24• Gefühle

36 5 7
                                    

„Frohes Neues Jahr.", erwidere ich lächelnd und denke nicht mal daran, mich wieder aufzusetzen. Ich hoffe in dem Moment nur so sehr, dass es anhält.
Das nicht gleich Kolja, Clara oder... seine Freundin um die Ecke kommt und uns stört.
Weil ich will gar nichts mehr als das.

„Wird es schon besser?", flüstert er nach einer Weile, als auch schon die letzte Rakete in den Himmel gestiegen ist.
„Wenn ich nein sage, bleibst du dann noch hier?", frage ich vorsichtig und hoffe inständig, er nimmt es mir nicht übel. Doch diese Sorge ist unbegründet.
Er lacht leise auf. „Ich bleibe auch noch, wenn du ja sagst."

Himmel. Himmel.
Wieso klang das gerade so unendlich schön?
Wie könnte ich in seinen Armen nur frieren?

„Und wenn ich sagen würde, dass ich nur noch friere?", frage ich erneut lachend.
Doch diesmal kommt nicht so schnell eine Antwort, wie ich vermutet habe. Stattdessen bin ich es, die sich langsam aufrichtet um ihn anzusehen.

O je, habe ich den Bogen überspannt?
Er sieht mir tief in die Augen und für einen kurzen Moment, verliere ich mich in ihnen komplett. So fühlt es sich also an.
Sich in einem anderen Menschen zu verlieren.

Er öffnet kurz den Mund, doch schließt ihn kurz danach wieder. Verlegen sieht er grinsend zu Boden.
Traut er sich nicht mehr zu antworten?, denke ich und versuche seinen Blick erneut einzufangen.

Und als ich es endlich schaffe, findet er seine Stimme wieder.
„Dann muss ich wohl für immer bleiben."
Ich kann mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen, stattdessen vermeide ich nun seinen Blick.
„Ich hätte nichts dagegen.", murmle ich und reibe meine Handflächen aneinander.

Währenddessen spüre ich seinen Blick, der auf meinem Gesicht ruht. Wenn er weiter so macht, lege ich meinen Kopf einfach wieder auf seine Schulter, nur um dem Gefühl aus dem Weg zu gehen.
Doch auch das halte ich nicht lange aus, ohne ihn anzusehen.
Als sich unsere Augen erneut treffen, huschen mehrere kleine Fragen durch meinen Kopf.
Eine der Größten hierbei ist; kann er das gerade auch fühlen?
Diese warmen Gefühle in der Magengegend und das Herzklopfen, dass mein Blut ganz heiß werden lässt.

Gerade in dem Augenblick frage ich mich, wie wohl seine Lippen schmecken?
Oder seine Haut?
Unkontrolliert fällt meine Aufmerksamkeit sofort auf seine dunklen Lippen.

Dieser scheiß Alkohol macht alles noch intensiver.

Er folgt meinem Blick ungeniert. Und so nahe wie wir uns gerade sind, trennen uns nur noch wenige Meter voneinander. Ich würde so gerne diese Lücke füllen.

Aber man küsst keinen Jungen, der in einer Beziehung ist. Und schon gar nicht, wenn es der beste Freund ist, richtig?
Das würde mich sofort zu einem schlechten Mensch machen.
Aber... bin ich das nicht schon längst?
Weil ich Silvester nicht mit den Menschen verbringe, mit denen ich gekommen bin? Die extra für mich hier sind? Weil ich Sander davon abgehalten habe, mit seiner Freundin zu feiern?
Weil ich mich gerade immer mehr in ihn verliebe?
In Sander.

Sander. Den Jungen, den ich schon so lange kenne.
Der für mich da war, als es kein anderer war.
Der für mich auf dem Boden geschlafen hat, weil ich Angst im Dunkeln hatte und meine Brüder den Strom ausgeschaltet haben. Oder bei Gewitter. Oder auch einfach wenn am nächsten Tag eine Klassenarbeit anstand. Der Junge, dessen Familie ebenso auch meine ist. So fühlt es sich jedenfalls an.
Sander ist der Junge, wegen dem ich plötzlich schön aussehen wollte. Ohne den ich eine zeitlang nicht sein wollte.

Aber selbst wenn es so ist, was soll ich dagegen tun?
Aufstehen und gehen? Nein, dass würde es nicht besser machen. Weglaufen und nie wieder kommen? Das wäre Folter.
Es ihm sagen? Ich würde ihn verlieren.

Und dass ist das Letzte was ich gerade will.
Jetzt wo er mich so ansieht.
Automatisch wage ich es, ihm noch weitere Zentimeter näher zu kommen. Dabei beobachte ich jede noch so kleine Mimik.
Doch er lässt sich gerade nichts anmerken. Stattdessen macht er es mir nach.
Und schließlich schließt er die Augen.

Mein Kopf droht zu explodieren.
Ich will ihn küssen.
Jetzt und hier.
Auf der Stelle, ohne zu zögern, zu warten oder zu denken. 

Auch ich schließe meine Augen, um jede Kleinigkeit mir noch intensiver im Gedächtnis abzuspeichern. Wer weiß was morgen ist.

Seine Nähe, sein Geruch, sein...
Mein Herz droht mir aus dem Brustkorb zu hüpfen und ich hoffe inständig, dass er es nicht hören würde.
Und als unsere Lippen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt sind und ich schon seinen Atem auf meiner Haut spüre, höre ich meinen Namen.

„Ellie!", schnell trennen wir uns voneinander.

Shit.

„Da bist du ja. Wir haben uns echt Sorgen gemacht."
Scheiße Kolja, denke ich.
Verdammt falscher Zeitpunkt.

„Ist alles okay?", fragt er schließlich und sieht abwechselnd zu Sander und mir.
Ja, ist denn alles okay?
Ich wage es zu Sander zu sehen, dessen Augen auf Kolja ruhen.
Und nur einen Moment später, springt er auf und läuft in Richtung Eingang. Ohne sich nochmal umzudrehen.

„Kolja! Hast du das gerade nicht gesehen? Verdammt, wie kann man sich nur so einen Zeitpunkt aussuchen?", wütend springe auch ich auf.
„Tut mir leid, aber du bist nun mal ziemlich lange weg gewesen. Was war das eben?"
Nun kommt auch Clara dazu.

„Sagtest du nicht, er hätte eine Freundin?", bemerkt sie und runzelt mitleidig die Stirn.

„Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.", erwidere ich leise und tieftraurig.

„Ich würde jetzt echt lieber nachhause."
„Wir warten bis deine Mom kommt.", beschließt Kolja und greift unter mein Arm.
„Nein nicht nötig. Ich laufe ihr ein Stück entgegen."
Und mit diesen Worten, laufe ich an meinen zwei Freunden vorbei.
Es tut mir in der Seele weh, sie stehen zu lassen.

„Ach ja, Kolja, Clara? Frohes Neues Jahr.", ergänze ich schnell und zwinge mir ein müdes Lächeln auf.

Hoped you'd stayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt