Mit einem leisen schmatzenden Geräusch löste sich der blaue Becher vom Tisch und hinterließ einen dunklen roten Rand auf dem alten, abgenutzten Holz, das schon an vielen Ecken Dellen aufwies mit tiefe Kerben die ihre eigene Geschichte erzählen könnten. Noch immer dampfte der süße, fast schon zu süße, Wein und schwappte warm in meinem Mund. Er schmeckte mir, wer hätte das gedacht? Nun gut, eigentlich schmeckte er mir erst nach dem zweiten Becher, was wahrscheinlich am Alkohol lag, der sich in meinem Körper langsam bemerkbar machte. Phil lächelte wissend, während er an seinem Kinderpunsch nippte und mir immer wieder einen verstohlenen Blick zuwarf.
„Und wie findest du es?" Er schob mir eine Tüte mit Plätzchen zu und ich tauchte eins davon in den Glühwein.
„Es ist süß, also der Weihnachtsmarkt und der Glühwein." Wieder ließ ich meinen Blick zu den reichlich geschmückten Häuschen gleiten, vor dem wir seit gut 20 Minuten standen.
„Und?" Er bohrte weiter nach und ich verstand schon beim ersten Mal, worauf er hinaus wollte.
Resigniert nickte ich. „Du hattest recht."
Zufrieden zog er seinen Mund zu einem großen Grinsen. „Hast du daran gezweifelt?"
Ich nickte leicht und er schüttelte seinen Kopf und ließ seine Haare um sein Gesicht tanzen. „Und wenn Mayer es dir vorgeschlagen hätte?"
Ich verschluckte mich fast an meinem Plätzchen. „Warum sollte sie das?"
„Wer weiß, du hast mir doch sicher nicht alles erzählt, was gestern passiert ist, hm?"
Energisch stellte ich den Becher wieder auf den Tisch. „Doch das habe ich. Wir haben uns ganz gut unterhalten und ich gebe dir recht, sie ist nicht so schlimm. Also was willst du noch?" Fragte ich etwas zu spitz und auch Phil schien es zu merken. Seine Augen bohrten sich schon fast in mich hinein und ließen mich nervös auf dem mit Moos ausgelegten Boden auf und ab wippen.
„Nichts, gar nichts." Phil hob beschwichtigend seine Hände. „Es ist nicht typisch für dich gleich so emotional zu werden."
Da hatte er recht. Zwar tat ich mein bestes es zu kaschieren, doch es fiel mir schwer, ohne jegliche Emotion über Linnea zu sprechen. Schon auf der Fahrt hier hin, hatte Phil mich mit Fragen regelrecht gelöchert und es schien mir, dass er am liebsten eine chronologische Erzählung mit möglichst vielen Details haben wollte. Jedes noch so kleine Wort legte er auf die Gold Waage und hinterfragte alles, wirklich alles. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich mit seinem Psychologen Blick musterte und in Gedanken Notizen machte. Jene, die lir wahrscheinlich mehr über mich sagen würden, als ich überhaupt wissen wollte. Je weniger ich sprach, desto mehr hinterfragte er und gab sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein nicht zufrieden. Erst als wir uns hier an den Tisch gestellt hatten und er mir einen dampfenden Becher mit Glühwein vor die Nase gestellt hatte, hörte er auf damit. Fast so als wollte er mich wirklich mit Alkohol zum sprechen bringen.
„Was wollte sie den heute?"
Seufzend führte ich den Becher wieder zu meinem Mund und verbarg mein Gesicht dahinter. „Fragen ob Greyson noch länger bleibt."
„Tut sie das den?"
Kopfschüttelnd biss ich mir in die Wange und hoffte, dass er nicht weiter fragen würde.
„Unfassbar. Ich verstehe nicht, wie du so ruhig bleiben kannst, obwohl sie so eine Show abgezogen hat! Aber du warst auch nicht schlecht. Wie ihr die Farbe aus dem Gesicht gewichen ist, als du sagtest es war kein Unfall. Die zwei haben sich übrigens mit ihren Blicken fast getötet."
„Wer?"
Phil schien es in die Länge schieben zu wollen, bis er sprach. „Mayer und Colonel Forrest."
Was auch immer mich da geritten hatte, es würde wohl nicht einfach so unbemerkt verschwinden.
„Willst du zu ihr?" Fragte er mich weiter, seine Stimme nicht mehr als ein Flüstern.
Unsicher schaute ich ihn an. „Zu wem? Direktorin Mayer? Bullshit."
Sein Kopf flog energisch hin und her. „Nein Amaryllis, vielleicht sollten wir anfangen, mit offenen Karten zu spielen. Ich meine Greyson, der Zettel in deinem Zimmer, der war doch von ihr, oder? Wirst du mit ihr gehen?"
Seine Direktheit überrumpelte mich und machte mich sprachlos. Die Worte, die ich am liebsten rausschreien wollte, verließen meinen Mund nicht. So gern wollte ich ihm sagen, dass es absurd war, dass ich niemals auf ihr Angebot eingehen würden, dass sie mir nichts mehr bedeutete. Hatte ich es mir doch selbst so lange eingeredet, dass ich es fast schon geglaubt hätte. Wie in einer parallelen Welt hatte ich mir meine eigenen Lügen zur Wahrheit gemacht. Doch die wahre Wahrheit, die die so sehr schmerzte wie der Gedanke daran, war, dass ich sie nicht aus meinem Leben verbannt hatte. Nicht aus ihm und nicht aus meinem Herzen.
„Du hängst an ihr." Stellte er fest und nahm einen großen Schluck aus meinem Becher.
Leise nickte ich und mied es ihn direkt anzusehen. Ich schämte mich für meine Schwäche.
Wissend griff er nach meiner Hand und umschloss sie mit seiner, die in dunkle Lederhandschuhe gehüllt war und warm und weich auf meine kalte Haut trafen.
„Es ist normal, du hast dir nie die Zeit gegeben es wirklich zu verarbeiten. Ich meine nicht nur die Sache. Jeder Mensch geht mit Verlust anders um, es gibt nicht den einen Weg. Und selbst wenn dich ein anderer Mensch so sehr verletzt hat, dass du ihn aus deinem Leben radieren willst, du kannst es in der Regel nicht. Wir neigen dazu zu denken, dass Verdrängung leichter wäre als Verarbeitung, doch das ist nicht immer der Fall. Es ist ein Prozess, des Lösens und Abschließens. Fast wie ein Sektenausstieg, der passiert ja auch nicht von heute auf morgen, es braucht Zeit um sich freizumachen und klar zu sehen."
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Immer in liebe, A.
Romance"Hey Yankee, bekomme ich noch eine Antwort?" "Nein." Sie starrten sich an, voller Wut, die Verachtung spiegelte sich in ihren Augen. Keiner der beiden würde Nachgeben, so war es vom ersten Moment an. Amaryllis und Linnea. Zwei die nicht unterschied...