Es war komisch und doch ziemlich faszinierend, wie Linnea mit mir umging. Es war absolut nicht seltsam zwischen uns, kein verlegenes Schweigen oder heimliche Blicke, die wir uns zuwarfen. Nichts davon, nicht einmal Ansatzweise. Den sie ignorierte mich seit dem Moment, indem meine Füße wieder den Boden von Mayergut berührt hatten. Nicht einmal Abends, wenn wir in unserem gottverdammten eigenen Gebäude waren, schenkte sie mir Aufmerksamkeit. Was wahrscheinlich daran lag, dass sie dort seit nun drei Wochen gefühlt nicht mehr aufgetaucht war. Drei Wochen und sechs Tagen, wenn man es genau nehmen würde und das tat ich. Ich nahm es sehr genau. Ob im Unterricht, auf dem Flur oder im Speisesaal. Selbst für die Tutorenstunden hatte sie Phil abkommandiert. Angeblich hatte sie zu viel zu tun mit den Abiturvorbereitungen und irgendwie glaubte ich, wirklich so etwas wie bedauern in ihrem Gesicht zu sehen. Doch das bildete ich mir wahrscheinlich nur ein und Christine hatte recht gehabt. Sie hatte jetzt schon genug von mir.
„Wir finden schon einen Weg."
Ihre gottverdammten Worte waren in meinem Kopf eingebrannt. Ihren Weg hatte sie gefunden und für mich war nicht einmal eine Erklärung übrig geblieben. Selbst eine geheuchelte Entschuldigung, eine Lüge, egal was, wäre mir lieber gewesen, als dieses Nichts, das sie für mich übrig zuhaben schien.
Und heute war wieder einer der Tage, an denen ich Linnea am liebsten an die Gurgel gegangen wäre. Selbst meine Versuche sie zu provozieren nahm sie schulterzuckend hin, genauso wie meine unpassenden Kommentare in ihrem Unterricht. Was mir zugegebenermaßen die fragliche Anerkennung der anderen eingebracht hatte, die mir anerkennende Blicke zuwarfen, während Linnea immerzu nur die Lippen spitze, aber kein Wort verlor.„Weißt du eigentlich, dass deine Laune einfach nur noch bemitleidenswert ist." Neckte Nele mich, als ich erneut Trübsal blasend neben ihr beim Mittagessen saß und meinem Teller mehr Aufmerksamkeit schenkte, als ihr oder dem Essen darauf.
„Wollen wir eislaufen gehen?"
Kopfschüttelnd lehnte ich ab, was sie seufzend hinnahm. „Wir können auch traurige Schnulzen schauen und uns im Selbstmitleid baden."
„Ich bade nicht im Selbstmitleid." Murrte ich und pickte zum Protest eine Kartoffel auf meine Gabel und sah Phil dabei zu, der sein Tablett gegenüber von uns abstellte und uns unverschämt gut gelaunt angrinste.
„Ihr habt doch sicher nichts dagegen, oder?" Wie so oft wartete er keine Antwort ab und setzte sich, nicht ohne seine Knie an meine zu hauen und mir seins schiefes Lächeln zu präsentieren.
„Worüber habt ihr gesprochen?"
Nele schien es nicht im Geringsten zu stören, dass er ungefragt aufgetaucht war. „Oh, nur das Amaryllis nicht mit mir eislaufen gehen will und auch anscheinend keine Schnulzen mag."
Nachdenklich schaute er zwischen uns hin und her. Wieder lag da dieser wissende Blick in seinen Augen, den wahrscheinlich nur ich sah.
„Läuft man in Texas nicht Schlittschuh?" Plapperte Nele weiter.
Erneut schüttelte ich den Kopf und vernahm erleichtert die Stimme von jemanden, der nach ihr rief. „Bin gleich wieder da." Und auch sie schien erleichtert zu sein, aus dieser Situation herauszukommen.
Phil schwieg nicht lange, bevor er leise seine übliche, tägliche Frage stellte. „Willst du mir heute die Wahrheit sagen?"
„Greyson hat mich nicht versucht anzurufen und ihre Nachrichten beantworte ich nicht mehr." Antwortete ich knapp und es stimmte. Fast.
Ich schrieb ihr, fast täglich. Belangloses, ein ja oder nein, in der Regel nicht mehr, den sie berichtete mir haargenau wirklich alles, über die Wiederaufnahme meines Falls. Im Frühjahr würde der offizielle Prozess starten, im Sommer die Gerichtsverhandlung. Noch immer fragte ich mich, wie es so weit kommen konnte. Und das Highlight an der ganzen Geschichte war, dass er mich verklagte.
Ihr Exverlobter verklagte mich wegen Verleumdung.
Und auch wenn mich das wirklich am allermeisten beschäftigen sollte, meine volle Aufmerksamkeit verdient hätte, so konnte ich nur an Linnea denken und an Christines Worte, die mich wie ein Schlag getroffen hatten.
„Hey, bist du noch da?" Phil wedelte mit seiner Hand vor meinen Augen und schenkte mir einen seiner skeptischen Blicke. „Glaubst du nicht das es stimmt?"
Erneut hatte ich nicht die geringste Ahnung wovon er sprach, wie so oft in den vergangenen Tagen, in denen mich Schule wirklich als einziges Medium hatte auch nur halbwegs ablenken können. Also nickte ich nur und fixierte Nele mit meinem Blick, nur um ihn nicht mehr anschauen zu müssen.
Es war irgendwie komisch, dass ausgerechnet sie jetzt eine der wenigen Personen war, mit der ich Kontakt hatte. Hier und generell, den mit Ella hatte ich es mir anscheinend zu allem Überfluss auch noch verschätzt. Wenn ich auch niemals auf die Idee gekommen wäre, ihr recht zu geben. Dafür war ich zu stolz.
„Sie mag dich." Verwundert schaute ich wieder zu Phil, der mein Starren anders deute, als es eigentlich gemeint war. „Wie sieht es mit dir aus?"
„Als ob ich über so etwas mit einem Lehrer sprechen würde, also wirklich Herr Fleming."
Meine Worte entlockten ihm ein Lächeln und ich hoffte, dass er sich damit zufriedengeben würde. Und tatsächlich fragte er nicht mehr weiter, doch mir entging nicht, wie seine achtsamen Augen immer wieder zwischen mir und Nele hin und her huschten, wenn er nicht gerade Linnea fragend anschaute. Wie immer saß sie, so weit es ging von mir entfernt und beachtete mich kein bisschen.
Erneut kam diese Wut in mir auf und ich schob mein Tablett von mir weg.
Wie hatte ich bloß so dumm sein können? So naiv, um auf sie hereinzufallen?
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Immer in liebe, A.
Romance"Hey Yankee, bekomme ich noch eine Antwort?" "Nein." Sie starrten sich an, voller Wut, die Verachtung spiegelte sich in ihren Augen. Keiner der beiden würde Nachgeben, so war es vom ersten Moment an. Amaryllis und Linnea. Zwei die nicht unterschied...