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Es war dieselbe Nacht, auch wenn es sich wie Tage anfühlte, die gerade vergangen waren. Es war dieselbe gottverdammte Nacht, in der Svenja betrunken in Zimmer gestolpert kam und bis früh in die Morgenstunden über der Toilette hing. Dieselbe elendige Nacht, in der ich an nichts anders denken konnte, als an die Worte von Direktorin Mayer.
Sie machte mir Vorwürfe? Machte sich über mich lustig und verspottete mich? Sie, die so gar nicht verstand, worum es überhaupt ging. Die, die falsche Schlüsse aus Ereignissen zog, die niemals passiert waren. Sie, die Fakten und Tatsachen schuf, die es nicht gab! Es war dieselbe Nacht, in der ich mir aus tiefsten Herzen wünschte, dass ich niemals auch nur einen Fuß in dieses Flugzeug nach Deutschland gesetzt hätte.
Einen Moment glaubte ich, ich hätte das alles nur geträumt. Dass all die Geschehnisse nur ein Gebilde meiner Fantasie waren. Doch Svenjas Anblick und dieses bohrende, ungute Gefühl, holten mich schneller in die Realität zurück, als mir lieb war.
„Mir ist so schlecht." Svenja stöhnte und zog sich zum Fenster hoch um es zu öffnen. „Ich trinke nie, nie nie wieder was."
„Ah ja?" Ungläubig schaute ich zu Nele, die nicht sonderlich besser aussah, aber immerhin in der Lage war problemlos im Zimmer hin und herzulaufen.
„Wir kommen zu spät." Rief sie aufgeregt und fing an ihre Sachen im Zimmer zusammenzuräumen.
„Du glaubst doch nicht, das ich auch nur einen Fuß heute raus setzte, oder?" Svenja hielt sich die Schläfen und vergrub ihren Kopf im Kissen. „Kann mich einer von euch bitte krankmelden?"
„Und was willst du sagen, was du hast?" Nele sprang zu ihr aufs Bett und schaute sie fragend an.
„Was weiß ich, eine Lebensmittelvergiftung. Amaryllis? Bitte!" Svenja setzte ihren flehenden Blick, den ich mittlerweile nur zu gut kannte.
„Sorry, aber ich geh nicht zur Mayer."
Verständnisvoll nickte Svenja und Nele warf ein, dass ich ja auch zu Phil gehen konnte. Ich ließ mich breitschlagen. Zu ihm zu gehen machte mir nichts aus.
Seine Zimmernummer hatten wir alle bekommen, falls es einen Notfall geben sollte. So stand ich um acht Uhr morgens vor seiner Tür und hämmerte regelrecht dagegen, nachdem er nach mehrfachen Klopfen nicht aufgemacht hatte.
„Freunde, was soll das den?" Er streckte verwirrt seinen Kopf aus einem kleinen Spalt der nun geöffneten Tür. Nasse Strähnen seiner Haare hingen in seinem Gesicht, sein Oberkörper war ebenfalls von einem nassen Film benetzt. Lediglich eine Hose hatte er sich schnell übergezogen. „Ah du bist es." Er trat zur Seite und griff nach einem Handtuch, das neben ihm auf dem Boden lag. „Was gibt es?"
Ich trat zu ihm ins Zimmer. „Ich soll Svenja für heute krankmelden. Eine Lebensmittelvergiftung." Mit meinen Zeigefingern malte ich imaginäre Anführungszeichen in die Luft. Zum ersten Mal schaute ich mich in seinem Zimmer um. Es war genauso groß wie das unsere, nur das in der Mitte zwei Betten standen. Auf dem einen lag ein geöffneter Koffer und hundert verschiedene andere Sachen. Mit einem lauten Seufzen landete ich auf dem freien Bett und schaute grimmig zu Decke.
Während er sich die Haareversuchte trocken zureiben, starte ich die Decke weiter an, als würde sie mich einsaugen könne. Wenn es doch bloß so einfach wäre.
„Was ist los Rils?" Besorgnis. Warum sorgte er sich immer so um mich?
Ich drehte mich zur Seite und schaute ihn direkt an. „Ich geh zurück."
„Zum Mayergut? Wir sind doch nur noch heute da?"
Mit meiner Faust schlug ich frustriert gegen die Matratze. „Nein, USA. Texas oder was weiß ich wo hin. Ich pack das hier nicht mehr."
„Auf keinen Fall!" Energisch schob er meine Beine zur Seite und setzte sich neben mich. „Was ist gestern passiert? War jemand aufdringlich. Ist bei eurer Party etwas vorgefallen?" Er beugte sich über mich und studierte mein Gesicht, als versuchte er jede noch so kleine Regung einzufangen.
„Nein, so war das nicht. Außerdem denkst du nicht, dass ich mich gewährt hätte, wenn es so gewesen wäre?" Ich schob sein Gesicht zur Seite.
„Was ist es dann?" In seiner Stimme lag noch immer dieselbe Besorgnis.
Seine Augen fixierend zuckte ich mit den Schultern und blies die angehaltene Luft laut aus meinen Wangen. „Mayer."
„Und was genau?"
„Sie ist einfach uggh," wieder schlug meine Faust gegen die Matratze. „Sie ist sie, reicht dir das nicht als Grund?"
„Nein, eigentlich nicht. Komm schon. Was ist passiert?" Aufmunternd fuhr er mir kurz über den Arm und wartete bis ich weiter sprach.
„Ah ich weiß auch nicht, aber die Frau hasst mich einfach. Zuerst dachte ich, es ist, weil sie sich übergangen fühlt, du weißt schon wegen der ganzen Sache mit der Armee und allem. Jetzt denke ich aber, dass sie mich hasst. Mich als Person."
Phil schaute mich verwundert an. „Wie kommst du darauf?"
Widerwillig sprach ich weiter. „Mayer kam gestern auch noch ins Kino. Eigentlich war sie zu Beginn sogar ganz locker, doch dann fing sie an Andeutungen zu machen, dass ich mit der Börsenfrau geflirtet habe,"
„Und hast du?" Unterbrach mich Phil.
„Nein, natürlich nicht!" Ich hielt inne und funkelte ihn böse an. „Und dann spielte sie noch irgendetwas an, bezüglich meines Fotos im Chat und das meine Freundin sicher nicht begeistert wäre von meinem Handeln. Und weißt du was das Beste ist?" Ich hatte nicht gemerkt wie meine Stimme immer lauter geworden war, erst jetzt fiel mir mein eigenes Schreien auf. „Sie wollte mir die Nummer der Frau geben, weil ich enttäuscht aussah, als sie gesagt hat, wir werden dort heute nicht mehr hingehen. Was erlaubt sie sich? Jesus,"
Phil zog mich lachend hoch, sodass ich ihm gegenüber saß. „Und deswegen denkst du, sie hasst dich?"
„Hmm."
„Welches Foto den eigentlich?"
Ohne einen Kommentar entsperrte ich mein Handy und hielt es ihm hin.
„Oh, ich dachte nicht,"
„Ja ja, hab ich auch eigentlich nicht. Ich hab vergessen es zu sperren. Ist doch auch total egal. Jedenfalls habe ich keine Lust mehr auf diesen shit."
Phil lachte noch immer und schien einfach den Ernst meiner Worte nicht zu verstehen. Ich fühlte mich nicht wie erhofft besser, sondern um einiges schlechter. Nur mit Mühe konnte ich dem Drang widerstehen Phil anzuschnauzen.
„Amaryllis, ich glaube wirklich nicht, dass es daran liegt, dass sie dich hasst. Wenn mich nicht alles täuscht, dann hat es einen anderen Grund."
„Ah ja du Genie und welcher sollte das sein?" Genervt entzog ich Phil wieder meine Arme und ließ mich erneut auf sein Bett fallen. Mir war zum Weinen zu mute. Diese Hilflosigkeit machte mich Wahnsinnig. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann ärgerte es mich an allermeisten, das mir ihre Art überhaupt etwas ausmachte. Sollte mir das alles nicht einfach komplett egal sein? Warum interessierte es mich, ob sie mich mochte? Moment, es interessierte mich nicht nur. Ich war verletzt. Ihre Worte hatten mich tatsächlich verletzt.
„Also wenn du es genau wissen willst, dann,"

Immer in liebe, A.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt