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Es war ein gleichmäßiger Rhythmus, mit dem die Spitze des Stiftes auf das Papier traf, ausgelöst durch das hin und her wippen zwischen ihren Fingern. Unaufhörlich knallte die Miene auf das Papier, das schon deutliche Spuren von blauer Tinte aufweist. Lediglich das schnelle tippen ihrer Finger auf der Tastatur ihres Laptops, unterbrach das monotone hin und her schaukeln des Stiftes. Ein Tick, nicht mehr als das, eine nervige Angewohnheit, die ich nur zu gut von ihr kannte. Nie hatte sie den Stift genutzt, um sich Notizen zu machen, er diente ihr nur zum Wippen.
„Grey, lass das doch mal. Man das nervt." Hatte ich an einem kalten Nachmittagvor gut zwei Jahren zu ihr gesagt, als wir in ihrem Büro zusammen saßen. Damals, als alles vermeintlich „gut" war.
Mit zusammen gekniffenen Augen hatte sie mich angelächelt, und den Stift langsam zwischen ihren Fingern hin und her gleiten lassen. „Macht es dich nervös?" Die Miene stach mittlerweile auf meine ausgestreckten flachen Hand, sie hatte angefangen kleine Linien zu ziehen. „Mach ich dich nervös?"
Sie hatte mich nervös gemacht, sie tat es noch immer. Aber heute war es ein anderer Grund. Phil beugte sich leicht zu mir herüber und legte seine Hand auf mein Knie, das im selben Takt wippte wie Greysons Stift. Wir saßen in seinem Büro, das mit einem Schlag, seine einladende Wärme verloren hatte. Sein Schreibtisch bildete eine unsichtbare Grenze, eine, die uns von ihr trennte. Wie ein Zaun einen Wolf vor einem Schaf. War sie das? Ein Wolf? Zumindest machte sie den Eindruck auf mich. Ich kannte sie so, streng, konzentriert und undurchdringlich. Es war also nichts Neues für mich, dennoch, die Wut, die ich empfand, war es. Es glich einem Theaterstück, das wir hier alle aufführten und nur Rob, der einen in der Mitte des Tisches stehendes Laptop zugeschaltet war, schien das Drehbuch nicht erhalten zu haben. Für ihn war es eine normale Anhörung unter besonderen Umständen, mehr nicht. Selbst Phil hatte ich mit einer kurzen Nachricht gestern Abend informiert, wer morgen das Verhör führen würde. Und er hatte getobt, mehr als ich es getan hatte.
„Nun, dann halte ich fest, dass sie ihre Aussage nicht ändern wollen, Miss Samuels?" Greysons Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Sie lächelt, kaum merkbar, als wolle sie mir auf eine perfide Art Mut machen, oder mich verspotten.
„Das haben wir ja jetzt schon einige Male gesagt, Lieutenant Colonel Forrest." Robs Stimme hindert mich daran erneut zu nicken. Ich war dankbar, dass er das Reden übernahm. Nur hier und da stimmte ich zu. Greyson hat ihre Fragen mit bedacht gewählt, keine einzige brachte sie in Bedrängnis.
„Dann können wir die Anhörung für heute beenden, es sei den, Sie möchten etwas ergänzen?" Fragt sie. Fast hätte ich ihr es auch geglaubt, ihrem Lächeln, ihrer aufgesetzten Freundlichkeit.
Was sollte ich den noch ergänzen wollen nach drei Stunden, in denen wir unser Stück gespielt hatten? Knapp 180 Minuten, die gefüllt waren mit Lügen und Halbwahrheiten, die förmlich überquollen mit Worten, die all das, was passiert war, nicht im geringsten wiedergaben. Und ich hatte nur genickt, hatte mich abgekapselt, wurde zum Zuschauer in meiner eigenen Geschichte. Ich hatte geschafft, die Bilder auszublenden, die Geräusche, lediglich den Moment als die Kugel sich durch meine Körper gebohrt hatte, konnte ich nicht entkommen. Sein Gesicht, verzerrt zu einer Fratze, tanzte immer vor meinen Augen, wenn ich sie schloss.
Greyson schaute mich ruhig an und wollte ihren Laptop zuklappen.
„Es war kein Unfall."
Klack. Der Stift fiel aus ihrer Hand heraus. Ihre Augen starrten mich an, ungläubig, fast schon leicht panisch.
„Was?" Presste sie hervor und schien ihre Rolle zu vergessen.
Phils Finger, bohrten sich in meinen Oberschenkel und Rob zog scharf die Luft ein.
Ich wich unser Drehbuch, ohne es selbst zu merken, fing ich an zu improvisieren. Etwas trieb mich dazu. Ihre klaren blauen Augen trieben mich dazu. Sie legten einen Schalter um, urplötzlich konnte ich es nicht mehr ausblenden. Sie katapultierte mich zurück. Zurück vor unser Lager, unser Zelt.

Staubige Luft umschloss mich an diesem Tag, als mein Blut in den sandigen Boden sickerte. Luft, die man schmecken konnte. Heiß, erstickend, sie klebte mir den Mund zu. Schreie, wütende Stimmen. Schnelle Hände, die mir meine Jacke herunterrissen. Und meine eigene Stimme, kehlig, wortlos, da ich nicht sprechen konnte. Ledilich das girgelnde Geräusch, unaufhörlich wie ein Ruf um Hilfe. Und immer wieder sein Lachen, das Sams Mund verlassen hatte, als er auf mich geschossen hatte. Zuckend hatte ich am Boden gelegen. Man hatte mich fixiert, da mein Körper sich dagegen streubte wie ein wilder Tier. Er kämpfte gegen die Kugel in mir an.
„Ruhig Samuels, atme." Hatte mir Andrew zugereder, der meinen Kopf mit blutigen Fingern gehalten hatte, als ich auf eine Trage geschoben wurde. „Ruhig."
Aus dem Augenwinkel sah ich Sam stehen, der teilnahmslos zu uns schaute bis zu dem Zeitpunkt, als er von zwei weiteren Soldaten eingerahmt wurde. Seine Fratze wurde zu einem panischen Gesicht. „Es war ein Unfall." Schrie er, „Ich weiß nicht wie sich der Schuss lösen konnte." Er schrie und weinte, während ich versuchte den Kopf zu schütteln. Doch die Kraft verließ mich damals schnell. Es war kein Unfall. Er hatte mich töten wollen. „Du wirst dafür zahlen, dass du sie angerührt hast du verdammte Schlampe." Waren seine Worte, mit denen er mich im Lager willkommen geheißen hatte wenige Tage zuvor.
Allerdings es gab keine Zeugen, keine Kameras, sein Wort hatte gegen meins gestanden. Und ich hatte gelogen. Trotz allem hatte ich sie beschützen wollen. Wie dumm ich gewesen war.

Immer in liebe, A.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt