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Zwar hatte Linnea gesagt, ich solle mir für Silvester nichts vornehmen, jedoch hatte sie mit keinem Wort erwähnt wieso. Es machte mich nervös, dass sie es nicht mehr ansprach an den Tagen bis zum 31.12. Bei jeder Gelegenheit schien sie über alles, wirklich alles zusprechen, es war fast so, als übte sie sich in nichtigen Smalltalk. Und obwohl sie mich nicht mehr mied, war es komisch ihr beim Essen gegenüberzusitzen. Immer wieder ertappe ich mich selbst dabei, wie ich sie musterte. Ihr Gesicht war immer noch dasselbe, ihre Mimik, ihre Gestik und doch, wenn ich das Gefühl hatte, keiner beachtete uns, zuckte etwas in ihren Augen, an ihren Mundwinkeln, als wüsste sie bereits mehr als ich. Aus ihrem spöttischen Blick wurde ein amüsierter und selbst ihre Stimmlage schien sich zu verändern. Ich tat es als Einbildung ab, ein Gebilde, dass ich mir selbst zusammen fantasiert hatte und jetzt aufpassen musste, mich nicht in diesem zu verlaufen. Mich in etwas zu verrennen, mich in ihr zu verlieren.

Ella hatte zu diesem Thema ihre ganz eigene Meinung und sie bemühte sich nicht einmal, sie zu verstecken. Nein, sie redete auf mich ein, ständig. Zwar wusste ich, dass sie recht hatte, doch ich wusste noch nicht einmal, was es war, was sie so aufregte.
„Sie ist doch nicht einfach so ‚nett'. Kein Lehrer lädt seinen Schüler zu einer Silvesterfeier ein und schon gar nicht kommt er spät Abends zum Filme schauen. Was weiß ich, was ihr noch getrieben habt."
Ungläubig starte ich ihr erzürntes Gesicht an, das mir auf einmal so fremd geworden war.
„Dass du auf ältere Frauen stehst, ist ok, vollkommen ok, auch der Autoritätspersonentick. Aber girl, such dir doch mal eine, die an einer anderen Schule ist. Bei dir gibts auch eine Uni in der Nähe, habe ich gegoogelt, schau dich da doch um." Fuhr sie fort und schien zu meinem Erstaunen, wirklich anzunehmen, dass sie mir einen guten Ratschlag gab.
„Obwohl sie schon ziemlich heiß aussieht, hat, was dieses strenge, nicht so meins, aber heiß."
„Hör einfach auf Ella! Was redest du den da?"
Ihr Augen flatterten als sie weitersprach, schnell und auf Spanisch, so wie sie es immer tat, wenn sie wütend wurde, sehr wütend. „Du brauchst weder mich noch dich selbst anzulügen, du stehst auf sie, und wie du das tust. Und anscheinend stehst du darauf dich selbst in Situationen hineinzumanövrieren, die mehr als beschissen sind. Vielleicht spielt sie ja mit und dann? Was willst du dann machen, Amaryllis? Dich wieder anschießen lassen und fast sterben, nur um sie zu beschützen? Willst du die Schule abbrechen? Jesus, dass du so unvernünftig bist! Ich kenne dich so nicht, du warst doch immer so," Sie hielt inne, als wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie zu weit ging.
„Sprich es aus, was war ich?"
Ihr Zähnen bohrten sich hart in ihre Unterlippe, die sie wie ein trotziges Kind eingezogen hatte.
„Sag schon!" Forderte ich sie weiter auf. Jetzt war es eh zu spät.
„Du warst immer vernünftig, so verdammt diszipliniert. Alles an dir war perfekt organisiert, du warst es, du hattest Ziele. Doch seit der Sache, da bist du nicht mehr du selbst. Ich weiß doch auch nicht, aber du entrinnst mir immer mehr. Seit der Sache erkenne ich dich kaum noch wieder." Sprudelte es aus ihr heraus.
Mein Atem rasselte während ich versuchte die Worte in mir aufzunehmen. „Vielleicht bin ich das, wohl möglich hab ich mich verändert. Ich wurde angeschossen, Ella und bin fast daran verreckt, das verändert einen."
„Um so erstaunlicher finde ich, dass du denselben Fehler noch einmal begehen willst."
Wir schauten uns an, die Härte wich aus ihrem Gesicht, das jetzt einfach nur Sorge zeigte. Sorge um mich.
„Tja Ella, vielleicht bin ich einfach nur dumm."
Ella schüttelte ihren Kopf, fast schon mitleidig. „Nein, du verliebst dich einfach immer in die falschen."
„Ich bin nicht verliebt."
„Noch nicht vielleicht. Aber ich kenne dich, besser als du dich selbst Rilley."

Ich hatte seitdem kein Wort mehr mit Ella gewechselt. Wahrscheinlich war ich zu stolz, zu verletzt, um ihre Nachrichten zu beantworten. Ella war meine beste Freundin und wusste zu genau, wie sie mich dazu bringen konnte, damit ich über mich selbst nachdachte. Sie war wie ein Spiegel, vor dem ich mich nicht verstecken konnte. Und doch versuchte ich, ihm ein Tuch über zulegen. Sie hatte etwas in mir ausgelöst, von dem ich versuchte hatte, die Augen zu verschließen. Zwar wusste ich nicht, weshalb Linnea so war, wie sie nun mal war. Im Grunde wusste ich es selbst von mir nicht, jedoch wusste ich, dass es nichts Gutes bedeuten würde, könnte.
Am Silvestertag, Mittags, tauchte sie dann wieder vor meiner Tür auf, eingehüllt in Ihren Mantel, um Ihre Schultern eine Reisetasche gelegt. Ihr Gesicht verriet mir nicht viel, doch waren ihre Augen noch dunkler als je zuvor. Obgleich sie nichts Bedrohliches auszustrahlen schienen.
„Hast du eine Reisetasche?"
Sie ignorierte meinen fragenden Blick und lächelte mich einfach nur an. Ruhig, fast schon zugelassen zuckten ihre Mundwinkel als ich sie musterte. „Warum?"
„Ich fahre weg, jetzt. Bis Übermorgen. Meine Familie hat ein Ferienhaus an der Küste. Nun, da ich noch immer die Aufsichtspflicht habe, würde ich es begrüßen, wenn du mitkommen würdest."
So war das also- Ich glaubte ihr nicht. „Willst du jetzt einen Ausflug mit den ganzen Kindern machen und ich soll dich auf diesen Höllentrip begleiten? Ich passe."
„Und wenn wir nur zu zweit wären?" Fragte sie und spielte mit dem Gurt ihrer Tasche.
Unwillkürlich musste ich ein Grinsen unterdrücken. „Rein theoretisch oder faktisch?"
„Faktisch." Linnea spielte mit. Dieses Spiel, das wir zwischen uns aufgebaut hatten, nicht wissend, was eigentlich der Einsatz und was der Gewinn war.
„Dann würde ich es mir überlegen."
Sie machte einen Schritt in meine Richtung und ihr Hand, die noch eben um ihren Gurt gelegt war, legte sich auf meine Schulter. „Ich würde mich freuen, Amaryllis." Die Art, wie mein Name ihre Lippen verließ, ließ mich unweigerlich schwach werden.
„Ist das so?"
Sie nickte nur und wieder war da dieses wissende Lächeln. „Es wird kalt. Ich warte im Auto auf dich. Beeil dich und lass mich nicht warten, Yankee."
Und wie sie es schon so oft getan hatte, ließ sie mich einfach stehen, ohne sich erneut zu mir umzudrehen, während ich glaubte, mein Herz würde so laut schlagen, dass sie es noch bis zum Auto hören würde.

Immer in liebe, A.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt