Langsam löste sie ihre Hand unter meiner und entfernte sie schließlich gänzlich von meinem Arm, nur um ihre Hand in ihre Hosentasche zu stecken, fast so als bräuchte sie eine Barriere um ihre Hand nicht wieder auf die meine zu legen. Ein Räuspern durchschnitt die eiserne Stille zwischen uns, ließ alles so erscheinen, als wäre es gar nicht passiert.
„Geht es wieder?" Wiederholte sie ihre Frage.
Ich nickte nur und wand meinen Blick von ihr los. In diesem Moment hatte sie so anders gewirkt, so komplett konträr zu dem, was sie sonst zu sein schien. Und so langsam beschlich mich das Gefühl, das sie vielleicht gar nicht das eisige Monster, die Hexe, war, als die sie sich ausgab.
„Die Aussicht ist wirklich wunderschön." Was redete ich da?
Zuerst schien Direktorin Mayer verwirrt zu sein, doch als sie merkte das auch ich meinen Blick wieder nach draußen gerichtet hatte, summte sie zustimmend.
„Ich musste erst von hier weggehen, um die ganze Schönheit dieses Ortes schätzen zu lernen." Gestand sie und ihre Stimme hatte wieder die gewohnten selbstsicheren Klang, auch wenn die Härte fehlte.
„Ehrlich?"
Sie lachte leise. „Für mein Studium bin ich weggezogen und wollte eigentlich auch gar nicht zurückkommen. Ich habe gedacht, ich kenne diesen Ort, doch als ich wiederkam, war es ein anderer, als der, den ich als Kind, als Jugendlicher gekannt hatte. Ich lernte Mayergut noch einmal neu kennen.Na ja, wie dem auch sei." Abrupt brach sie ab, es schien ihr unangenehm zu sein.
„Wo haben Sie studiert?" Fragte ich dennoch, es tat mir aus einem unerklärlichen Grund gut ihr zuzuhören.
Unschlüssig schaute sie mich kurz an, doch auch Direktorin Mayer schien zu merken, das die Anspannung langsam aus meinem Körper zu weichen schien. Ihre Offenheit überraschte mich, fast hätte ich mit einer Abfuhr gerechnet, ihre strenge Stimme schon im Kopf, war ich umso überraschter, als sie mir ehrlich antwortete.
„Edinburgh. Für ein Semester war ich in den Staaten, ihr habt wirklich den furchtbarsten Kaffee." Sagte sie kopfschüttelnd.
Es bahnte sich langsam meine Kehle hinauf, schlich sich unbemerkt meinen ganzen Körper hinauf und entlud sich laut an meinen Lippen, als das Lachen meinen Mund verließ. Der Klang war befreiend, erlösend, ergriff meinen Körper, meinen Geist. Ihre Worte waren so furchtbar unpassend und doch so passend, nicht das sie der Wahrheit entsprachen.
„So ein Quatsch!" Widersprach ich ihr noch immer lachend.
Direktorin Mayer verzog nur den Mund. „Naja gut, die Engländer glänzen da jetzt auch nicht besonders."
„Also seien Sie mir nicht böse, aber der Kaffee hier in der Cafeteria ist auch kein Meisterstück."
Ihr Mund zog sich erneut zusammen. „Chapeau, Sie haben recht Yankee, die Plörre kann man wirklich kaum trinken." Direktorin Mayer entfernte sich und ging mit langen Schritten zu dem Sekretär am anderen Ende des Raumes und öffnete ihn. „Möchten Sie einen Kaffee?" Fragte sie und warf mir einen Blick über die Schulter zu, denn ich beim besten Willen nicht deuten konnte.
Überrumpelt konnte ich nur nicken. Zufrieden wand sie sich der Kaffeemaschine zu. Ich beobachte sie dabei, wie sie die Siebträgermaschine bediente, noch immer verwirrt über das, was gerade hier passiert war. Direktorin Mayer schien komplett ausgewechselt zu sein, ein anderer Mensch. Das Gefühl, sie würde es nur aus Mitleid tun, beschlich mich wieder und ließ das gerade eben abgeklungene Gefühl des Unwohlseins, langsam aber sicher, wieder die Überhand über mich und meinen Körper ergreifen. Doch desto länger ich ihr beim Hantieren mit der Maschine zuschaute, desto mehr flachte dieses Gefühl ab. Stattdessen wurde mir wieder bewusst, warum sie das tat. Die Worte meines Vaters hallten in meinen Kopf wieder, wie eine Glocke, die unaufhörlich zu schlagen schien. Das letzte Jahr lief wie ein Film vor mir ab, eine Dauerschleife einer Seifenoper, eines Thrillers, einer schlechten Komödie, einer Satiere, einer Romanze- einfach undefinierbar. Die Fortsetzung würde also auch bald folgen. Eigentlich hätte ich damit rechnen müssen. Die Lügen würden uns früher oder später zum Verhängnis werden. Wie naiv ich gewesen bin zu glauben, es hätte keinen weiteren Folgen. Wie naiv wir waren. Sie und ich.
„Sag einfach genau das, was ich dir sage, Bitte Riley! Ich komme sonst in unfassbare Schwierigkeiten. Du liebst mich doch, oder?" Ihr Stimme klebte wieder wie Honig in meinen Ohren, hatte sie auch damals meinen Verstand benebelt. Wie dumm ich damals gewesen bin. Für sie hatte ich gelogen, hätte fast mein verdammtes Leben für sie gegeben. Und wofür? Sie hatte uns alle angelogen, uns manipuliert. Für sie hatte ich mein Leben, meine Zukunft zerstört. Und jetzt, gerade als ich anfing zu glauben, ich könnte es endgültig hinter mir lassen, würde es wieder anfangen.
„Zucker?" Direktorin Mayers Stimme holte mich wieder aus meinen Gedanken zurück, katapultierte mich ins hier und jetzt. In ihr Büro, das langsam von den Schatten des Abends eingenommen wurde. Das fast schon eisig kalt war.
„Bitte und Milch, wenn Sie haben."
„Sicher." Sie nickte nur und richte zwei große Gläser auf einem kleinen Tablett her und stellte zwei winzige Tasse daneben. „Falls Sie so guten Kaffee nicht gewohnt sind, fangen wir erst einmal sachte an." Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht als sie das Tablett auf der Fensterbank abstellte. Sie kippte ein von den kleinen Tassen in ihr Glas. Dunkelbraune Fäden zogen sich durch die beige Flüssigkeit, bis sie schließlich den Boden des Glases errichten.
„Dankeschön." Ich nahm ihr das andere Glas ab, welches Sie mir reichte. „Sie denken also ich würde mit einem Espresso nicht zurechtkommen?"
„Das habe ich nicht gesagt, aber", Sie strich sich mit der freien Hand durch die Haare, „Ich dachte vielleicht schmeckt es Ihnen so besser. Ich mag meinen Kaffee am liebsten so, wie auch immer."
War sie wirklich verlegen? Doch als ich ihre hochgezogene Augenbraue sah, und das provokante Lächeln, verwarf ich den Gedanken augenblicklich wieder. Ich nippte an dem Glas und es schmeckte wirklich gut, trotzdem setzte ich es wieder ab und tat es ihr gleich und kippte den Espresso hinein. Der warme Geruch von Zimt und Ahorn strömte mir sofort in die Nase und beim ersten Schluck schmeckte ich die würzigen Noten von Nelke und Anis.
„Oh wow, das ist wirklich lecker."
Zufrieden nickte Direktorin Mayer. „Besser als Pumpkinspice Latte, nicht wahr?"
Überrascht drehte ich mich zu ihr. „Pumpkinspice?"
„Ist das nicht das Getränk bei Euch?" Sie deute Anführungszeichen mit ihren Fingern in der Luft an.
Lachend konnte ich nicht anders als ihr zuzustimmen. „In bestimmten Kreisen bestimmt."
„Bestimmte Kreise?"
Ich überlegte, ob ich es einfach sagen sollte, das Ella sie immer Pumpkin Bitches nannte, doch ich entschied mich dagegen und nickte einfach nur.
Direktorin Mayer gab sich damit zu Frieden und wieder entstand diese Stille zwischen uns, die diesmal jedoch nicht unangenehm war, es hatte etwas Friedliches.
„Wollen Sie mir sagen worum es ging Amaryllis?" Fragte sie nach einigen Minuten schließlich. Es lag kein Drängen in ihrer Stimme, keine Aufforderung, kein Vorwurf.
Doch ich schüttelte nur den Kopf. „Das geht leider nicht."
Sie seufzte leise. „Na schön."
War sie enttäuscht? Verletzt? Warum interessierte es mich überhaupt? Sollte es mir nicht einfach egal sein? Vielleicht hatte ich ein schlechtes Gewissen, schließlich war Direktorin Mayer gerade eben wirklich nett gewesen zu mir. Und ich wollte es. Wollte ihr eine Erklärung geben, einen Teil davon zumindest. Aber es ging nicht, nicht ohne ihr den ganzen Grund zu neuen, ihr alles zu erklären. Ich müsste ihr die Wahrheit, die ich so gut behütete. Sie ihr auf einem Silbertablett servieren. Es ging nicht, um keinen Preis würde ich das tun.
„Es tut mir leid, es geht wirklich nicht." Versuchte ich sie zu beschwichtigen.
„Warum?" Ihr geleertes Glas traf unsanft auf das Tablett und ließ es bedrohlich nach hinten kippen. Mit einer einfachen Bewegung brachte sie es wieder zum Stillstand.
Ich atmete tief durch. „Ich darf es nicht."
Erstaunt schaute sie mich an. „Wie bitte?"
„Ich darf es nicht, mir ist es nicht erlaubt!" Meine Worte waren härte als beabsichtigt.
„Also bitte, wenn Sie es mir nicht sagen wollen, dann sagen Sie es einfach Samuels. Sie müssen hier nicht so einen Quatsch erzählen."
Ungläubig fiel mir fast die Kinnlade herunter. „Denken Sie, ich verarsche Sie?"
Direktorin Mayer zog nun beide ihrer Augenbrauen hoch. „Tun Sie das den?"
„Nein!" Widersprach ich energisch. „Mir ist es nicht erlaubt. Ich", Ich sage jetzt schon viel zu viel, dachte ich mir.
„Ja?" Fragte sie provokant.
„Ich habe da klare Auflagen unterschreiben." Was? Was redete ich da? Warum erzählte ich ihr das. Doch der Drang mich vor ihr beweisen zu müssen, ergriff die Überhand über mich und meinen Verstand.
Wieder flogen ihre Augenbrauen in die Höhe. „Es wird ja immer besser. Was für Auflagen? Wenn Sie mir gleich erzählen, dass sie im Zeugenschutzprogramm sind, oder so ein Mist. Also bitte?"
„So ein bullshit Zeugenschutzprogramm, Sie gucken zu viele Krimis, Lady." Oh verdammt, ich war zu weit gegangen.
„Ahja? Dann erklären Sie es mir!"
Mit jedem Wort war Direktorin Mayer ein Stück näher zu mir gekommen und hatte mir ihren Zeigefinger bedrohlich fest in meine schon schmerzende Schulter gebohrt. Nur mit Mühe konnte ich mich beherrschen ihre Hand nicht wegzuschlagen, doch die in mir aufflammende Wut, den Ärger über alles, konnte ich nicht mehr zurückhalten.
„Fuck, ich darf nun einmal nicht mit Euch scheiß Zivilisten darüber sprechen. Ich darf eigentlich mit keinem gottverdammten Menschen darüber sprechen, ohne in massive Schwierigkeiten zu geraten." Es war zu spät, ich hatte es gesagt. Wobei gebrüllt es deutlich besser trifft.
Sie schien meine Worte erst verarbeiten zu müssen, ihre Bedeutung erst noch zu finden. Mit jeden verstreichenden Augenblick weiteten sich ihre Pupillen, bis ihre Augen nur noch schwarzer waren.
„Zivilisten?" Fragte sie jedoch nur.
„Ah kommen Sie, als hätten Sie das Gespräch eben nicht mitbekommen. Keine Sorge, für sie alle hier, hat das keine Auswirkungen."
Direktorin Mayer ließ scharf die Luft aus ihren Lungen entweichen und schnaufte dann wütend auf. „Keine Auswirkung? Gott Amaryllis, wer zum Teufel sind sie überhaupt?"
Ich lachte ein bitteres, eisiges Lachen. „Das wüsste ich auch gerne." Mit schnellen Schritten lief ich auf die Tür zu und verließ ohne ein weiteres Wort ihr Büro. Fast schon rennend bahnte ich mir meinen Weg aus dem Gebäude heraus und lief los. Ich lief einfach los, rannte quer über das Gelände von Mayergut und hinein in den angrenzenden Wald. Rannte so schnell mich meine Beine trugen, ignorierte den eisigen Wind, die feinen Regentropfen die wie kleine Nadel auf meine Haut trafen. Ich lief und lief, bis ich nicht mehr wusste, wo ich war. Lief, solange bis mein Kopf einfach nur leer war, leer und pochend, umgeben von einem Nebel. Einem Nebel der sich wie Watte um mich und meinen Verstand gelegt hatte. Es war mein Fehler gewesen, ich müsste mich mehr kontrollieren, meine Gedanken sortieren und meine Emotionen. So etwas wie gerade eben würde nie wieder vorkommen, ich würde es nicht zulassen. Die Schritte, die ich gegangen bin waren zu groß, das hier, mein Leben hier, ich würde es nicht aufgeben. Einmal noch, ein einziges Mal würde ich die gleichen Lügen wie damals erzählen. Jedoch würde ich es jetzt nicht tun, um sie zu schützen, es würde mich schützen. Mit schweren Gliedern streifte ich wieder aus dem Wald heraus, die Nacht war hereingebrochen und der Mond stand hoch am Himmel. Einzelne Wolken schwebten regelrecht an ihm vorbei und verliehen ihm etwas furchteinflößendes. Wie passend die Natur doch sein konnte.
In meinem Zimmer fand ich keine Ruhe, zu Müde und doch zu wach um zu schlafen. Mein Kopf brummte auch nach zwei Tabletten. In diesem Moment bemitleidete ich mich selbst, mich und meine verkorkste Situation. Und auch wenn ich mich lange dagegen gesträubt hatte, fanden meine Hände wie von selbst zu dem Buch auf meinem Nachtisch. Zum ersten Mal schlug ich Sturmhöhen auch auf, anstatt nur den Einband abzutasten. Auf der Innenseite des Deckels waren verschiedene Spalten gezeichnet und mit bunten Stiften akkurat ausgefüllt wurden. „Gedanken, Interpretation, Idee, Wendepunkt." Und dahinter verschiedene Seitenzahlen schmückten das vergilbte Papier. Fasziniert schlug ich die ersten Seiten auf und fand auch dort, bereits nach wenigen Zeilen, kleine Anmerkungen zu der Handlung. Mit jeder Seite mehr tauchte ich in die Geschichte ein und besonders die Kommentare und Anmerkungen fesselten mich. Mal waren sie komisch, so lustig, dass sie mich zum Lachen brachten, dann wieder nachdenklich und melancholisch. Der Drang ebenfalls etwas dazuzuschreiben überkam mich und dem Impuls folgend kramte ich einen Post-it-Block heraus und schlug das Buch wieder von vorne auf. Bald hatte ich die ersten zwanzig Seiten mit den bunten Aufklebern versehen und legte das Buch seufzend zur Seite. Ich traute mich nicht direkt in das Buch zu schreiben, schließlich wusste ich nicht, wie Direktorin Mayer darüber denken würde. Es fiel mir sichtlich schwer zu glauben, das sie die ganzen Anmerkungen geschrieben hatte, jedoch hatte ich schnell ihre saubere und charakteristische Handschrift erkannt. Um ganz sicherzugehen hatte ich sogar den Zettel, den sie mir zugesteckt hatte herausgesucht und alles verglichen. Sie stimmte ohne Zweifel überein.
In den Kommentaren waren ihre Worte, ihre Art, genauso wie heute in ihrem Büro als sie mich auf eine fürsorgliche Art versucht hatte zu beruhigen, bevor alles wieder aus dem Ruder gelaufen war. Meine Wut auf sie flachte ab, die Erkenntnis das ich deutlich zu viel gesagt hatte, trat in den Vordergrund. Wir schienen es nicht zu schaffen einen normalen Umgang zueinander zu pflegen. Mit diesen Gedanken schlief ich endlich ein und glitt in eine unruhige Nacht, in der ich ständig an die Worte meines Vaters denken musste. Sie würden das Verfahren wieder aufnehmen... Wie hatte Svenja es so schön gesagt? Schlimmer geht immer.
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Immer in liebe, A.
Romance"Hey Yankee, bekomme ich noch eine Antwort?" "Nein." Sie starrten sich an, voller Wut, die Verachtung spiegelte sich in ihren Augen. Keiner der beiden würde Nachgeben, so war es vom ersten Moment an. Amaryllis und Linnea. Zwei die nicht unterschied...