•2 Veränderung

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Erschöpft lasse ich mich in das Bett fallen. In mein Bett, das immer noch die selbe Bettwäsche übergezogen hat. Ich wage meine Nase im Kissen zu vergraben und bin erleichtert als ich den angenehmen Duft von Heimat einatme. Selbst während meiner Abwesenheit hat meine Mom es frisch gewaschen.

Schuldbewusst richte ich mich auf und lasse meine Beine über die Bettkante hängen. Es ist so hoch, dass ich immer noch nicht den Boden berühre. Nach so einer langen Zeit fühlt es sich ungewohnt an, nicht mehr sofort auf dem Boden der Tatsachen zu stehen, wenn der Wecker klingelt.

Auch sonst ist alles beim Alten.
Klein aber fein. Sogar meine Pflanzen (auf die ich immer sehr stolz war) wurden regelmäßig gegossen. Prachtvoller den je stehen sie neben meinem Kleiderschrank.
Apropos. Während meiner Zeit in England hatte sich mein Kleidungsstil durchaus verändert und ich hatte nur wenig Sachen mitgenommen, weswegen ich nun umso gespannter bin. Ich öffne die weiße Schiebetür und werde sofort von bunten Farben angegriffen. Jacken aller Art, hauptsächlich auffällig gemusterte Mäntel und quietsch gelbe Pullover, kombiniert mit blauen,- ab und zu auch grauen Jeanshosen. Lächelnd greife ich in Richtung einer Weste, die viel zu groß für mich ist und ich mir sicher bin das ich in ihr untergehen würde.

Das alles passt nicht mehr zu dem Mensch der ich heute bin. Nun dominieren dunkle Farben in meinem ehemaligen Schrank.
Schwarz, grau, braun. Ab und zu Naturtöne und Jeans.

Ich habe angefangen mich für Mode zu interessieren und das zeigt sich. Mein Vergangenheits-Ich hatte durchaus Modeprobleme, über die ich heute nur noch lachen kann.

Doch bevor ich die große Schranktür schließe, blitzt ein schwarzes T-Shirt hervor, das mir nur allzu bekannt vorkommt. Sofort verstummt mein Lachen.
Für einen kurzen Augenblick denke ich darüber nach, es gar nicht erst raus zu ziehen, geschweige denn es anzufassen. Vielleicht wäre es besser, wenn ich einfach so tue als hätte ich es nicht gesehen. Aber meine Hände arbeiten schneller als mein Gehirn.

Ich ziehe es raus und betrachte es gründlich. Auch das ist mir viel zu groß, jedoch liegt das daran, dass es nicht mir gehört. Das Shirt ist nicht komplett schwarz. Ein großer, bunter Aufdruck drängt sich in den Mittelpunkt. Zu erkennen ist ein klitzekleiner Teil des Universums, hauptsächlich helle Sterne und Meteoriten.

Leicht erschrocken lege ich es zur Seite und erinnere mich an die Person, der es gehört. Der Gedanke macht mich traurig, dennoch kann ich ein schwaches Lächeln nicht unterdrücken, sowie das warme Gefühl das sich in meiner Brust ausbreitet.
Es gehört Sander.

Wie es ihm wohl heute geht?
Unter allen Verlusten die ich in den letzten Jahren durchlebt habe, gehört der Verlust meines besten Freundes zu den härtesten und vor allem schmerzhaftesten.

Er war damals der einzige der von meinem Plan wusste.

Sofort kommt mir der Gedanke ihn anzurufen, oder zu ihm nachhause zu fahren. Aber ich habe seine Nummer nicht und ich weiß auch nicht, ob er noch in dem selben Haus wohnt, wie damals.
Vielleicht weiß sein Dad etwas, zu dem er nach der Scheidung seiner Eltern gezogen ist.

Ich schiebe den Gedanken zur Seite und beschließe, mich erst einmal hinzulegen und es langsam angehen zu lassen.

Als ich aufwache scheint die Sonne durch mein Dachfenster und erhellt den Raum. Einen kurzen Moment lang verliere ich die Orientierung und fange nur langsam an zu verstehen, wo ich eigentlich bin.
Das ich seit langer Zeit wieder in meinem eigenen Bett aufwache, verstehe ich erst kurz danach.

Schnell greife ich zu meinem Handy, -hauptsächlich um nach der Uhrzeit zu sehen-, da ich für gewöhnlich keine Nachrichten bekomme. Und so ist es auch. Ich entscheide mich für einen kurzen Spaziergang, ehe ich erneut versuche mit meiner Mom zu sprechen.

Vielleicht hat sie den ersten Schock überstanden und reagiert jetzt etwas gelassener.
Also stolpere ich die Treppen hinunter und ziehe mir meinen braunen Mantel über. Noch schnell meine Schuhe und raus in die Kälte.

Tatsächlich ist es nicht so kalt wie ich es erwartet hatte. Natürlich bringt der Wind eine unangenehme Temperatur mit sich, die mir für einen Augenblick einen Schauer über den Rücken fahren lässt. Doch schnell hat sich mein Körper an die Umgebung gewöhnt, ein Talent das ich mir auf den Wechselreichen Straßen angeeignet hatte.

Ich schlendere durch die kleinen Orte meiner Kindheit, erinnere mich an jedes noch so kleine Eck und all die dunklen Gassen, von denen mich meine Eltern früher gewarnt hatte. Natürlich hat sich keiner daran gehalten, wir waren zu jung und naiv um die Gefahr zu erkennen, selbst wenn sie nur minimal einschätzbar war. Einfach war es trotzdem nicht, da der Ort so klein ist, dass jeder Jeden kennt. Somit waren Heimlichkeiten fast unmöglich zu organisieren.
Dorf eben.

Ich ändere meine Richtung, als meine Beine die Kontrolle übernehmen. Ich möchte nur kurz nachsehen, ob er noch da ist.
Also marschiere ich solange durch den matschigen Schnee, bis ich an einem großen Haus ankomme das mehr abseits liegt. Nur langsam traue ich mich näher an die Gemäuer ran.

Ich wage einen raschen Blick durch die Fenster, ehe es mir unangenehm wird.
Soll ich klingeln? Aber wie würden sie reagieren, werden sie mich abwimmeln? Schließlich habe ich bis jetzt nur jeden enttäuscht.

Gerade als ich mich wieder umdrehen will, -um meiner Feigheit wieder alle Ehre zu machen-, höre ich stumpfes schlagen auf Holz und eine fluchende Männerstimme hinter dem Haus. Ich schleiche mich in Richtung Hinterhof und hoffe jemanden anzutreffen den ich kenne. Im Nachhinein hätte ich einfach Espen fragen können ob Sander noch im Ort wohnt, aber das wäre wieder viel zu einfach gewesen.

„Dieser Faulpelz! Immer bleibt alles an mir hängen!", höre ich schimpfen. Dann wieder Holz das bricht.
Erst jetzt erkenne ich die dunkle Gestalt, die fleißig Holz hakt und gerade dabei ist, eine dicke, schwarze Winterjacke auszuziehen. Ich kann mir schon vorstellen, dass es anstrengend sein muss.

Ich beobachte den gut aussehenden jungen Mann, wie er wieder zur Axt greift und mühevoll zum nächsten Schlag ansetzt, ehe er inne hält und zu mir rüber sieht. Er lässt sie nahezu fallen und starrt mich verdutzt an.
Mit einem müden Lächeln auf den Lippen winke ich dem Dunkelhaarigem zu.

„Ellie?", ruft dieser überrascht und geht kleine Schritte auf mich zu.
„Hey, Riaan.", begrüße ich den Jungen, der nun vor mir steht. Seine grau-blauen Augen erinnern mich verdächtig an einen anderen Jungen, der hoffentlich noch in diesem Haus wohnt.

„Wie geht es dir?"
„Warte warte. Du kommst hierher, nach drei langen Jahren Funkstille und willst jetzt Smalltalk halten?" Verdutzt zupft er sich an seinem gestreiften Hemd.
Sein Kleidungsstil ist generell etwas ungewohnt, sonst kenne ich ihn nur in weißen T-Shirts und Lederjacke, egal wie kalt es draußen auch ist.

Ich schmunzle. Er scheint nicht böse zu sein, das verrät mir sein Lächeln.
„Du bist wirklich unglaublich!"
Ich könnte schwören, dass mein Gesicht an Farbe gewinnt, doch versuche schnell zu meinem eigentlichen Thema zu kommen.
„Wohnt...", ich räuspere mich, weil es mir unendlich schwer fällt seinen Namen auszusprechen. „Wohnt Sander noch hier?"
Riaans Lachen verschwindet und kleine Fältchen bilden sich auf seiner Stirn.
„Sander.", murmelt er.
„Ja er... er wohnt noch hier.", flüchtig sieht er über meine Schulter in Richtung Haus, dann treffen sich unsere Blicke erneut. „Naja, offiziell jedenfalls. Er ist so gut wie nie Zuhause. Ich weiß nicht, wo er sich den lieben langen Tag aufhält. Oftmals sehe ich ihn mehrere Tage nicht."
„Das ist merkwürdig.", stelle ich fest.
„Dafür das er früher immer so ein Stubenhocker war."
Kurz findet er sein Lächeln wieder, dann geht er mehrere Schritte rückwärts.

„Aber als großer, verantwortungsvoller Bruder kann ich ihm sagen, dass du wieder da bist. Wenn du möchtest."
Ich nicke nur als Antwort und verabschiede mich dann, kurz bevor ich keine Lust mehr auf nervige Spaziergänge habe.

Hoped you'd stayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt