In der folgenden Nacht träume ich das erste Mal seit langem wieder von Sander.
Und als ich todmüde und ausgepowert aufwache, beschließe ich spontan ihn zuhause zu besuchen.
Denn ich kann nicht akzeptieren, dass er mir nicht die Chance gibt, mich zu rechtfertigen.
Auch wenn ich weiß, dass es mal wieder egoistisch ist.Also warte ich gar nicht lange, schlüpfe in meine Alltagssachen und verlasse das Haus, ohne auf die Uhr zu sehen. Die Tatsache das es hell ist reicht mir.
In der Nacht hat es geschneit, die Autos sind schneebedeckt und die Straßen eisig glatt. Der Wind peitscht mir ins Gesicht und ich bereue, mich nicht wärmer angezogen zu haben.
Aber das ist jetzt auch irgendwie egal.Im Dorf ist es still. Kurz vergesse ich, welchen Wochentag wir haben.
Einige Kinder sind schon auf, spielen im Schnee und ich erinnere mich an all die Schneeballschlachten, die Sander und ich immer gekämpft hatten.
Und die ich immer gewonnen habe.
Ich schmunzle und laufe schneller. Vielleicht ist er heute besser drauf als gestern.
Am Haus angekommen nehme ich allen Mut zusammen und klingel diesmal. Ich will ihn unbedingt sehen.
Doch keiner öffnet die Tür.
Ich denke kurz darüber nach mich einfach umzudrehen und zu gehen, doch beschließe, es nochmal zu probieren.Auch diesmal öffnet niemand die Tür.
„Er ist nicht da."
Erschrocken fahre ich zurück und sehe in zwei tiefblaue Augen.
„Sander ist die ganze Nacht nicht nachhause gekommen.", sagt sein Dad, der gerade dabei ist, sein Motorrad vor der Kälte zu schützen.„Haben Sie eine Ahnung wo er stecken könnte?", überrascht blinzelt er mich an.
„Seit wann sind wir denn wieder bei Sie, Ellie?"
Entschuldigend senke ich meinen Kopf. Ich dachte, ich habe es nicht mehr verdient.„Nein, ich weiß nicht wo er steckt. Das weiß ich nie. Ich hoffe immer nur, dass er nicht besoffen am Straßenrand liegt und dort erfriert."
Als er mit seinem Tun fertig ist, kommt er auf mich zu.
Sofort bemerke ich, wie ähnlich Riaan seinem Vater sieht.„Manchmal habe ich das Gefühl, dass er nicht mehr hier wohnt. Aber komm doch mit rein, es ist viel zu kalt draußen." Lächelnd öffnet er die Tür und schiebt mich förmlich in das warme Haus. Sofort springt mir ein großer Dalmatiner entgegen. „Hey Cody!"
Erleichtert das mein Lieblingshund lebt, lehne ich mich zu ihm runter.„Ja Cody, wir wissen das du sie vermisst hast. Und jetzt lass sie mal ausatmen."
Mr. Moreau aka Mike lacht laut auf.Der Rüde hört aufs Wort und verschwindet im Wohnzimmer.
Ich atme kaum hörbar den Duft des Holzes ein und kann es nicht glauben, wie sehr ich diesen Ort mit meinem Zuhause verbinde. Früher war ich nahezu jede freie Minute hier.
„Möchtest du etwas trinken? Wasser, Tee oder Kaffee?", fragt er freundlich und legt seine Jacke ab. Ich tue es ihm gleich. „Du siehst so verfroren aus. Ich mache dir einfach Tee.", beschließt Mike und eilt in die Küche.
Lächelnd folge ich ihm und freue mich einfach hier zu sein.
„Ich habe ihn gestern beim Einkaufen getroffen.", gestehe ich ihm und setze mich auf einen der Stühle direkt an die Kücheninsel.
Es ist immer noch alles in braun gehalten, viel Holz und wenig Schnickschnack.
„Tatsächlich? Dann hast du ihn das letzte Mal gesehen. Riaan und ich haben seit Tagen nichts von ihm gehört. Geht es ihm gut?", er stellt das Wasser auf den Herd und lässt es köcheln. Schmunzelnd stelle ich fest, dass sie sich immer noch keinen Wasserkocher zugelegt haben.
„Ich denke schon.", antworte ich.
„Aber er ist... wütend."
„Das ist er schon eine ganze Weile. Mach dir da kein Kopf."
Doch das tue ich.Es war auch für ihn eine schwierige Zeit und ich habe ihn im Stich gelassen.
„Er hat allen Grund auf mich wütend zu sein."
Ich beobachte Mike weiterhin, seine Haltung ist entspannt und kurz denke ich, er weiß nichts von meiner jahrelanger Abwesenheit.
„Bist du nicht wütend auf mich?", frage ich vorsichtig.Er stellt zwei Tassen neben den Herd und fügt Teebeutel dazu.
„Ellie.", seufzt er.
„Zugegeben, ich war wütend auf dich. Auch ich habe dich aufwachsen sehen, du warst immer wie eine Tochter für mich."
Er füllt das kochende Wasser in die bereitgestellten Tassen.
„Aber was bringt mir das? Wut ist ein starkes Gefühl das dir viel Kraft raubt. Ich würde fast schon behaupten, ich habe Frieden damit geschlossen. Was damals passiert ist...", ich schlucke „ist hart. Und nicht in Worte zu fassen, aber ich konnte nicht zulassen, dass es mich zerfrisst. Und ich verstehe, warum du gegangen bist. Ich bin jetzt einfach nur froh, dass du wieder gesund zurückgekommen bist."
Mike stellt mir eine Tasse hin, die ich dankend annehme.„Aber wehe du machst das nochmal.", fügt er lächelnd hinzu.
Ich schüttle den Kopf.„Wo hast du eigentlich gesteckt?"
„Witzig, du bist der Erste der mich das fragt."
„Weil die anderen wohl Angst vor der Antwort haben."
Ich verstehe, doch gehe nicht weiter darauf ein.„Ich war nie wirklich an einem Ort. Ich bin... rumgereist und hab ein paar Länder erkundet, die mich schon immer interessieren. Hauptsächlich England, Frankreich und die Schweiz."
„Du kannst fahren?"
Stolz nicke ich. „Kolja, jemand den ich kennengelernt habe, hat es mir beigebracht."
„O. Kolja also? Wie ist er so?", er zieht eine Augenbraue in die Höh und sieht mich wissend an. Ich lache: „Vor allem ist er schwul."
„Schade."Ja.
Aber ich hätte niemals etwas mit einem anderen Jungen anfangen können.„Was hat Sander so gemacht?", frage ich und spitzle in den grünen Tee.
„Du meinst abgesehen von dem offensichtlichem?", er zeigt auf seine Haare. Natürlich deutet er damit auf Sanders neue Frisur an.
„Ich weiß es nicht. Wenn er hier ist, verkriecht er sich in seinem Zimmer und sonst ist er bei Freunden."
„Wie sind seine Freunde so?"
Mike verdreht die Augen.
„Schrecklich. Arrogant. Unausstehlich. Reicht das? Sie haben ihn ziemlich verändert. Und seit er seine Freundin hat, erkenne ich ihn kaum wieder."Seine Worte versetzten mir einen Stich.
„Seine... Freundin?", murmle ich, doch versuche stark zu klingen. Vermutlich eher vergebens.„Ja. Clara, oder so."
Ich nippe an dem Tee. „Seit wann sind die beiden ein Paar?"
Frage ich, doch will es eigentlich gar nicht wissen. Ich will hier weg.„Zwei Monate? Keine Ahnung."
„Ja.", presse ich hervor und wage es nicht, Mike in die Augen zu sehen.
Er bemerkt das und beugt sich leicht über die Insel. „Ellie-..."Er vollendet seinen Satz nicht, denn er wird von einem lauten Gepolter unterbrochen. Es klingt wie ein Rucksack oder Schuhe, die lieblos in die Ecke geworfen werden.
Dann folgen Schritte und keine Sekunde später, steht Sander dreckig und mit blutigem Gesicht in der Tür.
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Hoped you'd stay
Teen Fiction„Alles was ich wollte war, dass du bleibst. Ellie, ich habe gehofft, du würdest bleiben." Ellie hat etwas getan, was viele nicht nachvollziehen können. Sie ist gegangen, als alle anderen sie gebraucht haben. Doch ihre Rückkehr verläuft anders als e...