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Wenn man die Umstände ausblendete, die zu dieser Situation geführt hatten, dann könnte man es eigentlich als ganz Angenehm betrachten. Vielleicht sogar mehr als das. Fast hätte ich es getan. Nicht viel hatte gefehlt und ich hätte ihren Körper, nicht als den störenden Blast betrachtet, der mir die Luft zum Atmen raubte. Es lag ganz sicher daran das sie auf meinen Brustkorb drückte und meine ohnehin schon schmerzende Schultern, gerade zu explodieren schienen. Ganz sicher lag es nur daran und nicht an der Tatsache, das ihre Arme um meinen Körper geschlungen waren und ich sie zu allem Überfluss auch noch an mich drückte, als hätte ich Angst das sie sonst weglaufen würde. Mit Mühe fand ich meine Stimme wieder.
„Hmm." Der pochende Schmerz wurde zu einem kurzenHämmern, das bis zu meinem Kopf reichte. „Hey, geht es Ihnen gut?"
Sie sagte nichts. Kein Muskel an ihrer Körper rührte sich. Vorsichtig versuchte ich sie von mir zu schieben, doch sie hielt ihren festen Griff um meine Taille bei.
„Geht es Ihnen gut?" Ohne sie mit der linken Hand loszulassen, schob ich mit der rechten ihre Haare weg, um ihr Gesicht besser sehen zu können. „Hey."
Sie riss ihre Augen auf, plötzlich und voller Panik.
„Ruhig, bewegen Sie sich nicht zu schnell." Befahl ich ihr und sie befolgte meine Anweisung. Vielleicht verstand sie auch einfach nicht, den noch immer schaute sie einfach nur panisch zu mir runter.
Um uns herum wurde es laut, Stimmen und Worte überschlugen sich. Aufgeregt und hektisch wurde sie urplötzlich von mir heruntergerissen. Augenblicklich schoss der Schmerz durch meinen Körper, da auch meine Arme in die Höhe befördert wurden.
„Fuck, was soll den das?" Ich schrie. Ich schrie die Person die ich nicht sehen konnte an. „Gosh Jesus, fuck!"
Der Mann der Direktorin Mayer von mir heruntergezerrt hatte, schaute mich verwundert an. „Hören Sie Mal, ich will Ihnen doch nur helfen."
Schwer atmend blieb ich am Boden und beobachtete Direktor Mayer, die von dem Mann gestützt wurde. Erst langsam schien sie zu verstehen, was gerade geschehen ist. Ihre Hand schoss zu ihrer Stirn. Kritisch betrachtete sie ihre Finger, an denen ich jedoch kein Blut erkennen konnte. Sie riss sich von dem Mann los und kniete sich neben meinem Kopf.
„Geht es Ihnen gut?" Ihre Stimme klang aufgeregt und besorgt. Mit kalten Fingern taste sie mein Gesicht ab. Heiß. Mir wurde heiß und ich betete das ich zumindest nicht rot wurde.
„Das gleiche habe ich Sie auch schon gefragt." Nuschelte ich und warf dem Mann einen wütenden Blick zu.
„Ich denke schon. Können Sie sitzen Amaryllis?"
Ich nickte und nahm ihre Hände als Stütze, die sie mir anbot und zog mich an ihr hoch.
„Fuck." Es war so leise das nur sie es hörte. Ihre Brust senkte sich zu schnell, sie hatte Panik. „Hey, alles gut, das wird schon. Wie geht es Ihrem Kopf?"
Verwirrt schaute sie zu mir und schüttelte ihn, als wollte sie mir beweisen, das alles gut war. „Alles in Ordnung."
Der Mann, ich schätze ihn auf Anfang 40, beobachte uns. „Soll ich einen Notarzt rufen?"
Direktorin Mayer schaute mich fragend an.
„Nein." Presste ich hervor.
„Sicher?" Fragten die zwei gleichzeitig.

Mittlerweile stand eine Traube an Menschen um uns herum und beobachtete uns. Einige riefen wild durcheinander, die anderen streckten neugierig ihre Köpfe, um alles genau sehen zu können. In der hinteren Reihe entdeckte ich zwei Mädchen die ihre Handys gezückt hatten und diese auf Direktorin Mayer und mich gerichtet hatten.
„Hey ihr da, packt das Handy weg." Rief ich ihnen laut zu. Beide waren so gebannt, dass sie nichts mitzukriegen schienen. „God Jesus." Ich entzog meine Arme dem Griff von Direktorin Mayer und raffte mich auf.
„Hört ihr mich nicht? Packt eure Handys weg!" Ohne die anderen Menschen in der Gruppe zu beachten, ging ich auf die zwei zu. Nur eine senkte ihr Handy, die andere richtete es provokant auf mich.
„Würdest du dein Handy endlich wegpacken?"
Sie zog ihre Augenbrauen hoch. „Warum sollte ich?"
Ungläubig starte ich sie an. „Jesus. Weil du erstens kein recht hast mich zu filmen und zweitens, was denkst du dir dabei? Unfälle filmt man nicht."
Ihre Freundin griff zu ihrem Handy und senkte auch diese. „Was soll den das?" Aufgebracht schlug sie die Hand ihrer Freundin weg.
„Lass, sie hat ja recht."
„Hat sie nicht! Mein Gott, stell dich nicht so an. Ist ja schließlich keiner gestorben."
Ihre gehässige Stimme brachte das Fass zum Überlaufen.
„Wenn das der Fall wäre, würdest du nicht filmen, sondern dich vor Schock übergeben." Fuhr ich sie an.
Ihr Gesicht bekam eine ungesunde rote Farbe. „Woher willst du das wissen Klugscheißer?"
Es hatte nicht viel gefehlt und ich hätte ihr wohl möglich einen Kinnhaken verpasst.
Das Grinsen wich aus ihrem Gesicht und endlich zog ihre Freundin sie weg.
Direktorin Mayer stand neben mir, ich hatte sie gar nicht gesehen, „Alles in Ordnung?"
Nickend drehte ich mich um und holte tief Luft.
Keine Schwäche zeigen."
Mit Mühe brachte ich mein Gesicht dazu neutral auszusehen, zumindest hoffte ich das.
„Wollen Sie die Polizei rufen oder so etwas?" Der Mann von eben stand jetzt auch neben uns und musterte uns.
„Nein." Schoss es viel zu schnell aus mir heraus. „Also ich nicht." Fügte ich kleinlaut hinzu.
„Und Sie? Ich denke es wäre nicht verkehrt, jemanden zu informieren." Er war aufdringlich. Aufdringlich und bemüht, zu sehr und viel zu viel von beidem. Wahrscheinlich war er nur nett, doch ich empfand es durch meine Wut über die zwei Mädchen und das was geschehen war, ganz anders.
Sanft legte sich eine Hand um meinen Oberarm. Direktorin Mayer stand neben mir und schaute den Mann ruhig an. „Ich denke darauf verzichten wir. Trotzdem vielen Dank für ihre Hilfe."
Überrumpelte ging er einen Schritt zurück und kramte dann in seiner Jackentasche. „Hier meine Nummer, falls Sie es sich anders überlegen sollten und einen Zeugen brauchen." Er streckte ihr seine Hand aus und sie nahm die Karte dankend entgegen.
Ihre Hand wanderte weiter meinen Arm entlang bis sie auf mein Handgelenk traf. Ohne ein Wort legte sie ihre Hand um meine. Ihre Hand war warm und gleichzeitig kalt. Sanft und vorsichtig und doch bestimmt fanden ihre Finger um meine. Es war nicht unangenehm, ganz im Gegenteil. Es gab mir ein Gefühl von Sicherheit. Direktorin Mayer sagte nichts, als sie uns aus der Menschenmenge lotste. Aus dem Augenwinkel sah ich wie jemand anfing den verschütteten Kaffee wegzuwischen. Und ich sah ihr Gesicht, als ich verstohlen einen Blick riskierte. Sie presste ihren Kiefer zusammen und starte stur gerade aus. Erst als wir bei der Treppe waren, die zu unserem Gleis führte, entfernte sie ihre Hand von meiner. Wieder sagte sie nichts, sondern ging die Treppe hinauf, immer darauf bedacht das ich neben ihr war. Sie humpelte, leicht, kaum merkbar, aber sie tat es und wurde mit jeder Stufe, die wir hinaufgingen langsamer. Ihre Schritte wirkten unsicher. Ich traute mich nicht sie zu stützen, sondern passte meine Schritte ihren an. Etwas stimmte nicht.

Immer in liebe, A.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt