6• Verletzende Worte

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Seine Hose ist zerrissen und auch das graue, immer noch mit Eigelb befleckte, Shirt weist Risse auf. Erschrocken betrachte ich ihn.

Nur wenige Augenblicke später bemerkt er mich und rollt die Augen.
„Du meine Güte."
Maximal genervt will er die Küche verlassen, doch Mike hält ihn auf.

„Sander! Stehen bleiben."
Der Angesprochene bleibt laut schnaubend stehen. „Was denn?"
„Was ist passiert?"
Mike dreht seinen Sohn zu sich und betrachtet sein Gesicht. „Was ist das?"

„Nichts."
„Sander!"
„Das ist nichts!" Sein Dad stößt ihn von sich. „Warst du wieder betrunken?"
„Nein."
„Hast du dich geprügelt?"
„Nein!"
„Lüg' mich nicht an!"

Ich fühle mich fehl am Platz. Am liebsten würde ich einfach verschwinden, doch die beiden blockieren die Tür.

„Lass mich einfach in Ruhe.", keift Sander. „Und hör auf Fremde ins Haus zu schleppen."

Autsch. Es ist nicht zu verleugnen, dass er mich meint. Und verdammt, noch nie hat mir etwas mehr weh getan, als seine Worte.

„Verschwinde!"
Es ist Mike anzusehen, wie sehr er sich zusammenreißen musste, nichts dummes zu tun. Und wäre Sander nicht gegangen, wüsste ich nicht was passiert wäre.

Er knallt seine Zimmertür hinter sich zu und hinterlässt eine unangenehme Stille.

Ich sehe noch eine Weile auf den Boden, ehe ich beschließe, das Richtige zu tun.

„Ich sollte besser gehen."
Schnell schnappe ich meinen Mantel, bedanke mich für den Tee und gehe an Sanders Dad vorbei.

„Es tut mir leid, Ellie."
Murmelt er noch, doch ich winke ab. „Es ist meine Schuld."

Mit diesen Worten verlasse ich das Haus.

„Hey Ellie."
Freudig grinsend kommt mir Riaan entgegen, aber ich schaffe es nicht ihn anzusehen. „Später, Riaan. Sorry."

Verwirrt bleibt auch er zurück.
Und ich wollte und konnte nicht wahrhaben, was eben passiert ist.

•••

Zuhause angekommen ist es Mom, die mich wissend ansieht. Obwohl sie eigentlich keine Ahnung haben konnte, kommt sie auf mich zu.

„Ellie, Kai hat mir erzählt, dass du gestern auf Sander gestoßen bist. Und er hat mir erzählt, er war nicht gut zu dir."
Ich nicke und verfluche meinen Bruder, weil er es gleich petzen musste. „Mom nicht jetzt, okay? Es tut mir leid, aber mir geht es nicht so gut."

Verständnisvoll geht sie wenige Schritte zurück und lässt mich meinen Mantel ausziehen.

„Warst du eben bei ihm?"
Ich wollte Mom nicht von mir stoßen, aber gleichzeitig möchte ich nicht über ihn reden. Sofort fühle ich mich zwei Jahre zurückversetzt.
„Ja, war ich. Aber... er ist nicht mehr der Mensch den ich kannte. Also-.", ich beiße mir auf die Lippe, „hat sich das Thema erledigt."
Genauso wie dieses Gespräch.

Ich möchte gerade die Treppen nehmen, da hält sie mich am Handgelenk fest.

„Tue nicht so, als ob. Sander und du, ihr beide wart unzertrennlich. Habt alles miteinander geteilt. Erzähl mir nicht, er ist dir jetzt egal.", ihre Worte machen es nicht besser.

Ich weiß wie wir waren. Ich weiß wer wir waren. Oder besser gesagt: ich wusste es. Aktuell bin ich mir nicht mehr so sicher.

„Mom.", seufze ich, „was soll ich dir dazu sagen? Ja natürlich ist es nicht einfach, aber was soll ich tun? Es ist meine Schuld, nicht seine und ich verstehe es. Ich weiß es hat nie, nie nur einen Moment an ihm gelegen. Und ich schäme mich dafür."

„Er wird sich wieder einkriegen."
Da bin ich mir nicht so sicher.
„Bist du noch wütend? Ich meine, hast du mir zu hundert Prozent verziehen?"
Ertappt wendet sie ihren Blick ab.
Und ich verstehe.

„Wie soll mir dann Sander verzeihen?"

Hoped you'd stayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt