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Mit großen Schritten folgte ich Linnea ins Haus, versenkte meine Füße in denen von ihr hinterlassenen Fußabdrücken. Hastig war sie gewesen, fast so als wolle sie vor mir fliehen und vor dem, was so eben geschehen war. Ungläubig starte ich meine Reflexion in der Tür an. Wie ein Narr grinste ich mich an, mein eigenes gerötetes Gesicht, und musste über mich selbst den Kopf schütteln. Das Haus war erstaunlich warm, wohl möglich auch, weil Linnea den Kamin auf der gegenüber liegenden Seite angeheizt hatte.
Kaum hatte mich die Wärme eingehüllt, kamen auch die Zweifel zurück. Ein Tornado, der mein Grinsen gefrieren ließ und mich die eisige Kälte spüren ließ, die bis eben noch über mir gelegen hatte. Wie konnte das eben wirklich passiert sein? War es das? Oder war es wirklich nur ein Spiel, wie Ella es genannt hatte. Was war es für Linnea? Und doch fragte ich mich, ob es wirklich etwas sein musste. War es wirklich nötig, etwas zu bennen, es in Worte zu bändigen und einzusperren, noch bevor man wusste, was es wirklich war? Wäre es wirklich so fatal, es einfach ohne Label zu lassen? Zumindest für jetzt. Noch immer brannten meine Lippen von dem Kuss. War ich es gewesen, oder sie? Wer hatte wen geküsst? Warum?
„Wo bist du mit deinem Kopf?"
Linneas Stimme ließ mich aufschrecken, ihre gelassene Haltung, wie sie dastand im Türrahmen. Mit tropfenden Haaren und einem zaghaften Lächeln auf den Lippen.
„Nirgends." Log ich sie an und zwang mich dazu ihre Gelassenheit zu imitieren, sie zu kopieren und mir selbst anzuziehen, als würde ich daran glauben. An meinen eigenen Wunsch, dass das alles hier echt war. Echter als ein Spiel. Für uns beide.
Sie kam auf mich zu und hockte sich vor mich hin. „Ist dir nicht kalt?"
Ich konnte nur den Kopf schütteln, während ich sie wieder anfing zu mustern und mir bewusst wurde, dass ich rein gar nichts wirklich über sie wusste.
„Du denkst zu viel nach Amaryllis." Flüsterte sie und legte ihre Hände auf meine Knie. Ihr Blick war bohrend, traf mich in meinen Inneren und schob die Zweifel fort. „Du solltest duschen und dich aufwärmen. Ich habe dir neue Handtücher bereitgelegt." Linnea legte ihren Kopf schief, erst jetzt fiel mir auf wie lockig ihre Haare eigentlich waren. Sie ließen sie jünger aussehen, verliehen ihr etwas Unbeschwertes. „Oder soll ich dir helfen."
Meine Finger vergruben sich in ihrem Haar und zogen sie näher an mich heran. „Nein, Frau Mayer, das schaffe ich alleine." Ich entließ sie wieder aus ihrem Griff und stand auf. „Vorerst zumindest." Sagte ich und ging ins Bad.
Es war leicht. Wirklich leicht mit ihr. Vielleicht zu leicht. Ich verdrängte den Gedanken wieder schnel und nahm sie einfach hin, diese Leichtigkeit.

***

Als ich aus dem dampfenden Badezimmer trat, stand sie bereits im Türrahmen des Wohnzimmers. „Meine Sachen, sie sind noch in der Tasche." Sagte ich und zog das Handtuch enger um meinen Körper.
„So so." Linnea ging zu meiner Tasche, die ebenso wie ihre eigene noch im Flur standen und reichte sie mir. „Ich dreh mich auch um, versprochen." Hauchte sie mir entgegen, während sie mir die Tasche in die Hände drückte. Es war ungewohnt sie so zu sehen, amüsiert und doch irgendwie verwegen blickte sie mich an, bevor sie sich umdrehte. „Siehst du, ich halte meine Versprechen."
„Auf der anderen Seite ist ein Spiegel."
Ihr Kopf schoss zu mir. „Ist das so?" Sie setzte einen Schritt zur Seite und ließ mich so die Tür einen Spalt weit schließen.
„Was bedeutet dein Tattoo?"
„Welches?" Fragte ich unnötigerweise, wohl wissend das sie nur eins meinen konnte.
„Wie viele gibt es den?"
Meine Antwort war ehrlich, bewusst gewählt. „Ein paar."
Sie räusperte sich, als hätte ich etwas Verbotenes gesagt. „Der Drache."
„Es ist eine Schlange." Korrigierte ich sie. „Eine Mischung aus beidem."
„Und was bedeutet es dir?"
„Es verdeckt die Narbe." Sagte ich wahrheitsgemäß. Ich hörte wie sie die Luft einzog, es war kein Thema, das ich jetzt ansprechen wollte. Mit dem Gewissen, es würde sonst die Stimmung kippen würde. Außerdem wollte ich jetzt nicht zur Sprache bringen. „Es ist ein Taniwha."
„Was ist das?"
„In der Kupua Kultur ist der Taniwha eine wilde Kreaturen, manchmal ein Wächter. Sie sind die Lebenskraft eines Ortes in physischer Form. Hauptsächlich haben sie darüber gewacht, dass in den Gewässern die Fische und andere Lebewesen leben und überleben konnten. Mit ihrer magischen Kraft konnten sie ihre Form ständig ändern, aber meist wählten sie die Form des Schlangendrachens." Erklärte ich ihr, während ich mich anzog.
„Wie idyllisch."
„Manche von the Taniwhas wird nachgesagt Menschen getötet und gegessen zu haben. Anderen nur Frauen entführt zu haben. "
„Oh."
Ich musste lachen. „Keine Sorge, meins ist eher ein Mo'o, die friedliche und beschützende Schwester."
Ich machte die Tür wieder auf und stieß fast mit ihr zusammen. „Und was bedeutet es für dich?"
„Mein Großvater ist ein Kanaka Maoli, ein Ureinwohner von Hawaii, er lebt noch immer dort."
Linnea zog ihre Augenbrauen hoch. „Und dann bist du in Deutschland, anstatt im Aloha Staat?"
„Tja, sonst wäre ich nicht mit dir hier, oder?"
Linnea schob meine Haare zur Seite und betrachtet meinen Hals, der nur einen Teil des Tattoos entblößte. „Und das ist besser als Hawaii?"
Es überkam mich, der Drang sie zu berühren. Und so schob ich sie gegen den Rahmen der Tür und zu meiner Überraschung ließ sie es geschehen. Sie ließ es zu, dass auch ich meine Hand auf ihren Nacken legte. „Viel besser."
Ich wollte sie küssen, ihre Lippen wieder spüren. Und ich war mutig, mutiger, als ich gedacht hätte. Gerade als ich kurz vor ihrem Mund war, schellte es unfassbar laut an der Tür. Einmal, zweimal. Und als Linnea sich nicht rührte, ein drittes Mal.
„For god sake." Frustriert ließ ich von ihr ab und ließ mich gegen die andere Seite des Türrahmens fallen.
„Unser Essen." Sagte sie nur knapp, doch ich sah ihr an, dass es ihr genauso wenig passte wie mir. Mit schnellen Schritten ging sie zur Tür. „Sie haben wirklich ein fruchtbares Timing." Donnerte sie dem armen Menschen entgegen, der sie auf der anderen Seite erwartet. Der arme. Es war ihre strenge, bestimmende Stimme, mit der sie ihren Unterricht beschritt.
„Ist das so? Wobei habe ich dich den gestört?" Trällerte ihre eine glasklare Frauenstimme entgegen. „Linnea?"
Augenblicklich versteifte sie sich, das sah ich, obwohl ich nur ihren Rücken sehen konnte. Sie strafte ihre Schultern und schien sich regelrecht aufzubauen. „Christine." War ihre knappe Antwort, so eisig wie ich sie noch nie gehört hatte.
„Krieg ich keine Begrüßung?" Fragte sie die Unbekannte amüsiert, als würde es ihr Spaß machen so abgewiesen zu werden.
„Was machst du hier?"
Ich fühlte mich fehl am Platz und doch konnte ich nirgends hin, also blieb ich angewurzelt an meinem Platz.
„Auf dem Weg zum Hafen habe ich dein Auto gesehen und das Licht war an. Ich dachte mir schon, dass du hier sein wirst. Wolltest du etwa Silvester alleine feiern?" Sprach die Unbekannte weiter.
Linnea verschränkte ihre Arme. „Ich wüsste nicht, was es dich angeht."
Sie lachte, die Frau, die sich anscheinend absolut nicht von Linneas Art beeindrucken ließ. „Ah komm schon, sei doch nicht so." Und dann flüsterte sie etwas, dass ich nicht hören konnte, doch es machte Linnea anscheinend wütend. Sie drückte die Frau weg, die versuchte durch die Tür an ihr vorbei ins Haus zu gelangen. „Was ist denn los? Können wir nicht einfach reden? Ein bisschen Spaß haben?"
Linnea schnaufte und stemmte sich regelrecht in die Tür. „Gewiss nicht."
„Warum den?"

Immer in liebe, A.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt