest an. „Da ist etwas zwischen die und dieser Frau. Etwas…etwas ganz besonderes.“
„Du spinnst doch, Cousinchen“, entgegne ich kopfschüttelnd, als ein weiteres Mal das bekannte Plinggeräusch ertönt und die Aufzugtüren sich öffnen, wodurch ich mich an Ellie vorbeischieben und nach draußen auf den Flur treten kann, „ich meine, ich weiß ja, dass du es nicht böse meinst, aber zu denken, dass da etwas Besonderes ist zwischen mir und…“
„Mona!“
Der Ausruf meines Namens lässt mich herumwirbeln und meine Augen weiten sich, als ich eine Frau vor meiner Wohnungstür stehen sehe.
Ungeduldig tippt sie mit der Spitze ihrer High Heels auf den Boden, hat eine Hand in ihre Seite gestemmt, wodurch der taillierte Schnitt ihres schwarzen Minikleides noch zusätzlich betont wird, und funkelt mich aus zusammengekniffenen blassblauen Augen an.
„Linda?“, frage ich ungläubig und blinzle mehrmals, woraufhin Linda ihren Mund spöttisch verzieht und sich eine Strähne ihres langen feuerroten Haares hinters Ohr streicht.
„Ach, hast du etwa schon vergessen, wie ich aussehe? Hm?“, fragt sie und ich kann nicht verhindern, dass ich, trotz des gereizten Tonfalls in Lindas Stimme, die Augen verdrehen muss.
„Sei bitte nicht albern, Linda.“
„Wieso albern? Ich finde die Frage mehr als berechtigt. Ich bin ja ehrlich gesagt schon mehr als überrascht, dass du dich überhaupt noch an meinen Namen erinnern kannst. Erst recht, wenn man bedenkt, wie lange uns wir schon nicht mehr gesehen haben. Oder vielmehr, wie oft du mich in letzter Zeit versetzt und meine Anrufe und Nachrichten ignoriert hast.“
„Linda, bitte“, ich hole tief Luft und schließe die Augen, während ich mir mit zwei Fingern meine dröhnende Schläfe massiere, „können wir das ein anderes Mal klären? Ich hatte echt
einen langen und anstrengenden Tag und möchte einfach gerne…“
„Nein, wir klären das jetzt, Mona!“, faucht Linda und stapft mit so festen Schritten auf mich zu, dass ich mir für einen kurzen Moment Sorgen um die Absätze ihrer High Heels mache, „ich habe so die Nase voll von deinen ständigen Ausreden! Immer wieder will ich mich mit dir treffen und immer wieder wimmelst du mich ab oder ignorierst seit Neuestem sogar meine Nachrichten und Anrufe!“
„Das würde ich vielleicht nicht tun, wenn du mich nicht derart damit terrorisieren würdest“, erwidere ich ruhig und straffe meine Schultern, woraufhin Linda empört auflacht und den Kopf schüttelt.
„Terrorisieren?! Ich soll dich terrorisieren?! Das ist doch wirklich…hey, wer ist das denn?!“
Ich stutze und schaue über meine Schulter zurück in den Flur, nur um Ellie zu sehen, die inzwischen ebenfalls aus dem Aufzug gestiegen ist und nun dicht hinter mir steht und sich zu meinem Ohr vorlehnt.
„Also, von dieser Dame würde ich an deiner Stelle wirklich Abstand nehmen, Moni“, raunt sie mir leise zu und schaut dabei immer wieder mit einem unbehagenden Blick in Lindas Richtung, „die Energien, die von ihr ausgehen, sind alles andere als positiv.“
„Danke Ellie, da wäre ich alleine niemals drauf gekommen“, entgegne ich trocken und drehe meinen Kopf zurück zu Linda, als ich ihr verächtliches Schnauben höre.
„Ach, das ist also die liebe Ellie, hm?“, fragt Linda abfällig und stöckelt noch etwas näher zu uns hinüber, um Ellie mit missbilligendem Blick von oben bis unten zu mustern und anschließend wieder zurück zu mir zu schauen, „und wegen so einem prüden Mauerblümchen servierst du mich allen Ernstes ab, Mona?!“
Was?
Verwirrt schaue ich von Linda zu Ellie, die wiederum erst Linda mehrfach blinzelnd ansieht und anschließend hilfesuchend zu mir schaut, was Linda erneut aufschnauben lässt.
„Oh bitte, du musst jetzt gar nicht so erschrocken schauen, du Möchtegern-Unschuldslamm! Erzähl doch mal, hattest du wenigstens Spaß mit Mona?! Habt ihr schön hinter meinem Rücken über mich gelacht?! Über die dumme, naive Linda?! Jetzt sei doch nicht so schüchtern! Erzähl doch mal, Ellie!“
Die Verachtung, mit der Linda den Namen geradezu ausspuckt, lässt Ellie zusammenzucken und ein paar Schritte zurückstolpern, während meine Hände sich inzwischen zu Fäusten geballt haben.
„Das reicht, Linda“, sage ich in meinem professionellen Direktorin-Tonfall und trete so dicht an sie heran, dass sich unsere Nasenspitzen fast berühren, „ich gebe dir jetzt exakt dreißig Sekunden, um in den Aufzug zu steigen, dieses Haus hier zu verlassen und aus meinem Leben zu verschwinden. Ich möchte dich nicht mehr sehen. Ich möchte dich nicht mehr hören. Keine Anrufe, keine Nachrichten, nichts. Ich möchte dir nicht mal mehr auf der Straße begegnen. Und wenn du mir oder meiner Cousine noch einmal zu nahe kommen, auflauern oder uns mit derartigen Unterstellungen belästigen solltest, werde ich entsprechende juristische Schritte in die Wege leiten, die dir dieses Verhalten unmöglich machen. Habe ich mich klar genug
ausgedrückt?“
„W-Was? Cou-Cousine?“ Lindas Stammeln und ihrem Blick nach zu urteilen scheint sie mir nach dem Wort „Cousine“ nicht mehr richtig zugehört zu haben, denn sie schaut fast schon panisch zwischen Ellie und mir hin und her, so als würde sie in unseren Gesichtern nach einer verwandtschaftlichen Ähnlichkeit suchen, bevor sie wieder vollständig zu mir sieht.
„M-Mona, ich…bitte entschuldige, ich…ich hatte ja keine Ahnung, dass sie…also, dass…dass Ellie deine Cousine ist und…ich…es tut mir Leid, Mona…wirklich, es tut mir so unglaublich Leid und…“
„Das ist mir egal, Linda“, sage ich kühl und trete einen Schritt zurück, während Linda mich immer noch bittend ansieht, „ich habe dir von Anfang an gesagt, dass das zwischen uns nichts Ernstes ist und trotzdem bedrängst du mich mit deiner permanenten Eifersucht, unterstellst mir Affären, belästigst mich mit deinen ständigen Anrufen und Nachrichten und lauerst mir jetzt sogar noch vor meiner eigenen Wohnung auf. Und deshalb möchte ich, dass du jetzt gehst, Linda. Wenn du Geld für ein Taxi brauchst, kann ich dir das meinetwegen auch noch
geben, aber ich will dich jetzt nicht mehr sehen.“
„A-Aber…A-Aber Mona, ich…“
„Verschwinde, Linda.“
Für einen Moment sehe ich, wie Lindas Unterlippe zittert, bevor sich ihr Mund zu einem schmalen Strich verformt und ihre blassblauen Augen mich gefährlich anfunkeln.
„So einfach lasse ich mich nicht abservieren, Mona“, sagt sie und wirft ihr feuerrotes Haar mit einer theatralischen Geste über eine Schulter zurück, bevor sie sich dicht an mir vorbeischiebt und weiterstöckelt, bis ich kurz darauf das vertraute Geräusch der ratternden Aufzugtüren höre, die sich langsam schließen.
Na endlich…
„Alles…alles in Ordnung, Moni?“, höre ich Ellie zaghaft fragen und muss mich nicht mal zu ihr umdrehen, um zu wissen, dass sie mich vorsichtig aus ihren großen himmelblauen Augen ansieht.
Ich seufze tief.
„Natürlich, Ellie. Alles bestens“, erwidere ich und trete die letzten Schritte meine Wohnungstüren zu, krame in meiner Jackentasche nach meinem Schlüssel und stoße schließlich die aufgeschlossene Tür auf.
Achtlos streife ich meine Jacke ab und werfe sie in Richtung Garderobe, bevor ich weitergehe und schließlich in meinem Wohnzimmer vor dem verschließbaren Eckschrank aus dunklem Holz stehen bleibe.
Ohne zu zögern drehe ich den Schlüssel in dem kleinen Schloss herum, öffne die Schranktür und nehme eine geschlossene Flasche meines Lieblingsrotweins sowie den entsprechenden Korkenzieher und ein Weinglas hervor.
„Schon wieder Wein, Moni?“, fragt Ellie, die im Türrahmen zum Wohnzimmer lehnt und mich nachdenklich mustert, während ich mit Flasche, Glas und Korkenzieher in den Händen zur Couch schlurfe und mich anschließend darauf fallen lasse.
„Ich mache dir einen Vorschlag, Ellie“, sage ich und löse nach und nach mithilfe des Korkenziehers den Korken an der Weinflasche, „ich mische mich nicht in deinen spirituellen Lebensstil ein und du lässt mir meine Freude am Wein. Abgesehen davon habe ich mir das nach all der Aufregung auch mehr als verdient.“
Mit diesen Worten ziehe ich den Korken vollständig aus dem Flaschenhals und schenke mir etwas von der dunkelroten Flüssigkeit ins Glas ein, bevor ich kurz darauf einen großen Schluck davon nehme.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Ellie mich für eine Weile schweigend betrachtet, bevor sie schließlich auf mich zu geht und sich zu mir setzt.
„Möchtest du auch ein Glas, Ellie?“, frage ich, nachdem ich mir zum dritten Mal nachgeschenkt habe, auch wenn ich die Antwort meiner Cousine schon kenne.
„Nein danke, Moni“, erwidert Ellie, während ich spüre, wie sie mich von der Seite mustert, „ich…ich bin nur erstaunt, dass es dir noch nicht aufgefallen ist.“
„Aufgefallen?“, fragend runzle ich die Stirn und schaue nun vollständig zu Ellie, „was soll mir denn aufgefallen sein?“
„Na ja“, Ellie greift nach dem Glas in meiner Hand und zieht es mir langsam aus den Fingern, nur um es kurz darauf auf den kleinen Tisch vor der Couch zu der halbvollen Weinflasche und dem Korkenzieher zu stellen, „findest du nicht, dass diese Linda jemandem recht ähnlich sieht?“
„Nein, finde ich nicht. Und jetzt gib mir meinen Wein zurück!“
Ich beuge mich vor und will wieder nach meinem Weinglas greifen, werde jedoch von Ellie an der Schulter gepackt und zurück auf die Couch gezogen.
„Bist du dir sicher, Moni?“
„Mann, Ellie!“, mürrisch verschränke ich die Arme vor der Brust, „ich habe jetzt wirklich keine Lust auf solche albernen Fragen!“
„Also ist dir nicht aufgefallen, dass Linda und diese Frau aus dem Yogastudio einige Gemeinsamkeiten haben? Zum Beispiel die Augen? Oder das Haar?“
„Was?“ Während Ellie mich vielsagend anlächelt und langsam eine Augenbraue hebt, schüttelte ich den Kopf und schlage die Beine übereinander. „Wenn man dir so zuhört, könnte man meinen, dass du etwas getrunken hast, Cousinchen. Linda und Romy sehen sich überhaupt nicht ähnlich. Romys dichte Wellen haben einen zarten rotblonden Farbton und bilden damit einen ziemlichen Kontrast zu der dominanten feuerroten Mähne von Linda. Und das Blau von Romys Augen ist so klar und frisch, dass es Lindas blassblaue Augen geradezu leblos erscheinen lässt. Und von den charakteristische Unterschieden will ich gar nicht erst angefangen…was…was ist? Warum schaust du mich so an?“
Ellies amüsiertes Lächeln wird noch breiter und wandelt sich schließlich in ein glockenklares Kichern.
„Ich wusste gar nicht, dass du so schwärmen kannst, Moni“, sagt sie und streicht mir leicht über den Arm, als ich etwas unbehagen ihrem Blick ausweiche und zur Seite schaue, „Romy heißt sie also?“
Ich nicke stumm und sehe aus den Augenwinkeln, wie Ellie ebenfalls nickt.
„Magst du mir vielleicht von ihr erzählen?“
„Nicht wirklich“, murmle ich und beginne, auf meiner Unterlippe zu kauen, während Ellie mich weiterhin von der Seite ansieht.
„Ich glaube aber, dass es dir guttun würde, Moni.“

Liebe Auf Abwegen (Mona & Romy - Band 1) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt