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Wahrscheinlich hatte sie erwartet, dass mich ihre Worte beeindrucken würden, wohl möglich einschüchtern oder gar einknicken ließen. Doch ich schaute sie nur ruhig an.
„Haben Sie dazu nichts zu sagen?"
Ich atmete tief ein uns aus bevor ich sprach. „Ich wüsste nicht was. Um ehrlich zu sein, macht das keinen Unterschied für mich. Für Sie etwa?"
Sie presste ihre Lippen zusammen, ein schmaler Schlitz entstand der jegliche Farbe verloren hatte und sich unnatürlich weiß von ihrem sonst gebräunten Gesicht abhob.
„Was erlauben Sie sich?" Zischte sie zwischen ihnen hervor. „So läuft das hier nicht. Wenn Sie nicht kooperieren, dann werden das sehr lange zwei Jahre für Sie Amaryllis. Vorausgesetzt Sie halten es so lange hier aus."
„Darum mache ich mir keine Sorgen."
„So so. Nun gut, ich kann Sie nicht zwingen. Aber seien Sie sich sicher, ich werde es nicht vergessen." Sie griff nach einem kleinen Buch vor ihr auf dem Tisch und schlug es auf. „Morgen 15.30 Uhr haben wir unser erstes Treffen."
Ich hob meine Augenbraue. „Wieso?"
Sie hatte sich komplett wieder gefangen und schaute mich abwartend an. „Ich wiederhole mich nur ungern, aber ich wurde Ihnen als Tutorin zugeteilt. Das bedeutet ich werde Ihre Akademischelaufbahn hier überwachen und betreuen. Zudem entscheide ich mit ihren Lehrern über Förderungen und Forderungen für Sie und wie sich ihr Aufenthalt hier auf Mayergut entwickelt."
Sie drohte mir, alles an ihr war die pure Provokation.
„Ich verstehe."
„Gut, dann rate ich Ihnen sich bis dahin Gedanken zu machen, wie Sie sich das hier vorstellen."
Ich nickte und griff nach meiner Tasche.
„Glauben Sie mir, es ist in ihrem eigenen Interesse ."
Ich stand auf und ging auf die Tür zu, meine Hand schon auf dem Griff drehte ich mich noch ein Mal zu ihr um. „Ich komme nicht aus New York Frau Mayer."
Sie lächelte und stand ebenfalls auf. „Das ist mir Bewusst." Mit der Hand wies sie mich aufzugehen und das tat ich auch.
„Na da haben Sie die Direktorin aber auf keinem guten Bein erwischt Liebes." Maria saß hinter dem Tressen, der sich mitten durch den Raum zog und schob ihre Hornbrille wieder zurecht.
„Ist sie den etwa nicht immer so?" Fragte ich sie und lehnte mich an den Tressen.
Maria lachte und zucket mit den Schultern. „Nun, es liegt mir fern Ihnen angst zu machen, aber nein. Obgleich Direktorin Mayer durchaus mit strenger Hand diese Schule leitet."
Ich seufzte. „Verstehe. Maria, wo finde ich den mein Zimmer?"
Die kleine Frau mit dem braunen Pagenschnitt sprang von ihrem Stuhl auf und trat durch die Schwingtür, die ihr durch ihre Größe fast bis zur Brust ging. „Also da muss ich Ihnen ein Geständnis machen. Bei der Planung ist uns wohl ein Fehler unterlaufen." Sie druckste herum und mied meinen Blick.
„Was bedeutet das für mich?" Der Tag konnte doch nicht noch schlimmer werden!
Sie hob beschwichtigend die Hände. „Sie werden leider im keinem der vorgesehenen Doppelzimmer für die Oberstufe im Ostflügel untergebracht, sondern im hinteren Teil. Also das ist jetzt, wie soll ich sagen",
„Kurz und schmerzlos bitte." Fiel ich ihr ins Wort.
„Sie sind alleine dort. Eigentlich sollte der Hinterflügel bis zum Schulbeginn fertig werden, doch die Umbauarbeiten verzögern sich, sodass wir nur die dritte Etage fertig bekommen haben." Sie hielt inne und schaute mich forschend an. „Sie haben doch keine Angst alleine dort, oder Kind? Wir können Sie auch in einem Zimmer der Unterstufe unterbringen",
„Nein!" Unterbrach ich sie wieder, „Nein, Maria, das ist alles kein Problem."
„Ah Wunderbar. Sie müssen wissen, ich habe so ein schlechtes Gewissen. Da kommen Sie den ganzen langen Weg zu uns und wir bringen Sie alleine unter, so könne Sie ja gar nicht direkt neue Kontakte knüpfen." Schuldbewusst schüttelte sie ihren Kopf und ich unterdrückte ein Lachen.
„Kein Problem, wirklich. Ich komm schon klar."

***

Und wie ich das tun würde, denn es hätte mich wirklich sehr viel schlimmer treffen können. Stolz erzählte mir Maria, das im Hinterflügel Apartments für die Lehrkräfte entstehen, damit diese nicht mehr in denselben Trackt wie die Schüler untergebracht werden müssen. Somit hatte ich nicht nur meine Ruhe, sondern auch eine kleine Wohnung für mich. Zwar funktionierte das Badezimmer noch nicht und ich musste das alte Gemeinschaftsbad am Ende des Flures benutzen, aber ich hatte eine möblierte Unterkunft mit eigener Küche und einem winzigen Balkon der zum angrenzenden Wald hinausging. Ich liebte es.
„Als kleine Entschädigung habe ich Ihnen direkt einen Termin bei Dr. Fleming gemacht und Sie vom restlichen Programm heute befreit. Sie müssen ja erst einmal ankommen, nicht wahr?" Maria nickte und drückte mir einen Schlüssel in die Hand. „Um 16 Uhr dann. Abendessen gibt es um 18.30. Frühstück von 6.30 bis 7.30 Uhr, Mittagessen um 13 Uhr. Sie müssen nicht teilnehmen, bis auf das Abendessen, das ist hier so Tradition. Falls Sie das einmal nicht schaffen, dann melden Sie sich bitte entweder bei mir oder bei einem der Lehrer ab. Hier ist meine Nummer, unter dieser können Sie mich jeder Zeit erreichen. Falls Sie etwas brauchen, dann kommen Sie einfach direkt zu mir." Sie holte kurz Luft bevor sie ihre Rede fortsetzte. „Das Büro von Dr. Fleming ist direkt neben dem Sekretariat. Ich sehe Sie dann beim Abendessen Amaryllis."
Maria verabschiedete sich und ließ mich alleine. Müde fiel ich auf das Sofa. Insgesamt gab es zwei Zimmer, es war klein, doch ich war mir sicher, dass es bei weitem sehr viel größer war, als die Zimmer für die Schüler. Eine Stunde könnte ich noch schlafen, mit diesem Gedanken döste ich langsam aber sicher ein. In meinem Kopf geisterte die Stimme von Direktorin Mayer umher und versuchte eine Verbindung herzustellen. Ich wusste ganz genau, dass ich sie kannte, nur fehlte mir der Bezug woher. Erst durch das Vibrieren von meinem Handy auf dem Tisch schreckte ich hoch. Ich würde wieder zu spät kommen. Ganz wunderbar. Schnell zog ich mir ein frisches Shirt über und lief zurück zum Hauptgebäude. Es war bereits kurz nach 17 Uhr als ich vor der Tür mit dem kleinen goldenen Schild stand. „Dr. P. Fleming - Vertrauenslehrer und Psychologe." Mein Klopfen wurde mit einem kurzen und bestimmten Bitten erwidert. Er schaute kurz hoch und nickte, als ich eintrat. Unbeirrt ging ich hinein und setzte mich nicht, wie sonst üblich an den Schreibtisch, sondern ließ mich seufzend auf einer der Sessel neben dem Bücherregal an der Wand fallen.
„Amaryllis Samuels. Es freut mich sehr," fing er an, doch ich funkelte ihn nur zornig an.
„Lassen wir den Mist. Warum wusste ich nichts davon das Becker nicht mehr hier ist?"
Er rümpfte die Nase. „Macht das den einen Unterschied?"
„Pff, natürlich!" Wütend sprang ich auf und ging auf ihn zu.
„Und welchen?" Fragte er ruhig.
„Den Unterschied, dass Direktorin Mayer es sich jetzt anscheinend zu Aufgabe gemacht hat, herauszufinden warum ich hier bin und warum meine Akte, ich Zitiere: So leer ist!"
Er legte seinen Stift nieder und ging auf mich zu. „Hast du es ihr den gesagt?"
„Natürlich nicht!"
nachdenklich schaute er mich an, seine eisblauen Augen fast zusammengekniffen. „Verstehe." Er öffnete seine Augen wieder und kam den letzten Meter zu mir. Mit einem „Oh Mann." Zog er mich in seine Arme und drückte fest zu. „Das passt zu ihr." Nuschelte er zwischen meinen Haaren hervor.
„Phil, das ist nicht lustig. Wieso hast du es mir nicht gesagt?" Ich löste mich aus der Umarmung und schaut zu ihm hoch. Schuldbewusst fuhr er sich durch das perfekt frisierte Haar. „Onkel bat mich es nicht zu tun. Er wusste, dass du sonst nicht kommen würdest."
„Zu Recht!" Und wieder konnte ich ihm nicht böse sein, den er schaute mich mit seiner gütigen, wissenden Art an, die so sehr seinem Onkel glich. „Und jetzt bin ich hier."
„Jetzt bist du hier." Erwiderte er lächelnd und nahm mich noch einmal in den Arm. „Mach dir keinen Kopf, Linnea droht zwar immer, aber gefährlich ist sie nicht."
„Wer?"
„Linnea, Direktorin Mayer."
„Ah so." Linnea also, passt gar nicht zu ihr.
„Wie war dein Flug?" Fragte Phil mich, nachdem wir beide auf den zwei Sesseln platz genommen hatten.
„Ah hör bloß auf. Ihr Deutschen habt es wirklich mit euren Vorschriften, ich durfte meine Waffe nicht einführen. Das war ein Theater, erst als der Vorgesetzte von dieser Bitch kam ließ sie mich einreisen. Ah bevor ich es vergesse, wo kann ich sie einlagern? Gilt das mit dem Safe noch?"
Phil nickte. „Klar, Onkel hat bereits ein Konto bei der Bank für dich errichtet."
„Warum ist er nicht hier? Geht es Susan wieder schlechter?"
„Der Krebs ist wieder da, aber es sieht gut aus. Man hat es Frühzeitig festgestellt."
auch ich nickte. „Verstehe." Es war ein schwieriges Thema. Er, Phils Vater und meine Mutter. Die drei waren in ihrer Jugend hier zusammen zur Schule gegangen. Ihre Freundschaft hat ein Lebenslang angehalten, selbst über den Tod meiner Mutter hinaus. Die zwei waren "meine Onkel" aus Deutschland, die ich regelmäßig als Kind besucht hatte. Mit deren Kindern, besonders mit Phil, ich einen Teil meiner Kindheit verbracht habe. Auch wenn ich knapp zehn Jahre jünger war als er, war er für mich immer wie ein großer Bruder gewesen.
„Wer ist Mayer? Ist sie verwandt mit dem Gründer?"
Phil hob erstaunt den Kopf. „Sicher, sie ist die Ururenkelin oder so. Ihr Großvater hat den Laden hier geschmissen, bevor Leonard die Leitung übernahm. Na ja, sie ist schon einige Zeit als Lehrerin tätig und da das alles so plötzlich ging, hat der Vorstand ihr den Posten angeboten. Das war kurz vor den Sommerferien."
„Sie ist ein Biest." Sagte ich. Phil lachte und nickte.
„Wie gesagt, sie ist tatsächlich sehr eigen." Er schaute auf seine Uhr und stand auf. „Komm, es ist Zeit fürs Abendessen." Er hielt mir seine Hand hin, an der ich mich hochzog und mit ihm zusammen sein Büro verließ. „Übrigens ist es üblich, dass die Lehrkräfte mit den Schülern an einem Tisch sitzen. Also magst du heute mein Dinnerdate sein?" Fragte er grinsend und hielt mir die Tür zur Cafeteria auf.

Immer in liebe, A.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt