- Mona -
"Mann, Romy! Wieso bist du aus der WG gezogen? Wieso verlässt du die Uni?! Und wieso redest du nicht mehr mit mir?! Ständig weichst du mir aus und meidest mich, als wäre ich die Personifizierung der Pest! Verdammt, was soll das alles?!"
"Bitte, Mona...ich...es ist besser so...glaub mir...bitte..."
"Ach ja?! Und warum genau soll das bitte besser sein?! Ich mache mir seit Wochen Sorgen um dich und ich will jetzt endlich wissen, warum du..."
"Ich bin schwanger."Ein plötzliches Geräusch lässt mich blinzeln und holt mich so abrupt aus meinen Erinnerungen zurück, dass ich einen Moment brauche, um zu begreifen, dass es das Klingeln meines Bürotelefons ist.
Doch anstatt nach dem Hörer zu greifen, um das nervige Klingelgeräusch zu beenden, welches in ferner Zukunft ohne Zweifel für einen späteren Tinnitus verantwortlich sein könnte, mustere ich das von diversen Papieren umgebene Telefon nur und fahre mir mit einer Hand durch die Haare.
Meinen Dutt hatte ich schon vor einer halben Ewigkeit während der Besprechung mit Tina über die Willkommensfeier der Fünftklässler gelöst, sodass mir meine dunklen Haare nun wieder frei und locker über die Schultern fallen.
Tina konnte es sich nicht verkneifen zu bemerken, dass ich dadurch viel jünger und sympathischer wirken würde und auch wenn ich unter normalen Umständen dazu einen amüsierten Kommentar oder eine ironische Bemerkung abgegeben hätte, fiel mir absolut nichts Passendes ein.
Und das lag keinesfalls an meiner mangelnden Kreativität oder fehlendem Einfallsreichtum, sondern schlichtweg und ergreifend daran, dass ich viel zu sehr damit beschäftigt war, meine Gedanken krampfhaft auf die Besprechung zu konzentrieren und sie unter keinen Umständen in irgendeiner Form abschweifen zu lassen.
Denn ich war mir nur allzu sicher, wo sie in diesem Fall landen würden...so wie jetzt gerade eben...
Das Klingeln des Bürotelefons verstummt, während ich es immer noch anstarre und meine Hand mit einem Schnauben aus meinen Haaren ziehe.
Das war ja mal wieder so typisch...
Kaum habe ich an diesem vollgepackten Tag ein bisschen Ruhe, muss ich an Romy denken...an Romy und diese verdammten Erinnerungen!
Wütend über mich selbst schüttle ich den Kopf und lehne mich dann mit einem genervten Stöhnen und geschlossenen Augen in meinem Bürostuhl zurück.
Verdammt, warum?!
Es war doch alles gut so, wie es ist.
Ich habe kaum bis gar nicht mehr an sie gedacht.
Ich habe mich sogar wieder für andere Frauen interessiert.
Ich war doch über sie hinweg gewesen.
Warum also geht das alles jetzt wieder von vorne los?
Nach über zehn Jahren...
Für einen kurzen Moment fahre ich mir mit beiden Händen über das Gesicht, bevor ich mich mit einem tiefen Seufzer wieder in meinem Stuhl aufrichte.
Wie sie mich angesehen hat, als ich sie gebeten habe, mein Büro zu verlassen...so voller Verwirrung, Schock und...Enttäuschung?
Ich halte kurz inne, schüttle dann aber erneut den Kopf.
Ist auch egal. Wenigstens weiß ich so, dass sie ihren Sohn nicht bewusst auf meine Schule geschickt hat, sonst wäre sie nicht so geschockt gewesen mich hier zu sehen.
Aber wieso war sie alleine? Wo ist der Vater des Jungen? Wobei...vielleicht war er auch schon arbeiten...oder er hat irgendwo auf die beiden gewartet...oder...verdammt, warum zur Hölle mache ich mir darüber überhaupt Gedanken?! Das kann mir doch total egal sein, wo sich dieser Kerl rumtreibt!
Ein kurzes Klopfen lässt mich zusammenzucken, bevor ich hastig meinen Blazer zurechtrücke und meine Haare wieder ordentlich glattstreiche. Wenn ich schon meine Gedanken nicht im Griff habe, soll man mir das wenigstens nicht äußerlich ansehen...
Abschließend atme ich noch einmal tief durch und schaue dann zu meiner immer noch geschlossenen Bürotür.
"Herein", sage ich, woraufhin die Tür aufgezogen wird und Tina ihren Kopf in mein Büro steckt.
Ihr Blick gleitet durchs Zimmer und als sie mich am Schreibtisch sitzen sieht, heben sich ihre Augenbrauen in stillem Erstaunen.
"Wieso sind Sie denn nicht ans Telefon gegangen, Chefin?", fragt sie und mustert mich etwas besorgt, "geht es Ihnen nicht gut?"
"Doch, natürlich."
"Sicher?" Tina runzelt die Stirn und mustert mich prüfend. "Sie sehen nämlich aus, als ob Sie irgendetwas sehr beschäftigen würde."
Na toll, man sieht es mir also doch schon an...
Ich hole erneut tief Luft und senke meinen Blick ein wenig, bevor ich wieder zu Tina schaue.
"Mach dir keine Sorgen. Es geht mir gut. Es...es ist alles gerade nur ein bisschen viel..."
"Oh...ich...das tut mir Leid", sagt Tina und lässt ihren Kopf etwas hängen, "Sie haben Recht, das waren heute wirklich ziemlich viele Termine und Besprechungen. Vielleicht hätte ich das Ganze ein bisschen besser koordinieren oder auf zwei Tage verteilen sollen oder..."
"Schon gut, Tina. Das meinte ich gar nicht...und es ist auch eigentlich nicht so wichtig", sage ich und mache eine wegwerfende Handbewegung, bevor ich die Augen schließe und mir mit zwei Fingern die Schläfe massiere.
Wenn ich später nach Hause komme, brauche ich dringend ein Glas Wein, um wieder klarer denken zu können...oder eine Flasche...oder am besten direkt ein ganzes Fass.
Diese verdammten Erinnerungen treiben mich sonst noch in den Wahnsinn...
Seufzend öffne ich die Augen wieder und schaue zurück zu Tina.
"Warst du denn, im Gegensatz zu mir, so geistesgegenwärtig und hast den Anruf entgegengenommen?"
"Sie kennen mich doch, Chefin", erwidert Tina und zwinkert mir zu. "Das war Dr. Heydenberg."
"Wer?"
"Dr. Heydenberg", wiederholt Tina und hebt mit amüsiertem Lächeln eine Augenbraue, "Sie wissen schon, der Direktor der Musikakademie."
"Ach, der Typ mit dem Walrossschnurrbart und den schlechten Witzen?"
Kichernd bedeckt Tina ihren Mund mit einer Hand. "Ja, genau der. Aber lassen Sie ihn das bloß nicht hören, Chefin. Sie wissen ja, was für ein empfindliches Ego er hat."
"Wobei er sich mit diesen beiden Aspekten eigentlich kein empfindliches Ego leisten kann", erwidere ich trocken und lasse meine Schultern kreisen, um die Verspannungen in meinem Nacken etwas zu lockern. "Was wollte unser bärtiger Teilzeit-Komiker denn?"
Tina kichert erneut und räuspert sich anschließend. "Er wollte nur wissen, ob unsere Schule an dem Wettbewerb der Musikakademie teilnimmt."
Ich runzle die Stirn. "Seit wann veranstaltet die Musikakademie denn Wettbewerbe?"
"Nur den einen. Es ist ein Pilotprojekt. Dr. Heydenberg erhofft sich dadurch, unbekannte Talente an den verschiedenen Schulen der Region zu entdecken. Der Gewinner des Wettbewerbs erhält nämlich ein Stipendium an der Musikakademie."
"Verstehe", sage ich und nicke langsam, während ich mir mit einer Hand durch die Haare fahre, "und ich dachte, der gute Mann würde sich so viel auf seine umfangreichen und anspruchsvollen Aufnahmeprüfungen einbilden. Was hast du ihm denn gesagt?"
"Dass wir uns das mit der Teilnahme am Wettbewerb überlegen und uns dann wieder bei ihm melden werden. Dr. Heydenberg hat jedoch darum gebeten, nicht allzu lange mit der Entscheidung zu warten und er hat auch noch darauf hingewiesen, dass nur einer unserer Schüler teilnahmeberechtigt ist."
"Sofern wir denn einen finden", ergänze ich und hebe eine Augenbraue, "oder hast du da schon jemanden im Sinn, Tina?"
"Nicht wirklich." Tina verzieht leicht den Mund, während sie nachdenkt. "Ich meine, ich kenne ein paar Schüler, die musikalisch recht begabt sind, aber wer nun am besten für den Wettbewerb geeignet ist und das meiste Talent hat, kann ich nicht beurteilen."
"Na ja, immerhin scheint es ein paar musikbegeisterte Schüler an unserer Schule zu geben, das ist doch schon mal etwas", sage ich und zucke mit den Schultern, "dann werde ich mich wohl demnächst mal mit den Musiklehrern in einer kleinen Konferenz zusammensetzen und darüber reden, welche Schüler sie dafür geeignet halten. Und aus denen wählen wir dann den passenden Kandidaten aus. Wenn wir schon an diesem Wettbewerb teilnehmen, dann wenigstens mit unserer besten Chance."
"Das ist eine sehr gute Idee, Chefin!" Tina nickt eifrig. "Soll ich dann mal schauen, wann sich eine solche Konferenz am besten abhalten lässt?"
Ich lächle leicht und nicke ebenfalls, wenn auch etwas weniger enthusiastisch. "Das wäre sehr lieb, Tina. Wenn du möchtest, kannst du auch schon Dr. Heydenberg wieder zurückrufen und ihm sagen, dass wir an dem Wettbewerb teilnehmen werden. Den genauen Namen des Teilnehmers können wir ihm ja sicherlich noch nachreichen. Und danach kannst du dann ruhig Feierabend machen."
"Ich...sind Sie sicher, Chefin?", fragt Tina und mustert mich nachdenklich, "ich meine, es ist ja noch einiges an Papierkram zu erledigen und..."
"Keine Widerrede, Tina", sage ich und schaue sie streng an, "du warst heute Morgen schon so früh hier und hast dir deinen Feierabend nun auch wirklich mehr als verdient. Abgesehen davon, ist ja nur noch das bisschen Papierkram hier auf meinem Schreibtisch zu erledigen und wenn ich früher diese furchtbar lästigen Hausarbeiten in der Uni geschafft habe, sollte das hier wirklich kein Problem darstellen. Und im Gegensatz zu dir, wartet zu Hause niemand auf mich. So, und jetzt geh schon."
Mit dem Kopf deute ich auf die Tür, in dessen Türrahmen Tina immer noch steht und ein weiteres Mal aufkichert.
"In Ordnung, Chefin. Dann erledige ich eben noch die zwei kleinen Dinge und bin dann auch schon weg. Dann bis morgen! Und später einen schönen Feierabend!"
"Das wünsche ich dir auch, Tina. Und bis morgen", sage ich und nicke Tina abschließend zu, während sie lächelnd die Tür hinter sich zuzieht.
Kurz nachdem das klackende Geräusch des Türschlosses erklungen ist, lehne ich mich erneut in meinem Stuhl zurück und fahre mir mit beiden Händen einmal übers Gesicht und durch die Haare, bevor ich die auf meinem Tisch liegenden Papiere mustere.
Tina weiß genauso gut wie ich, dass ich den Aufwand, der mit der Erledigung dieser Papiere einhergeht, eindeutig heruntergespielt habe.
Aber es ist genau das, was ich jetzt brauche.
Arbeit ist schließlich die beste Ablenkung.
Und ich brauche Ablenkung, wenn ich nicht an Romy denken möchte...oh verdammt...
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Liebe Auf Abwegen (Mona & Romy - Band 1) (girlxgirl)
RomanceSie wollten einander nicht mehr begegnen. Umso größer ist die Überraschung, als Schuldirektorin Mona Berger auf ihre Affäre aus Studententagen, Romy Faber, trifft, deren Sohn fortan Monas Schule besuchen soll. Die Begegnung ist nur kurz und oberfl...