KAPITEL DREI

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JEONGGUK WAR müde. Die ersten Tage, seit dem sie den Palast belieferten, waren noch akzeptable gewesen. Doch mit jedem weiteren Tag, mit jedem weiteren Tag an dem er weniger und weniger Schlaf bekam, wurde es für ihn anstrengender. Er hatte sich in all den Jahren daran gewöhnt, dass er morgens in der Früh aufstehen musste—beinahe noch in der Nacht, um seinem Vater in der Backstube zu helfen. Jeongguk genoss es, wenn er morgens den Fensterladen öffnete, hinaus in die dunkle Nacht schaute und sich die ganze Stadt um ihn herum noch in einem tiefen Schlummer befand. 

Doch normalerweise hatte er immer noch die Zeit gehabt, morgens in Ruhe aufzustehen. Er schlug sein Bett aus, holte Wasser draußen im Hof aus dem Brunnen, machte sich frisch und gesellte sich dann zu seinem Vater in die Backstube. Er bereitete Teig zu, knetete ihn, backte die Brote und das Gebäck ab, wobei er meistens etwas davon aß und so in den Tag startete. Natürlich hatte es immer mal wieder Tage gegeben, in denen sie schon in der Früh im Stress gewesen waren. Wegen großen Bestellungen für Vermählungen und Feste, oder auch wenn jemand von ihnen krank ausfiel. Jeongguk erinnerte sich auch noch an das vergangene Jahr, in dem sein Vater für einige Tage schwerkrank im Bett verbracht hatte und Jeongguk, nur mit der Unterstützung seiner Schwester Sowon in der Backstube, und ihrer Mutter vorne im Laden, die Bäckerei hatte führen müssen. 

Aber das waren nur Tage gewesen. Ein kurzweiliger Ausnahmezustand, mit dem Jeongguk klar gekommen war, weil er ein Ende in Sicht gehabt hatte. Doch das war nun nicht der Fall.  

Schon am heutigen Morgen, als er in der Backstube gestanden hatte, war es ihm schwergefallen, seine Augen offen zu halten und sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Natürlich war es seiner Familie aufgefallen, doch auch sie hatten genug zu tun—Jeongguks Vermutung hatte sich bewahrheitet, denn sobald es in der Stadt die Runde gemacht hatte, dass sie nun die königliche Familie belieferten, standen die Taletianer am Morgen schon bei ihnen Schlange. Und das freute ihn. Selbstverständlich war Jeongguk glücklich darüber und das Lächeln auf dem Gesicht seiner Familie, auch wenn sie genauso erschöpft waren wie er, bedeutete ihm viel. Dennoch fing er langsam an, diese neue Situation zu verfluchen. 

Jedoch gab es, neben dem neuen Ansturm an Kunden, noch mehr positive Nebeneffekte. Einer war es, dass er nun so ziemlich täglich Yoongi zu Gesicht bekam. Er schaffte es nicht, noch in der Früh bei ihm vorbei zuschauen, zu sehr musste er sich beeilen, aber auf dem Rückweg machte er immer einen Abstecher zu den Schleifmühlen, an denen er auf dem Rückweg sowieso vorbei ging, und brachte Yoongi etwas zu Essen vorbei. 

Und das war eigentlich auch sein Vorsatz für heute, als an den Wachen vorbei in den Vorhof des Palastes schlüpfte und über den Kiesweg hinweg zum Dienstboteneingang eilte. Die Blumen zu seinen Seiten beachtete er kaum noch—natürlich waren sie immer noch atemberaubend und Jeongguk wusste immer noch nicht, um was für  geheimnisvolle Blumen es sich handelte, doch umso öfter er durch das Blumenmeer hindurch lief, umso weniger achtete er darauf. Er hatte sich heute ganz besonders beeilt und die Brote in seiner Tasche fühlten sich noch lauwarm an, als ihm die Wache die Tür zum Dienstboteneingang öffnete und er in den dunklen Flur hinein schlüpfte. 

Jeongguk war selber überrascht davon, wie schnell es für ihn zur Normalität geworden war, dass er hinauf zum Palast lief und wie selbstverständlich dort einfach hineinspazierte. Zugegeben, nur in den Dienstboteneingang und auch nur bis zur Küche—aber dennoch! Er war der königlichen Familie so wohl näher, als viele Taletianer in ihrem ganzen Leben! 

»Hallo Jeongguk!«, wurde er mit einem Lächeln von einer jungen Frau begrüßt, als er in die Küche trat. 

»Hallo Garin«, erwiderte Jeongguk und drückte ihr die Tasche mit den Broten und dem Gebäck in die Hand. Seit dem zweiten Tag, an dem er Namjoon nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte, händigte er die Lieferung zumeist Garin aus. Sie musste ein wenig jünger als er selber sein, mit vollen, rosigen Wangen und einem strahlenden Lächeln, welches sie ihm jedes Mal schenkte, sobald er in die Küche trat. Die meisten der anderen Bediensteten, egal ob die Köchin, die Küchenhilfen oder auch die Dienerschaft, schenkten ihm keine Aufmerksamkeit mehr, doch Garin schien sich jedes Mal zu freuen, sobald er auftauchte. Und auch Jeongguk fühlte sich durch sie ein wenig wohler, auch wenn er sie noch nicht wirklich kannte. Sie wechselten zumeist nur ein paar Worte, ehe sich Garin wieder an ihre Arbeit, und Jeongguk auf den Rückweg machen musste. 

ICEBORN | ᵗᵃᵉᵏᵒᵒᵏWo Geschichten leben. Entdecke jetzt