- Mona -
Pling.
Mit einem tiefen Seufzer öffne ich meine Augen und sehe zu, wie sich die Türen des Aufzugs nach dem kurzen Klingelgeräusch langsam öffnen, um mir Einlass zu gewähren.
Na endlich…
Mehr schlecht als recht schlurfe ich in den Aufzug und drücke aus alter Vertrautheit ohne hinzusehen den Knopf des 5. Stocks, bevor ich meine Stirn gegen die kühle Metallwand des
Aufzugs lehne und den hüfthohen Haltegriff mit beiden Händen umfasse, um mich darauf etwas abzustützen.
Parallel schicke ich mehrere Dankesgebete gen Himmel, dass diese luxuriöse Schuhschachtel nicht wie so oft kaputt ist.
Das hätte mir heute wirklich noch gefehlt…auch wenn es sich wunderbar in die bisherige Chronologie der Tagesereignisse eingereiht hätte.
Ich schließe erneut die Augen und lausche dem Geräusch, welches die sich schließenden Aufzugtüren von sich geben, während ich mich von der angenehmen Kühle des Metalls der
Aufzugwand durchströmen lasse.
Was für ein Tag…
Ich hatte die Arbeit, die ich mit den verschiedenen Papieren hatte, nicht nur in Tinas Gegenwart heruntergespielt, sondern zugegebenermaßen auch vollkommen unterschätzt und habe eine gefühlte Ewigkeit gebraucht, bis ich die Papiere Tina zur Prüfung auf den Schreibtisch legen konnte.
Aber wenigstens hat mich diese moderne Art der Folter davon abgehalten, allzu sehr an Romy
zu denken…zumindest bis jetzt…aber zum Glück lassen sich diese unerwünschten Gedanken ja ganz einfach mit dem einen oder anderen Glas Wein vertreiben…hoffentlich…
Ich seufze und ziehe meine Stirn von der Metallwand zurück, bevor ich mich umdrehe und mit dem Rücken dagegen lehne.
Ich bin wirklich froh, den heutigen Abend für mich zu haben.
Erst recht, nachdem ich in einem Anflug von Vergesslichkeit kurz auf mein Handy geschaut und auf dem Display drei Anrufe in Abwesenheit und fünf weitere Nachrichten von Linda gesehen habe.
War ihre Arbeit im Kulturamt der Stadt wirklich derart beschränkt und
langweilig, dass sie so viel Zeit hatte, mir auf die Nerven zu gehen?
Ein Glück, dass mein Handy seit heute Morgen auf lautlos gestellt und inzwischen auch vollständig ausgeschaltet ist.
Vorsicht ist schließlich besser als Nachsicht und ich habe jetzt wirklich nicht die Nerven für eine weitere Auseinandersetzung…
Pling.
Mit einem leisen Grummeln stoße ich mich von der Aufzugwand ab, als das Klingelgeräusch und das ratternde Öffnen der Aufzugtüren ertönt, und trete auf den langen, gut beleuchteten
Hausflur. Im Gehen öffne ich meine Handtasche und krame, auf der Suche nach meinem Wohnungsschlüssel, darin herum.
Dieser Abend würde ganz allein mir gehören.
Mir und einer Flasche Wein.
Keine Papiere.
Keine Linda.
Und keine unerwünschten Gedanken an…die Vergangenheit…
Und niemand würde mich davon abhalten kön-…
„Moni!“
Erschrocken über den quietschenden Ausruf zucke ich zusammen und kann gerade noch schnell genug den Kopf heben, um zu erkennen, dass eine Gestalt auf mich zugestürmt kommt und mich kurz darauf eng an sich drückt.
Was zum…?!
Wer…?!
Was…?!
Ich bin viel zu verdattert, um mich zu bewegen und bleibe einfach wie erstarrt stehen, während mich die mir momentan noch unbekannte Person fest umarmt, so als wollte sie einen
neuen Weltrekord aufstellen.
Alles, was ich wahrnehme sind die blonden Haare, die ich aus den Augenwinkeln erkenne und ein leicht süßlicher Duft, der mir in die Nase steigt.
Ein leicht süßlicher Duft, in dem aber auch eine gewisse Schwere liegt…
Ganz genauso wie bei dem Geruch von…Räucherstäbchen?
Ich stutze und halte für einen Moment inne, bevor meine Stirn sich nach und nach in Falten legt.
„Ellie?“
Anstatt mir eine Antwort zu geben, lockert die Person ihre Umarmung und tritt einen Schritt zurück, wodurch ich in das breit grinsende Gesicht meiner Cousine schauen kann.
„Erraten“, sagt Ellie und zwinkert mir fröhlich kichernd zu, bevor sie ein weiteres Mal ihre Arme um mich schlingt und mich zu sich zieht.
„Ach Moni, es ist so schön dich zu sehen. Namaste.“
„Was für ein Tee?“
Die in meinen Augen mehr als berechtigte Frage wird von Ellie mit einem weiteren glockenhellen Kichern überspielt, während sie sich wieder zurücklehnt und meine Hände mit ihren sanft umfasst.
„Du bist herrlich, Moni. Einfach nur herrlich. Das ist nur einer der vielen Gründe, warum du meine Lieblingscousine bist.“
„Du meinst abgesehen von dem Hauptgrund, dass ich deine einzige Cousine bin?“, frage ich und hebe eine Augenbraue, was Ellie noch ein Kichern entlockt.
„Ich sage ja, du bist einfach nur herrlich. So erfrischend wie ein plätschernder Gletscherbach“,
seufzt sie und massiert die Oberflächen meiner Hände mit ihren Daumen, während ich überlege, ob das gerade eben das merkwürdigste Kompliment meines Lebens gewesen ist.
Wiederum ist es auch typisch für Ellie.
Anstatt damals nach ihrem Abschluss dem Wunsch ihrer Eltern Folge zu leisten und ein Studium zu beginnen, so wie ich etwa zwei Jahre vor ihr, hat sie beschlossen für ein Jahr die
Welt zu bereisen. Aus einem Jahr wurden zwei, aus zwei wurden vier, und mittlerweile war es in unserer Familie fest etabliert, dass Ellie sich irgendwo auf einem der sieben Kontinente herumtrieb und sie mal dann und wann auf irgendeiner Familienfeier vorbeischaute, wenn sie
gerade zufälligerweise in der Nähe war.
Aber sie hier vor meiner Wohnungstür an einem Abend mitten in der Woche anzutreffen, war schon etwas ungewöhnlich.
Ob irgendetwas passiert ist?
Doch bevor ich noch weiter darüber nachdenken kann, zieht Ellie mich in noch eine Umarmung und löst sie kurz darauf wieder.
„Ach Moni, ich habe dich wirklich sehr vermisst. Es ist zwar lange her, aber ich habe immer gewusst, dass unsere Wege sich nicht dauerhaft trennen würden. Dafür harmonisieren wir viel zu sehr miteinander.“
„Ähm ja…ganz wie du meinst“, sage ich und versuche meinen leicht verwirrten Ausdruck mit mehrfachem Blinzeln zu überspielen, „und…was machst du hier? Ich meine, ich freue mich dich zu sehen, aber ich bin doch schon ein wenig…nun ja…überrascht. Erst recht in Anbetracht der Tatsache, dass ich dich zuletzt vor fünf Jahren auf dem 85. Geburtstag von Großtante Josephine gesehen habe. Wenn du vorher angerufen hättest oder…“
„Das konnte ich leider nicht“, sagt Ellie und seufzt leise, während ihr Gesicht leicht zerknirschte Züge annimmt, „ich habe mein Handy irgendwo in Katmandu verloren. Das war vor etwa vier Monaten. Aber ich muss im selben Atemzug zugeben, dass ich es auch nicht sonderlich vermisst habe. Und du tätest vielleicht auch gut daran, ein bisschen Abstand davon zu nehmen, Moni.“
Ich runzle die Stirn. „Und wieso?“
„Weil ich gewisse Fremdenergien wahrnehme, die deine Aura verdunkeln und deine Chakren
aus der Balance bringen.“
„Ah ja“, sage ich gedehnt und nicke langsam, so als ob ich den Zusammenhang von Ellies
Worten verstanden hätte, „und diese…ähm…Energien…stammen von meinem Handy?“
„Nein, nein“, sagt Ellie und kichert erneut, wobei ihre himmelblauen Augen belustigt aufblitzen. „Aber abgesehen von dem zusätzlichen Stressfaktor, welches der Besitz eines
Handys heutzutage mit sich bringt, verstärkt es diese Fremdenergien durch die fast permanente Erreichbarkeit und den damit einhergehenden Kontakt mit anderen Menschen. Denn wenn Menschen miteinander interagieren, durchdringen sich ihre Auren und es findet ein gewisser Austausch von Energien statt, was bedeutet…“
„Schon gut, Ellie“, unterbreche ich meine Cousine und schließe für einen Moment die Augen, um meine Gedanken wieder zu sammeln. „Das…das klingt alles wirklich sehr…ähm…interessant…aber mich würde viel eher interessieren, warum du so plötzlich hier auftauchst. Brauchst du Geld oder…“
„Ich brauche kein Geld.“ Schmollend schiebt Ellie ihre Unterlippe vor und verschränkt die Arme vor der Brust, wodurch sie dank ihres recht kindlich gebliebenen Gesichts noch mehr wie eben dieses wirkt. „Du weißt genau, dass ich mir meinen Lebensunterhalt immer selbst verdient habe, Moni.“
„Ja, ich weiß. Tut mir Leid, Ellie“, seufze ich und atme tief durch. Mir war heute Abend wirklich nicht nach derartigen Diskussionen. „Aber es muss doch einen Grund geben, weswegen du hier so plötzlich auftauchst. Ist irgendetwas passiert? Hast du Probleme? Brauchst du meine Hilfe?“
„Nein, ich brauche nicht deine Hilfe“, mit einem verschwörerischen Lächeln schüttelt Ellie den Kopf, wodurch mir eine weitere Welle ihres Räucherstäbchendufts in die Nase steigt, „aber du brauchst meine Hilfe, Moni.“
„Was? Wie kommst du denn darauf?“
„Nun, während einer meiner Meditationen habe ich…“ Als Ellie meinen immer verwirrteren
Gesichtsausdruck bemerkt, verstummt sie und holt tief Luft. „Ich hatte eine Art Vorahnung, um es in deinen eher westlich geprägten Worten zu sagen.“
„Eine Vorahnung?“, frage ich und hebe zweifelnd eine Augenbraue, „eine Vorahnung, dass ich deine Hilfe brauchen werde?“
Ellie nickt und umfasst erneut sanft meine Hände, während sie mir fest in die Augen schaut.
„Ich weiß, dass du dir nicht allzu viel aus meiner Art zu leben machst, aber ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich mich nicht von diesem Ruf des Universums leiten lassen würde. Das habe ich bisher schließlich immer getan und es hat mich immer an den für mich richtigen Ort geführt. Und jetzt ist dieser Ort hier bei dir, Moni.“
„M-Moment mal“, stammle ich und meine Augen weiten sich, als mein Blick über Ellies Schulter hinweg zu meiner Wohnungstür gleitet, vor der ein vollgepackter Backpacking
Rucksack und eine alte Reisetasche lehnen. „Heißt das, du willst hier wohnen? Bei mir?!“
„So ist es.“ Kichernd reibt Ellie erneut mit ihren Daumen über die Oberflächen meiner Hände.
„Ich verspreche dir auch, dass ich dein Feng Shui nicht allzu sehr durcheinander bringen werde.“
Und ich glaube, ich brauche heute Abend mehr als nur eine Flasche Wein…
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Liebe Auf Abwegen (Mona & Romy - Band 1) (girlxgirl)
RomanceSie wollten einander nicht mehr begegnen. Umso größer ist die Überraschung, als Schuldirektorin Mona Berger auf ihre Affäre aus Studententagen, Romy Faber, trifft, deren Sohn fortan Monas Schule besuchen soll. Die Begegnung ist nur kurz und oberfl...