34• Kai

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Also fasse ich all meinen Mut zusammen und betrete Kai's Zimmer. Dabei fällt mir missmutig auf, dass ich nie wirklich bei ihm war und um ehrlich zu sein gar nicht weiß, wie es überhaupt eingerichtet ist.
Mein Bruder hat sich mit der Zeit entfremdet.

Es ist erschreckend, dass man die Menschen mit denen man zusammen lebt, eigentlich kaum richtig kennt.

Wie erwartet sitzt mein Bruder auf seinem Bett und hört leise und mit geschlossenen Augen dem Klang seiner Musik zu. Wie in Trance wippt sein Fuß auf und ab.

Ich dachte mir fast schon, dass sein Zimmer so aussehen würde: in dunklem Grau gehalten ohne viel Schnickschnack. Ein Schrank, ein Bett und eine Kommode. Nicht mal mehr der Fernseher steht an seinem Platz. Kurz frage ich mich, wo er sein ganzes Zeug eigentlich verstaut.
Auf seinem Nachttisch steht eine kleine graue Lampe und neben an, der einzige Farbtupfer des Zimmers, eine kleine Pflanze, die in Richtung Fenster wächst.
Er hasst Pflanzen jeglicher Art und bezeichnet diese immer als Müll. Umso merkwürdiger, dass er sie neben seinem Bett stehen hat.

Zögerlich gehe ich auf ihn zu und tippe leicht auf sein Knie. Eigentlich muss er mich gehört haben, weil die Musik nur leise aus seinen Boxen klingt. Erschrocken reißt er die Augen auf und sieht mich perplex an.
So wie er mich ansieht, fühle ich mich gerade.

„Ellie! Was machst du denn hier?", fragt er zögernd und stoppt die Musik. Stille erfüllt den Raum und hallt an seinen leeren Wänden ab.
Ich ignoriere die Tatsache, dass wir uns eigentlich erst vor zehn Minuten gesehen haben.

„Das wird dir nicht gefallen, Kai. Ich muss mit dir reden.", mit den Zähnen knirschend richtet er sich auf und bittet mich per Handzeichen, mich neben ihn zu setzen. Ich schätze, ihm ist es genauso unangenehm wie mir.

„Um was geht es?", fragt er desinteressiert.
„Du weißt um was es geht.", stelle ich schließlich fest und lasse mich in seine Matratze sinken. Sein Blick kreuzt kurz meinen.
„Es geht um Kolja. Und um dich. Und um die Frage, was um alles in der Welt mit dir los ist. Ich kenne dich so gar nicht. Kai.", ich lege meine Hand auf sein Bein um mir sicher zu sein, dass er mir auch wirklich zuhört.
„Seit ich da bin, erkenne ich dich kaum wieder. Was ist mit dir? Was ist passiert?"

Nervös kaut er sich auf die Unterlippe. Familienangewohnheit.

„Was soll den sein?", er zwingt sich ein müdes Lächeln auf.
„Du lebst so zurückgezogen. Ich vermisse deine Witze, deine humorvolle Art und dein Optimismus. Wo ist das hin? Ich weiß nichts mehr über dich. Du hast mir nicht mal erzählt, wo du arbeitest.", traurig senke ich den Blick, als würde mir das alles erst jetzt so richtig bewusst werden.

Kühlt sieht er mir in die Augen und mustert mich akribisch. Wahrscheinlich bekomme ich heute genauso wenig aus ihm raus, wie sonst auch.
„Ich vermisse dich. Du wirkst unglücklich und verletzt."

„Ich habe es versucht, Ellie. Ich habe es wirklich versucht.", besorgt und leicht überrascht aufgrund seiner doch sehr ehrlichen Antwort, rücke ich näher an ihn heran.
„Was hast du versucht?"

„Das alles. Ich habe versucht positiv zu bleiben, mir wenig Gedanken zu machen, meinen Job zu mögen und die Leute um mich herum einfach so anzunehmen wie sie sind. Ich wollte der witzige, humorvolle Typ, den jeder gut leiden kann bleiben. Ich habe mich darauf vorbereiten, wie mein Leben verlaufen wird. Arbeit, Wohnung, Kinder. Ich wollte das. Es war okay.", stirnrunzelnd und irgendwie wütend sieht er an die Decke. Es ist nicht zu übersehen, dass er mit sich selbst ringt.

Und ich bin verwirrt.
Weil ich mit solch einer Antwort einfach nicht gerechnet habe.
Oder generell mit einer Antwort, die so offen und ehrlich ist.

Hoped you'd stayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt