# 11

2.7K 163 17
                                    

- Mona -

„Zum letzten Mal, Linda“, schnaube ich, während ich mein Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt habe und parallel versuche, beladen mit meiner Handtasche und diversen
Einkaufstaschen, meine Wohnungstür aufzuschließen. „Ich habe keine Zeit. Was ist daran bitte so schwer zu verstehen?!“
„Oh bitte, Mona“, entgegnet Linda und lacht spöttisch auf, was mich die Augen verdrehen lässt, „glaubst du wirklich, dass ich mich mit so einer billigen Ausrede begnüge, mit der du mich seit Wochen vertröstest? Ich bin nicht dumm! Gib doch einfach zu, dass du eine andere hast!“
„Stimmt. Eigentlich habe ich sogar drei“, erwidere ich trocken und schaffe es zu meiner stillen Freude endlich diesen verdammten Schlüssel in mein Wohnungsschloss zu zwängen.
Hat ja auch wirklich lange genug gedauert…
„Drei?!“
Lindas kreischender Schrei lässt mich so stark zusammenzucken, dass ich für einen Moment befürchte, den Schlüssel im Schloss abgebrochen zu haben, was jedoch zum Glück nicht der Fall ist.
„Verdammt, bist du eigentlich bescheuert, Linda?!“, schnauze ich sie an und beginne, den Schlüssel langsam und vorsichtig in dem Türschloss herumzudrehen.
„Ich?! Du bist doch diejenige, die bescheuert ist! Drei Frauen?! Ist das dein Scheißernst, Mona?! Ich will mich seit Wochen mit dir treffen und du vergnügst dich derweil mit
irgendwelchen anderen Weibern?! Bestimmt gehört diese Tina dazu, oder?! Hat’s wenigstens Spaß gemacht?! Du bist doch wirklich…“
„Mann, Linda! Das war ein Scherz!“, fauche ich und stoße die Tür mit meiner Schulter auf, nur um kurz darauf nach Luft zu schnappen.
„Was zum…“, stoße ich hervor, bevor ich hustend die Taschen mit den Einkäufen fallen lasse und Mund und Nase mit der Innenseite meines Ellenbogens bedecke.
Gleichzeitig blinzle ich mehrfach, um besser durch die trüben Rauchwolken sehen zu können, die durch meinen Flur und scheinbar auch durch meine gesamte Wohnung schweben.
Entgeistert reiße ich die Augen auf.
Brennt meine Wohnung etwa?!
Ein Kurzschluss?!
Ein Kabelband?!
Aber das…das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.
Ich war den ganzen Tag über nicht da, warum sollte es dann also ausgerechnet jetzt…
In diesem Moment steigt mir ein süßlicher Duft in die Nase und meine Augen verformen sich zu schmalen Schlitzen.
„Ellie!“
„Wer ist Ellie?! Du hast doch gesagt…“
„Halt den Mund, Linda! Ich kann mich jetzt nicht auch noch auf dich konzentrieren!“
Ohne mich um Lindas aufsteigenden Protest zu kümmern, lege ich mit einem Schnauben auf und trete in den Flur meiner Wohnung.
Meine Wohnungstür lasse ich dabei sicherheitshalber sperrangelweit geöffnet, denn Ersticken durch irgendeinen ominösen Rauch gehört definitiv nicht zu meinen bevorzugten Arten zu Sterben.
„Ellie!“, rufe ich, während ich durch den Flur stapfe und in die einzelnen Räume meiner Wohnung spähe. „Ellie! Verdammt, ich weiß doch, dass du für diesen improvisierten
Friedhofsnebel hier verantwortlich bist! Komm sofort…“
Ich verstumme, als ich an meinem Wohnzimmer vorbeikomme und sehe, wie Ellies Hände eine kleine Keramikschüssel umschließen, aus der trüber zeitungsgrauer Rauch aufsteigt.
Ellie selbst steht in der Mitte des Raumes und schwenkt mit geschlossenen Augen die kleine Schüssel ein wenig hin und her, während sie dabei unverständliche Worte vor sich hin murmelt.
Sie scheint vollkommen in ihr Ritual vertieft zu sein, sodass sie mich überhaupt nicht bemerkt…zumindest noch nicht…
Wutschnaubend stemme ich meine zu Fäusten geballten Hände in die Hüften und funkle Ellie wütend aus schmalen Augen an.
„Sag mal, bist du komplett übergeschnappt, Ellie?!“, fauche ich und schaffe es nur mit Mühe, meine Stimme einigermaßen gesenkt zu halten.
Es ist schon schlimm genug, dass meine Wohnung so eingenebelt ist, dass sie fast schon mit einer Raucher-Lounge am Bahnhof verwechselt werden könnte. Da brauche wirklich ich nicht noch zusätzlichen Stress mit den Nachbarn wegen einer eventuellen Ruhestörung…auch wenn ich Stress vermutlich allein schon deshalb bekommen werde, weil diese spirituelle Luftverpestung gerade dabei ist, das gesamte Treppenhaus einzunebeln…na ganz toll…
Ellie scheint unterdessen meine Anwesenheit bemerkt zu haben, denn ihre Augenlider flackern ein wenig, bevor sie diese anschließend öffnet und ihr Blick sich auf mich fokussiert.
„Moni“, sagt sie und blinzelt ein paar Mal, so als würde sie aus einer Art Trance erwachen, bevor sie mich breit anlächelt. „Namaste. Es ist so schön dich zu sehen. Wie war dein Tag?“
„Ich erzähle dir von meinem Tag, wenn du mir das hier erklärst!“, zische ich und zeige mit einer weitläufigen Handbewegung um mich herum. „Wie kommst du bitte darauf, meine Wohnung in eine Räucherkammer zu verwandeln?!“
„Räucherkammer?“ Fragend hebt Ellie die Augenbrauen, bevor sie den Kopf schüttelt. „Das verstehst du falsch, Moni. Das Ausräuchern ist ein wichtiges Ritual, gerade zu Zeiten des
Umbruchs, und dient dazu, um negative Schwingungen und böse Geister…“
„Das ist mir egal!“, fahre ich sie an und stapfe durch das Wohnzimmer und an Ellie vorbei zur Balkontür. „Bei dem extremen Duft und der Menge an Rauch mache ich jedem Esoterikgeschäft im Umkreis von 50 Kilometern Konkurrenz!“
Mit einem Schwung reiße ich die Balkontür auf und atme tief durch, als mir die angenehme und vor allen Dingen frische Luft von draußen entgegen strömt.
Wahrscheinlich muss ich bis Weihnachten lüften, bis ich diesen Geruch wieder aus meiner Wohnung entfernt habe…
Hoffentlich riechen meine Sachen nicht auch schon danach!
Ich schwöre, ich werde es Ellie nie verzeihen, wenn ich wegen ihr ab sofort wie ein wandelndes Räucherstäbchen herumlaufen muss…
„Ich spüre wieder diese Fremdenergien, die deine Aura verdunkeln, Moni“, höre ich Ellie hinter mir sagen und ich muss mich nicht mal umdrehen, um zu wissen, dass sie dabei nachdenklich mit einem Finger gegen ihr Kinn tippt, „hast du vielleicht heute mit einer unausgeglichenen Person interagiert oder etwas unerfreuliches erlebt?“
„Du meinst unerfreulich in dem Sinne, dass ich nach einem langen, stressigen Arbeitstag nach Hause komme und denke, ich wäre in irgendeinem tibetanischen Tempel gelandet?“, frage ich trocken und drehe mich wieder zu Ellie um, „denn dann, allerliebstes Cousinchen, könnte ich diese Frage durchaus bejahen.“
„Ironie und Sarkasmus sind in diesem Zusammenhang vollkommen unangebracht, Moni. Ich meine das durchaus ernst“, entgegnet Ellie mit einem für ihre Art recht strengen Ton, bevor ihr Gesichtsausdruck wieder etwas sanfter wird, „du weißt, dass es deiner Seele gut tut, wenn du deine Sorgen teilst, oder Moni?“
„Meine einzige Sorge ist, dass meine Wohnung fortan nur noch nach diesem Zeug riechen wird.“
„Das ist kein Zeug, das ist eine Mischung aus diversen Kräutern. Lavendel hat eine beruhigende Wirkung. Süßgras verbreitet ein Wohlgefühl. Salbei hebt die Stimmung. Zeder…“
„Danke Ellie, aber mir ist gerade wirklich nicht nach einer Nachhilfestunde in Kräuterkunde zumute“, seufze ich und reibe mir mit zwei Fingern über meine geschlossenen Augen, bevor ich wieder zu meiner Cousine zurückschaue, „ich räume jetzt die Einkäufe in die Küche und gehe danach duschen. Und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du sämtliche Fenster zum Lüften öffnen und das da
entfernen könntest.“
Mit dem Kopf deute ich auf die rauchende Keramikschüssel, die Ellie immer noch in ihren Händen hält.
„Bist…bist du dir sicher?“, fragt Ellie und schaut abwechselnd zwischen der kleinen Schüssel und mir hin und her, „wenn…also, wenn du dem Ganzen noch ein bisschen Zeit gibst, damit es seine volle Wirkung entfalten kann…“
„Danke, kein Bedarf“, unterbreche ich sie und schiebe mich an Ellie vorbei, um das Wohnzimmer wieder zu verlassen und zurück in den Flur zu treten. "Wie gesagt, ich hatte einen langen stressigen Tag und möchte einfach nur meine Ruhe haben."
„Liegt es vielleicht an ihr?“
Was?
Ellies Frage lässt mich im Türrahmen zwischen Wohnzimmer und Flur stehen bleiben und ich schaue mit einer halben Kopfdrehung über meine Schulter ins Wohnzimmer zurück.
„Was liegt an wem?“, frage ich und hoffe, dass meine Stimme ruhiger klingt, als ich mich gerade fühle.
„Na ja, an ihr eben“, sagt Ellie und ich sehe aus meinen Augenwinkeln, dass sie einen Schritt auf mich zutritt. „Die Frau, von der du gestern Abend halb angetrunken gesprochen hast. Ich
kenne ihren Namen ja leider nicht. Verdunkelt sie vielleicht deine Aura und macht dich so leicht reizbar und unausgeglichen?“
Ich drehe mich immer noch nicht vollständig zu Ellie um und versuche normal weiterzuatmen, während ich spüre, wie mein Körper sich immer weiter anspannt.
Verdammt!
Erst dieser elende Herr Lüdenscheid, dann dieser unverschämte Knirpsvirtuose mit seinem verfluchten Geigenspiel und jetzt auch noch Ellies neugierige Nachfragen!
Wieso muss ich denn nur ständig an sie erinnert werden?!
Warum kann ich sie nicht einfach vergessen?
Ich schlucke schwer und lasse meine Schultern kreisen, um die zunehmenden Verspannungen in meinem Körper zu lösen, bevor ich mich wieder nach vorne drehe und in den Flur trete.
„Mach dir nicht so viele Gedanken, Ellie“, sage ich leise und stapfe zurück zu den Einkaufstaschen, die ich achtlos in die Küche werfe und kurz darauf im Badezimmer verschwinde.
Dort angekommen lehne ich mich mit dem Rücken gegen die geschlossene Badezimmertür und lasse mich auf den Boden sinken, auf welchem ich auch schließlich mit angewinkelten Beinen sitze und mit leerem Blick auf den gefliesten Boden vor mir schaue.
Hoffentlich bleibt mir wenigstens ein weiteres Gespräch mit ihr erspart…

- Romy -

Mit einem Seufzer richte ich mich auf und puste mir eine rotblonde Haarsträhne aus dem Gesicht, während mein Blick durch das Wohnzimmer gleitet.
Na bitte, das sieht doch schon viel besser aus…
Zufrieden stemme ich die Hände in die Hüften und betrachte den ordentlich gestapelten Berg aus noch nicht ausgepackten Umzugskartons an der gegenüberliegenden Wand des Zimmers.
Jetzt können wir wenigstens das Wohnzimmer betreten, ohne einen halben Hindernisparcours meistern zu müssen.
Und bald schaffen wir es bestimmt auch, die einzelnen Kartons auszupacken und die Sachen darin  nach und nach ordentlich zu verstauen, damit wir hier auch endlich richtig ankommen können…
„Wow! Nicht schlecht, Mama.“ Überrascht drehe ich mich um und sehe Jonathan im Türrahmen zum Wohnzimmer lehnen, der mit einem kurzen anerkennenden Pfiff den Berg
aus Kartons mustert und dann wieder zurück zu mir schaut. „Für einen Moment habe ich gedacht, ich wäre im Himalaya-Gebirge beim Mount Everest gelandet.“
„Du Spinner“, lache ich und schüttle leicht den Kopf, während schulterzuckend seinen Rucksack auszieht und diesen mit einem geschickten Wurf auf die Couch befördert, „wie war’s in der Schule?“
„Wie immer.“
„Du bist erst seit zwei Tagen dort, Jojo.“
„Na und? Schule ist Schule, Mama. Da gibt es keine großen Unterschiede.“
Jonathan zuckt erneut mit den Schultern und geht mit schlendernden Schritten zur Couch, bevor er sich auf einige Kissen neben seinen Rucksack fallen lässt und kurz darauf mit einem Schmerzenslaut das Gesicht verzieht.
"Autsch!"
Erschrocken weiten sich meine Augen.
„Was ist, Jojo? Was hast du?“
„Das wüsste ich auch gerne“, knurrt er und greift hinter sich, um nach und nach die Kissen hinter seinem Rücken hervorzuziehen, „hast du Ziegelsteine in die Bezüge gepackt oder warum sind die so…“
Zu meiner Überraschung hält Jonathan abrupt inne und seine Augen weiten sich ein Stück.
„Ist das…“, beginnt er und zieht unter den verbliebenen Kissen den geschlossenen Geigenkasten hervor.
Leise seufze ich auf und spüre, wie mein Magen sich etwas zusammenzieht.
Ich wusste doch, dass ich etwas vergessen hatte…
Währenddessen wandert Jonathans Blick zwischen mir und dem Geigenkasten hin und her und ich sehe, wie der Ausdruck auf seinem Gesicht zerknirschte Züge annimmt.
„Hast du…hast du den beim Aufräumen gefunden?“, fragt er leise, wobei er vorsichtig über den Deckel des Kastens streicht.
Ich nicke stumm und verschränke die Arme vor der Brust, in der Hoffnung, dass mir das etwas Halt gibt.
Jonathan erwidert mein Nicken langsam und lässt mit einem kurzen Klackgeräusch den Deckel des Kastens aufschnappen, nur um kurz darauf über das bordeauxrote Samtinnere des Kastens zu streichen.
„Ich…“, er schluckt kurz und räuspert sich, während er sein Blick immer schuldbewusster wird, „es…es tut mir wirklich Leid, Mama. Ich wollte nicht…“
„Ich habe dir schon mal gesagt, dass du nichts dafür kannst.“
„Aber ich…“
„Kein aber, Jojo“, unterbreche ich ihn und trete auf ihn zu, um ihm den leeren Geigenkasten aus den Händen zu ziehen.
„Aber wenn ich nicht…“
„Hast du mich nicht verstanden, Jojo? Du bist dafür nicht verantwortlich. Punkt.“
Mit einem strengen Blick in Jonathans Richtung lasse ich den Geigenkasten zuschnappen und gehe zurück zu dem Berg aus Umzugskartons, um ihn irgendwo daneben und nur schwer
sichtbar abzulegen.
Weder Jonathan noch ich müssen ja ständig an den Vorfall erinnert werden…apropos…
„Dein Vater hat heute angerufen.“
Das Rascheln hinter mir verrät mir, dass Jonathan sich abrupt auf der Couch aufgerichtet hat.
„Was wollte er?“, fragt er tonlos und obwohl ich ihn nicht sehe, spüre ich seine plötzliche Anspannung…verständlicherweise…
„Er wollte wissen, wann ich endlich mit diesem albernen Spiel aufhöre“, ich drehe mich langsam zu Jonathan um, „und…wann ich wieder zu ihm zurückkomme.“
Jonathan schluckt und ich sehe, dass er sich noch mehr verspannt, auch wenn er es zu verstecken versucht.
„Und…was hast du gesagt?“
„Dass ich nicht mehr zum ihm zurückkomme und ihn verlassen habe. Endgültig.“
„Und…“, Jonathan schluckt erneut und räuspert sich, „denkst du…denkst du, er glaubt dir und wird die Trennung akzeptieren?“
Ich halte inne und lasse meinen Blick langsam sinken, bevor ich mit dem Kopf schüttle.
„Nein…ich fürchte nicht…“


Liebe Auf Abwegen (Mona & Romy - Band 1) (girlxgirl) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt